„Ich habe ihn nie zuvor gesehen.“
„Aber seine Auftraggeber, die kennst du, nicht wahr, Robert? Die Leute, denen der Geldkoffer gehörte, den du dem toten Kurier abgenommen hast!“
„So“, murmelte Robert. „Das haben sie dir also auch erzählt...“
Elsa nickte.
„Ja.“ Und nach einer kurzen Pause setzte sie noch hinzu: „Ist das alles wahr, Robert?“ Es war keine wirkliche Frage, sondern nur ein letzter Rest von Hoffnung. Zumindest die Hoffnung auf eine einleuchtende Entschuldigung.
Robert schwieg und wandte sich ab. Er ging ein paar Schritte hin und her. Er schien nachdenken zu müssen, blieb aber völlig ruhig.
Elsa hatte so sehr gehofft, dass es nur Lügen waren, und er alles widerlegen würde. Sie fühlte ihre Hände sie waren schweißnass.
„Wie viele waren es, Robert? Fünf, zehn, ein Dutzend?“
„Hör auf, Elsa!“
„Hast du etwa schon aufgehört, die Toten zu zählen, Robert?“
„Ich sagte: Hör auf!“
„Wer war es diesmal - in Madrid, in Paris oder wo immer du auch sonst gewesen sein magst!“
„Es war ein Schweinehund“, sagte Robert. „Nicht besser als der dort!“ Und dabei deutete er auf die Leiche des Narbigen.
Das Geräusch eines Wagens ließ sie beide erstarren.
Es war der Landrover. Der Schwarzbart kehrte zurück.
Elsa verharrte bewegungslos, während Robert in den Flur ging. Die Haustür öffnete sich. Der Schwarzbart schien nicht die geringste Ahnung zu haben, was ihn jetzt erwartete - und Robert ließ ihm nicht den Hauch einer Chance.
Er feuerte sofort. Dreimal drückte er ab.
Die Kugeln trafen den Schwarzbart in der Bauchgegend und ließen ihn zusammenklappen wie ein Taschenmesser. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und weit aufgerissenen Augen ging er zu Boden. Er hatte noch nicht einmal Zeit dazu gehabt, seine Waffe herauszuziehen.
Robert trat etwas heran und sah zu ihm hinunter. Der Schwarzbart lag zusammengekrümmt am Boden, aber er regte sich noch.
Seine Hand versuchte zitternd, nach hinten zu greifen, wo der Griff seiner Pistole aus dem Hosenbund ragte.
Er hätte es wahrscheinlich ohnehin nie geschafft, nicht einmal, wenn er einen ganzen Tag Zeit gehabt hätte. Robert ließ ihm gerade fünf Sekunden.
Unterdessen war Elsa ebenfalls in den Flur gekommen, und so sah sie gerade noch, wie Robert dem am Boden Liegenden einen Kopfschuss verpasste. Es sah sehr hässlich aus und sie wandte sich ab.
Mein Gott!, dachte sie. Ein Haus voller Leichen. Immer wieder hämmerte es in ihrem Kopf. Dieser eine Gedanke: Ein Haus voller Leichen!
Ihr Mund stand weit offen. Sie schüttelte stumm den Kopf. Sie wollte etwas sagen, aber sie konnte es nicht. Sie brachte einfach keinen Laut heraus. Kurz begegnete sie Roberts Blick, der sie kühl musterte. Er schien ihre Reaktion mit Befremden zu registrieren. Dann wandte Elsa sich um und lief die Treppe hinauf. Sie bewegte sich wie automatisch und gleichzeitig hatte sie furchtbare Angst.
Sie ging ins Schlafzimmer, holte ihre Tasche aus dem Schrank und begann dann, ihre Sachen zu packen. Den Pass und und ihr Portemonnaie steckte sie sich in die Gesäßtaschen ihrer Jeans.
Nur das Nötigste raffte sie zusammen. Dann zog sie den Reißverschluss ihrer Reisetasche zu.
Ihre Hand legte sich um den Griff, sie machte einen Schritt nach vorn. Als sie aufblickte, sah sie Robert in der Tür stehen. Sie erstarrte und schluckte.
„Was hast du vor?“, fragte er, obwohl es offensichtlich war.
„Ich kann so nicht weitermachen“, erklärte sie. „Ich kann einfach nicht.“
„Was willst du jetzt tun, Elsa?“
„Ich werde das nächste Schiff nach Algeciras nehmen.“
„...und dann nach Hause fahren und so tun, als wäre nichts gewesen?“
„Warum nicht? Hier werde ich jedenfalls nicht bleiben!“
Sie sah seine Hand zur Seite gleiten, und dann umfassten seine Finger den Griff der Pistole.
Sein Gesicht wirkte bewegungslos.
„Robert...“, flüsterte sie. „Du willst doch nicht etwa...?“
„Ich fürchte, ich habe keine andere Wahl, Elsa.“
„Keine andere Wahl?“
„Ja. Du weißt zu viel über mich.“
„Ich...Ich würde niemandem etwas sagen!“
„Das sagst du jetzt - aus Angst. Aber woher weiß ich, dass du in zwei Wochen, in einem Jahr, in zehn Jahren noch genauso darüber denkst?“
Er kam näher, Elsa wich zurück, bis sie in ihren Kniekehlen die Bettkante spürte.
„Robert! Ich dachte...“
„Ja?“
„Ich dachte, wir hätten uns geliebt!“
„Die Situation hat sich geändert, Elsa. Daran kann ich nicht vorbeigehen!“
„Es macht dir nichts aus, mich nun zu erschießen?“
„Wer sagt, dass es mir nichts ausmacht?“
„Es scheint so.“
„Es ist notwendig, das ist alles.“ Er zuckte mit den Schultern. „Es tut mir leid. Wirklich.“
„Sehr tröstlich für mich!“, zischte Elsa bitter.
„Ich sage das nicht nur so, ich meine es auch! Wir waren ein schönes Paar. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich mich gar nicht erst darauf eingelassen hätte. Es ist also gewissermaßen mein Fehler gewesen, das gebe ich zu. So etwas wie mit dir, das passt nicht zu dem Job, den ich mache... Aber du hast mich eben so verzaubert. Ich konnte nichts dagegen machen.“
Er hob die Waffe, und Elsa schluckte. Sie erwartete jeden Moment, dass es 'Plop!' machte und ihr ein Projektil in den Körper fuhr, um sie zu zerreißen.
Sie schluckte.
Dann sah sie aus den Augenwinkeln die Vase auf dem Nachttisch. Es war ein plötzlicher Entschluss, eine Handlung, die aus der Verzweiflung kam. Sie bückte sich und griff nach der Vase, während Robert annähernd im selben Moment seine Waffe abfeuerte.
Das Geschoss pfiff über sie hinweg und ging in die Wand, während sie die Vase mit voller Wucht Robert entgegenschleuderte. Ein zweiter Schuss löste sich aus der Pistole, aber der war kaum noch gezielt, denn Robert musste gleichzeitig die Vase abwehren, die ihn sonst am Kopf getroffen hätte.
Es war kaum mehr als eine Sekunde, die Elsa dadurch gewonnen hatte, aber die nutzte sie, indem sie sich mit ihrem ganzen Gewicht nach vorne warf und Robert so zu Fall brachte.
Sie hörte ihn fluchen und zu Boden gehen, während sie schon wieder hoch war und aus dem Schlafzimmer lief. Eine Kugel pfiff ihr hinterher.
Sie stolperte die Treppe hinunter und war einen Augenblick später bei der Haustür, die offen stand. Elsa sah die Leiche des Schwarzbarts. Aus dem Hosenbund des Toten ragte ein Pistolengriff.
Nur wenige Augenblicke hatte sie, um sich zu entscheiden. Gleich würde Robert die Treppe hinunterkommen. Sie hatte keine Chance, schnell genug den Land Rover zu erreichen, ihn zu starten und zu verschwinden.
Selbst dann nicht, wenn die Schlüssel noch steckten und sie sie nicht in den Taschen des Schwarzbarts suchen musste.
Sie