„Also, jetzt mal im Ernst“, ließ sich Adrian nicht von dem Zwischenruf beirren. „Ich will natürlich nicht in der Industrie anfangen! Dazu macht mir mein Job viel zu viel Spaß! Aber ich habe keine Ahnung, wie das so bei euch in der Industrie läuft – außer, was man hin und wieder mal in der Zeitung lesen kann. Das ist allerdings herzlich wenig. Und hier haben wir ja mindestens zwei Insider am Tisch, die ja wenigstens mal ein bißchen was erzählen könnten. Es interessiert mich wirklich!“ betonte er nochmal, um der Ernsthaftigkeit seines Wunsches Nachdruck zu verleihen.
Da nicht gleich jemand antwortete und Adrian offenbar befürchtete, man würde ihn immer noch nicht ernstnehmen, begann er selbst mit dem Thema: „Also in meiner Branche ist das ziemlich einfach. Wenn ich einen Künstler brauche, dann stelle ich eine Anzeige ins WorldNet, und prompt stehen am nächsten Tag so und so viele Leute bei mir vor der Tür, die den Job haben wollen. Dann lasse ich die der Reihe nach vorsprechen, vorsingen, vortanzen oder vorspielen, . . .“
„Was, du machst mit allen ein Vorspiel?“ rief Ralf Gerngroß wieder laut dazwischen und hielt sich dabei den Bauch vor Lachen. Höhnisches Gelächter in der Runde.
Adrian sah ihn mit einem strafenden Blick an und sagte verächtlich: „Witzbold!“
„Naja, der Schluß liegt doch nahe, nachdem du gerade vorher selbst noch die Frage nach Sex gestellt hattest, oder?“ hakte Ralf mit einem süffisanten Lächeln nach.
„Also gut, jetzt hast du deinen Spaß gehabt, und jetzt hältst du dich aus unserer ernsthaften Unterhaltung raus, okay?“ entgegnete Adrian. Und um weiteren Zwischenrufen möglichst erst gar keine Gelegenheit zu geben, setzte er unmittelbar fort: „Ja, also was ich gerade sagen wollte, ist, daß ich eigentlich immer aus einer großen Auswahl guter Kräfte aussuchen kann. Dann machen wir einen Vertrag für das betreffende Arrangement, und danach beginnt wieder ein neues Spiel.“
„Ein Vorspiel, meinst du!“ rief Ralf Gerngroß wieder mit verkniffenem Lachen dazwischen.
Während Adrian ihm einen bösen Blick zuwarf, beruhigte Klaus Eppelmann ihn: „Einfach ignorieren!“
„Ja, also bei uns ist niemand zeitlich lange gebunden“, wandte Adrian sich wieder an Klaus und Qiang. „Und was man so hört, sind eure Ingenieure ja wohl heutzutage zum größten Teil auch alles ‚freischaffende Künstler‘, oder?“
„Wenn du mit freischaffend meinst, daß sie vielfach als selbständige Unternehmer agieren, dann hast du recht“, antwortete Klaus Eppelmann. „Allerdings gilt das nicht generell und in allen Bereichen. In unserem Metier ist das jedenfalls nicht in dem Maße möglich, weil wir – wie du ja weißt – im Verteidigungssektor tätig sind, und da unterliegt mehr oder weniger alles der Geheimhaltung. Und die wäre im häuslichen Bereich natürlich nicht im notwendigen Umfang zu gewährleisten. Deshalb müssen unsere Ingenieure nach wie vor ihre Arbeit fast vollständig im gesicherten Gelände der Firma leisten. Und natürlich müssen wir sie auch längerfristig an uns binden, das versteht sich von selbst. Aber in der zivilen Industrie ist es in der Tat so, daß sie vorwiegend als freischaffend bezeichnet werden können. Das wird dir Qiang sicher bestätigen.“
„Ja, sicher. Das kann ich bestätigen. Und in unserer Firma ist es ja gang und gäbe seit langem“, pflichtete Qiang ohne Zögern bei. „Es wird sehr viel zu Hause gearbeitet, jedenfalls überall dort, wo es sich von der Art der Arbeit und der Arbeitsabläufe her einrichten läßt.“
„Dies trifft im übrigen auch für viele Behördenaufgaben und andere Dienstleistungen zu“, mischte sich Ralf Gerngroß wieder ein.
„Und wie funktioniert das bei euch so in der Praxis?“ wollte Adrian von Qiang wissen, ohne Ralf auch nur eines Blickes zu würdigen.
„Jetzt tu doch nicht so, als würdest du dich für ernsthafte Arbeit interessieren, Adrian!“ lästerte Ralf weiter.
Adrian wollte gerade aus der Haut fahren, besann sich aber noch rechtzeitig eines Besseren. Den Triumph, sich vor aller Augen zur Unbeherrschtheit provozieren zu lassen, wollte er Ralf nicht gönnen. Er atmete kurz und tief durch und entgegnete dann betont ruhig: „Mein lieber kleiner Gern-e-groß, du hast offenbar keinen blassen Schimmer, was ernsthafte Arbeit ist. Sonst wüßtest du, daß meine tägliche Beschäftigung am Theater auch eine sehr ernsthafte Arbeit ist. Aber im Gegensatz zu dir interessiere ich mich eben auch für andere Tätigkeiten außerhalb meines Horizonts.“ Dabei fixierte er Ralf noch einmal kurz mit einem sehr vorwurfsvollen Blick, um sich dann wieder Qiang zuzuwenden.
Klaus Eppelmann schmunzelte: „Na, ihr seid ja gut drauf heute!“
„Ich bin immer gut drauf!“ erwiderte Adrian trotzig. „Aber jetzt mal Schluß mit der Lästerei. Es interessiert mich wirklich, wie das in eurem Metier so abgeht.“
„Also gut. Aber ich möchte die anderen hier nicht langweilen“, räumte Qiang ein und schaute dabei mit fragendem Blick in die Runde.
„Nein, nein! Mach nur!“ vernahm er als Echo.
„Okay. Du mußt dir das ungefähr so vorstellen“, begann Qiang zu erläutern: „Die Entwicklungsingenieure agieren im Prinzip wie selbständige Kleinunternehmer, jedenfalls zu einem großen Teil. Sie bekommen von unserer Firma, im allgemeinen via WorldNet, eine Aufgabenstellung, vergleichbar mit einer Kunden-Ausschreibung für eine Auftragsvergabe. Der Ingenieur prüft diese Aufgabenstellung auf mögliche Unklarheiten in den Anforderungen, auf Durchführbarkeit der Aufgabe, auf mögliche Risiken bei der Durchführung sowie auf die jeweiligen Randbedingungen beziehungsweise Voraussetzungen. Bei eventuellen Unklarheiten kann er jederzeit Rücksprache mit uns nehmen, um Mißverständnisse und Fehleinschätzungen möglichst frühzeitig auszuräumen. Er macht dann, wenn er an dem Auftrag interessiert ist, eine Aufwandsschätzung in Zeitbedarf und Kosten und vergleicht diese mit dem vorgegeben Liefertermin und dem veranschlagten Budget. Auf der Basis dieser Überlegungen erstellt er schließlich ein Angebot und schickt es, wiederum via WorldNet, an seinen Auftraggeber, in dem Fall also an uns. Dieser prüft das Angebot, führt üblicherweise noch Verhandlungen mit dem Anbieter oder den Anbietern und vergibt schließlich den Auftrag.“
„Hört sich eigentlich einfach an“, bemerkte Adrian.
„Es soll ja auch möglichst unkompliziert sein! Sonst wäre es ja mit großer Wahrscheinlichkeit schon wieder ineffizient!“ entgegnete Qiang. „Aber natürlich gibt´s auch immer mal wieder Fälle, wo es nicht ganz so smooth läuft. Such is Life!“
„Das versteht sich von selbst“, stimmte Adrian zu.
„Für uns ist jedenfalls das Entscheidende an diesem Prinzip“, erläuterte Qiang, „daß die Ingenieure jetzt nicht mehr für die Stunden bezahlt werden, die sie in der Firma verbringen, sondern ausschließlich für die erbrachte Leistung beziehungsweise das gelieferte Produkt – reines Leistungsprinzip! Wieviel Zeit und Mühe sie dafür aufgewendet und zu welchen Tages- oder Nachtzeiten sie daran gearbeitet haben, ist dem Auftraggeber völlig egal, Hauptsache das Ergebnis wird innerhalb des vorher vereinbarten Zeitraumes in der erwarteten Qualität geliefert.“
„Just in Time! Verstehe!“ sagte Adrian, wirkte aber dennoch etwas nachdenklich. „Und natürlich im vereinbarten Budget, nicht?“
„Der Preis der Leistung ist zu dem Zeitpunkt kein Thema mehr, denn der wurde ja bereits bei der Auftragsvergabe verhandelt. Es ist zwar auch schon manchmal zu Nachforderungen gekommen, wenn sich im Laufe der Bearbeitung unvorhergesehene Schwierigkeiten, die dann zu erheblichen Mehraufwendungen führten, ergeben haben. Da haben wir dann gegebenenfalls nachverhandelt. Aber im Normalfall ist das Thema mit der ursprünglichen Vertragsverhandlung für uns erledigt. Eventuelle Risiken gehen zu Lasten des Auftragnehmers. Wer seinen Job gut macht, der macht seine Risikoabschätzung bereits vor Angebotsabgabe sehr gewissenhaft, damit ihm später nicht solche Gefahren drohen. Genau das müssen wir ja gegenüber unseren Kunden auch tun.“
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