Er packte sie rau am Handgelenk, so dass es schmerzte. Um seinen Mund zuckte es nervös. „Wir wären dann ziemlich sauer!“, zischte er. „Wir müssten dann nämlich mit unserer Suche wieder so gut wie von vorne anfangen!“
Jetzt meldete sich der Narbige zu Wort. Er sprach Italienisch. Elsa sah aus den Augenwinkeln, wie er dabei eine Illustrierte durchblätterte.
Was er sagte war ganz offensichtlich an den Schwarzbart gerichtet, aber Elsa fühlte instinktiv, dass es dabei um sie ging. Um sie und ihr Schicksal. Vielleicht um ihren Tod. Der Schwarzbart gab eine kurze Erwiderung.
Warum habe ich nur nie Italienisch gelernt?, hämmerte es in Elsas Kopf.
„Was hat er gesagt?“, fragte Elsa den Schwarzbart.
„Dass Steiner vielleicht Ihretwegen in unsere Falle gehen wird.“ Er machte eine unbestimmte Geste. „Ich habe ihm erwidert, dass ich nach allem, was ich über Steiner weiß, ihn nicht für einen Romantiker halte.“
„Was werden Sie jetzt tun?“
„Eine Zeitlang abwarten. Was sonst?“
In der Nacht schlief Elsa nicht gut, was nicht nur darin begründet lag, dass man sie mit Handschellen an ihr Bettgestell gefesselt hatte und sie sich kaum bewegen konnte.
Es war vor allem die schreckliche Ungewissheit, die sie plagte. Noch glaubten diese Männer, dass sie ihnen zu irgendeinem Zweck nützlich sein konnte.
Aber wenn diese Bedingung nicht mehr bestand, dann würden sie sie töten. Darüber gab sie sich keinerlei Illusionen hin. Bisher hatte sie nicht allzuviel Gelegenheit dazu gehabt, nachzudenken und zu grübeln. Es war zu viel geschehen, die Spannung war zu groß gewesen. Ständig hatte sie den Schwarzbart und den Narbigen in ihrer Nähe gehabt, und die beiden hatten ihre gesamte Aufmerksamkeit gefordert. Aber das war jetzt anders.
Sie war allein im Schlafzimmer. Von draußen fiel etwas Mondlicht ein, aber ansonsten war es völlig dunkel. Jetzt war sie allein mit sich und ihren Gedanken. In ihrem Kopf schien alles wie rasend durcheinanderzuwirbeln. Elsa dachte an ihren Tod. Ein kalter Schauder ging ihr über den Rücken, und sie erinnerte sich an die Depressionen, die sie während ihrer Pubertät gehabt hatte.
Das Gefühl, das sie jetzt beherrschte, erschien ihr ähnlich, nur viel stärker und bedrohlicher. Der Abgrund, vor dem sie stand, war unvergleichlich tiefer. Für einige Jahre hatte sie fast vergessen, wie sich solche Gedanken anfühlten; erst als ihre Eltern sich trennten, kam ein Teil davon zurück.
Dann die Fahrt - die Flucht - nach Tanger und jenes erste Zusammentreffen im Postamt. Robert...
Jensen? Steiner?
Sie hatte einen Mann geliebt - und tat es noch immer - der genau zu wissen schien, was er wollte, der Sicherheit ausstrahlte und ihr Geborgenheit gegeben hatte, der eine elektrisierende Ausstrahlung auf sie ausübte und sie ihren Schmerz und ihre Selbstzweifel hatte vergessen lassen.
Ein Mann ohne Identität, und ein Mann ohne jegliches Gewissen.
Ich sollte nicht den Stab über ihn brechen, beschwor sie sich verzweifelt. Nicht, bevor ich ihn nicht selbst gehört habe...
Sie stellte sich vor, was geschehen würde, sobald er zurückkam. Wenn er Verdacht geschöpft hatte, dann war er vielleicht wirklich über alle Berge, so wie der Schwarzbart vermutete. Rein gefühlsmäßig war das für Elsa unvorstellbar, schließlich konnte es ihm doch nicht gleichgültig sein, was mit ihr geschah.
Aber ihr Verstand sagte ihr, dass es keinen Grund gab, weshalb jemand, der über Leichen ging, nicht genau so handeln sollte...
Ein Mann seines Gewerbes konnte schließlich nicht die Polizei um Hilfe gegen seine Konkurrenz bitten.
Und wenn er nichts gemerkt hatte? Wenn er nichtsahnend hier auftauchte? Sie würden ihn wie einen tollen Hund erschießen!, dachte Elsa. Und wahrscheinlich hatte er nicht die geringste Chance, davonzukommen, geschweige denn ihr - Elsa - zu helfen. Sie würden auf ihn warten und ihren furchtbaren Job erledigen.
So wie Robert es wohl auch getan hätte. Elsa wurde wach, als der Narbige am Morgen das Schlafzimmer betrat. Er bedachte sie nur mit einem kühlen Blick, warf dann einen Blick hinaus aus dem Fenster und kettete sie vom Bettgestell los.
Sie rieb sich die Handgelenke.
Der Narbige stand dicht vor ihr und blickte auf sie herab. Er sagte kein einziges Wort, aber seine bloße Nähe wirkte schon wie eine einzige, unverhohlene Drohung.
Elsa sah die Waffe in seinem Hosenbund stecken.
Er schien von ihr nicht viel Widerstand zu erwarten und sich ziemlich sicher zu fühlen. Und tatsächlich - welche Chancen hätte sie auch gehabt?
Ich muss etwas tun!, dachte sie. Ich kann mich doch nicht wie ein Lamm zur Schlachtbank führen lassen!
Eine Sekunde nur überlegte sie, ob sie nach der Waffe greifen könnte, die so provozierend nahe schien.
Dann hatte der Narbige sie am Handgelenk gepackt und schob sie vor sich her. Es ging die Treppe hinunter. Elsa stolperte fast, aber der Narbige hielt sie in eisernem Griff, bis sie ins Wohnzimmer gelangt waren. Dort ließ er sie los.
Sie sah den Schwarzbart auf der Couch sitzen und in einer Illustrierten blättern.
„Morgen!“, brummte er, ohne aufzusehen.
Dann wurde sie in die Küche geschickt, um das Frühstück zu machen. Der Narbige stand die ganze Zeit dabei und ließ sie nicht aus den Augen.
Was habe ich nur getan, um in eine solche Lage zu geraten?, hämmerte es in Elsas Kopf. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen - nachdem sie sich in den falschen Mann verliebt hatte. So einfach war das.
„Machen Sie den Kaffee nicht zu schwach!“, rief der Schwarzbart aus dem Nebenzimmer.
„Keine Sorge“, murmelte Elsa.
„Was?“
„Ich sagte: Keine Sorge! Ich werde ihn schon stark genug machen!“
Wenig später brachte sie das Frühstück auf einem Tablett ins Wohnzimmer und stellte es auf den Tisch. Es war noch etwas Brot und Marmelade dagewesen. Das Brot war zwar nicht mehr frisch, aber das konnte Elsa nicht ändern.
Sollen sie sich selbst um diese Dinge kümmern, wenn sie etwas Besseres wollen, dachte sie, als sie das Gesicht des Narbigen sah, der sich in einen der Sessel gefläzt hatte und nun auf einem ziemlich zähen Bissen herumkaute.
Elsa nahm nur eine Tasse Kaffee.
„Wollen Sie nichts essen?“, fragte der Schwarzbart mürrisch.
„Nein. Ich habe keinen Appetit.“
„Sie sollten etwas zu sich nehmen.“
„Was kümmert Sie das?“
Er blickte auf und grinste.
„Ihre Laune wird sonst zu schlecht.“
„Wenn Sie mich umgebracht haben, wird es keine Rolle spielen, ob mein Magen voll ist oder nicht - oder wie es um meine Laune bestellt ist.“
„Es ist noch nicht entschieden, ob wir Sie liquidieren müssen.“
„Das sagen Sie, um mir Hoffnungen zu machen. Sie denken, dass ich dann gefügiger bin!“
Der Schwarzbart winkte ab und lachte.
„Wo denken Sie hin!“
Elsa nahm einen weiten Schluck Kaffee. Dabei strich sie sich mit der anderen Hand die ungewaschenen Haare aus dem Gesicht.
Dann fragte sie: „Was wollen Sie eigentlich von Robert? Was hat er getan, dass Sie ihn unbedingt umbringen wollen?“
Sie