Er räusperte sich, allerdings nicht ohne ein schalkhaftes Funkeln in seinen Augen. »Versteh mich bitte nicht falsch. Es war eine ausnehmend angenehme Erfahrung. Dennoch würde ich sie nicht gerade als harmlos bezeichnen.«
»Jectam fördert extrem die Konzentration«, klärte Lena die anderen auf, die völlig ahnungslos waren und deshalb mit diesem Gespräch überhaupt nichts hatten anfangen können.
»Te!«, schnaubte Vitus. »Nennt man das jetzt so? Konzentration?«
Loana setzte Lenas Erklärung unbeirrt fort: »Ich habe das Kraut gestern von Wonu unters Essen mischen lassen. Es ist geschmacks- und geruchsneutral, verliert aber nicht seine Wirkung, wenn man es kocht.« Sie kaute verlegen auf der Unterlippe. »Na ja, vielleicht verstärkt sich die Wirkung durch das Kochen noch ein bisschen.«
»Ein bisschen?«, fuhr Vitus wieder dazwischen.
»Ja, ein bisschen«, beharrte Loana auf ihrer Meinung. »Ihr denkt jetzt bestimmt, Jectam sei eher eine Art erotische Droge als ein Mittel zur Konzentrationssteigerung. Schließlich hatten wir in dieser Nacht alle eine intensive Erfahrung, falls ich mich nicht irre. Trotzdem ist und bleibt Jectam eine Heilpflanze, die allein die Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Anspannung und Ausdauer beeinflusst. Mehr nicht.«
Vitus kratzte sich am Kopf. »Das hat sich heute Nacht nicht besonders nach Achtsamkeit angefühlt, Kened. Und du kannst das nicht leugnen. Du warst schließlich dabei.«
Vitus sprach in der ihm so typisch offenen Art weiter: »Ich habe es für grenzenloses Begehren gehalten und finde den Gedanken, dass dieses Gefühl allein durch ein mickriges Kraut erzeugt wurde, eigentlich furchtbar schade.«
»Das ist es aber nicht, Vitus. Jectam verstärkt und intensiviert ausnahmslos das, was ich eben genannt habe. Der Rest kommt von einem selbst. Wäre, hhm, sagen wir mal Etita statt meiner im Schlafgemach gewesen, hättest du sie niemals angerührt, glaube mir. Das funktioniert nur mit bereits vorhandenen Emotionen. Außerdem hättest du jederzeit aufhören können, wenn du gewollt hättest, oder ich.«
»Mmh mmh«, murrte Vitus ungläubig und schüttelte dabei den Kopf. »Und was lehrt es dich und Lena nun?«
»In der Heilkunde wird es natürlich anders eingesetzt. Tja, und man sollte es vielleicht wirklich nicht kochen.« Den zweiten Satz hatte sie mehr an sich selbst gerichtet. Sie machte sich den gedanklichen Vermerk, die verstärkende Wirkung genauer zu erforschen, schließlich hatte sie dieses Kraut seit vielen Jahren nicht mehr verwendet.
Dann blickte sie erneut in die Runde. »Es hilft zum Beispiel bei Denkblockaden. Man kann mit seiner Hilfe ein bestimmtes Ziel in den alleinigen Fokus stellen. Überdies vermag es von starken Schmerzen abzulenken. Es ist also äußerst vielfältig einsetzbar.«
Als sie Vitus‘ Blick begegnete, fügte sie noch hinzu: »Jaja, und es kann, bei sexueller Kompatibilität, zu äußerst erotischen Zuständen führen.« Mit einer kleinen Geste gebot Loana den anderen, zu schweigen. »Diesen zuletzt genannten Zustand kann man durch Steigerung der eigenen mentalen Konzentration allzeit wieder erreichen, auch ohne Verwendung von Jectam. Also, keine Sorge.«
Allgemeines Murmeln durchbrach die folgende Stille. Loana musste lachen. »Es ist daher kein Problem, derartig, hhm, nun ja, sagen wir mal, reizvolle Momente erneut zu erleben. Dafür benötigt man Jectam eigentlich nicht. Aber es kann halt sehr inspirierend sein.«
Sie wandte sich wieder an Lena: »Du siehst also, wie schnell man mit ein paar Kräutern andere beeinflussen und manipulieren kann. Das war eine einmalige Demonstration der Macht der Kräuter, um dich über deine Verantwortung im Umgang damit zu lehren. Ich gebe dir gleich ein paar Aufzeichnungen mit. Darin kannst du alles über Jectam und andere Gewächse nachschlagen.«
Sie lächelte schelmisch. »Du brauchst übrigens gar nicht in eurem Intanetz nachzuschauen. Jectam wächst ausschließlich im Elfenland und dort obendrein nur an der bretonischen Küste. Wir beide sollten trotzdem versuchen, es hier im Schlossgarten zu ziehen.«
Sie stand auf und ging zur Küchentheke. »So, ich hab noch etwas Hunger.«
Während sie sich die Erdbeeren mit Quark genießerisch zu Gemüte führte, ließ sie den Blick durch die Runde schweifen.
War die Wirkung des Jectam-Krautes vielleicht ein klein wenig heftig ausgefallen, so hatte sich ihre Theorie über die Reaktion dennoch in allen Punkten bewahrheitet. Das wog ihr schlechtes Gewissen auf:
Jectam war in vielerlei Hinsicht ein effizientes Heilmittel. Dazu müsste man allerdings zuvor sehr viel über den inneren seelischen Zustand des zu Heilenden erfahren, um das Gewächs gezielt anwenden zu können. Es wäre sicherlich hochinteressant, es im heimischen Kräutergarten zu züchten, damit sie es jederzeit für diverse Zwecke einsetzen könnte, überlegte sie.
Andere?
Anna war schon einmal in die Berge gereist, genauer gesagt, zweimal:
… Beim ersten Mal verbrachten die Nells ihren jährlichen Sommerurlaub vor einiger Zeit, entgegen sonstiger Familientradition, nicht auf ihrer westfriesischen Nordseeinsel, sondern im Allgäu. Dort unternahmen sie viele Ausflüge und Wanderungen.
Natürlich wurden sowohl Schloss Neuschwanstein als auch die Klöster Ettal und Andechs besichtigt, nicht zuletzt München, ja, sogar Salzburg und Innsbruck besucht.
Es gefiel ihnen durchaus, auf Berge zu kraxeln und diese beeindruckende Welt zu erkunden. Dennoch waren sie sich einig, das Meer zu bevorzugen und die nächsten Sommerferien wieder dort zu verbringen.
Das zweite Mal nahm sie mit ihrer damaligen Schulklasse an einem einwöchigen Skiausflug nach Österreich teil. Auch die winterliche Bergwelt faszinierte Anna.
Besonders das Skifahren bereitete ihr riesigen Spaß, trotz der häufigen Hänseleien ihrer Mitschüler. Die konnten ihr die Freude an dieser Klassenfahrt nicht verleiden.
Sie genoss den Schulausflug in vollen Zügen, obgleich sie sich in den Bergen schon beim ersten Mal nicht hundertprozentig wohl gefühlt hatte.
Ihr