Das Familiengeheimnis. Peter Beuthner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Beuthner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738093650
Скачать книгу
Wider­spruch zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen von Urknall und Evolu­tion, das ist rich­tig. Aber es sind eben Mythen, bei denen es um die Bezie­hung von Gott, Mensch und Schöpfung zu einander geht und nicht um naturwissen­schaft­liche Sachverhalte. Der Mythos soll der Welt einen Sinn geben. Daran kann man glauben oder auch nicht.“

      „Ja, sicher. Man kann die Welt mythisch deuten oder rational erklären. Die Kosmogonie, also die Erklärungsmodelle zur Weltentstehung, ist so vielfältig wie die Phantasie und das Wissen der Menschen reichen.“

      „Ja, allein schon die Weltschöpfungsmythen in den verschiedenen Kultur­kreisen sind teils sehr unterschiedlich. Bei uns in China gibt es bekanntlich weder einen allmäch­tigen Schöpfer noch einen sol­chen göttlichen Willen. Im Buddhismus wird die Vorstellung einer wie auch immer gearteten Schöpfung und die eines Schöpfers, sei es nun eine göttliche Wesenheit oder ein abstraktes Prinzip, ignoriert oder als nebensächlich behandelt. Wie Sie sicher wissen, hatte der Buddha Siddhartha Gauta­ma das damit begründet, daß die Beschäftigung mit solchen unergründlichen Fragen im religiösen Leben letztlich keinen Erkenntnisgewinn bringe. Die Fragen nach Schöpfung und Her­kunft des Lebens seien prinzipiell nicht sinnvoll oder vollständig zu beantworten und er­zeug­ten lediglich Verwirrung bis hin zum Wahnsinn. Daher wolle er nichts darüber sagen.“

      „Richtig. Leider kann aber auch die Wissenschaft ihre Urknalltheorie immer noch nicht end­gültig be­wei­sen. In der Wissenschaft ist diese Theorie zwar allgemein akzeptiert, aber sie ist nicht direkt über­prüfbar, da man den ursprünglichen Vorgang ja nicht wiederholen und dabei beob­achten kann. Und solange man diesen Beweis nicht führen kann, bleibt es eben für viele Men­schen beim Glauben.“

      „Diese Beweisführung wollten ja die Forscher mittels eines simulierten Urknalls am ‚Large Hadron Collider‘ der 1954 von 12 europäischen Staaten gegründeten ‚Europäischen Organi­sa­tion für Kernforschung‘ (CERN) bei Genf erbringen und dabei neue Erkenntnisse über den Ursprung der Erde sammeln. Leider sind die Forscher immer noch nicht so weit gekom­men. Sie haben bisher nur Teilerfolge erzielen können.“

      „Ja, es gab ja auch verschiedene Pannen beziehungsweise Unfälle. Das begann schon gleich bei der Erst-Inbetriebnahme im September 2008 mit der explosionsartigen Ver­dam­pfung großer Mengen flüssigen Heliums in Folge eines elektrischen Defekts. Und so gab es immer wieder Rückschläge.“

      „Naja, wir werden es ja vielleicht noch erleben. Aber das bringt uns jetzt doch von unserem Thema ab. Jedenfalls kann ich die häufig gemachte Aussage: ‚Wissenschaftler spielen Gott‘ nicht unterschreiben. Zum einen bin ich kein Anhänger des Schöpfungsglaubens, und zum anderen betrachte ich es als eine sehr sinnvolle und für die Menschheit nutzbringende Auf­ga­be, der Natur dort, wo sie bislang selbst keine Veranlassung für die evolutionäre Entwick­lung von Leben für die Bewältigung bestimmter Herausforderungen oder Aufgaben hatte, gewisser­maßen auf die Sprünge zu helfen.“

      „Was meinen Sie?“

      „Nehmen wir ein Beispiel: Es besteht kein Grund für die Natur, Energierohstoffe zu produzie­ren. Aber der Mensch braucht sie dringend. In der Vergangenheit haben die Menschen die verfügbaren Rohstoffe wie Holz, Kohle, Erdöl und Erdgas sowie Radioaktivität genutzt. Die Vorräte sind inzwischen weitgehend verbraucht. Wir brauchen Alternativen – neben Wasser- und Windkraftanlagen, Geothermie und Solarenergie. Wir brauchen Energieträger der dritten Generation – produziert von Bakterien. Oder ein anderes Beispiel: Wir produzieren große Men­gen toxischer Abfälle, Chemikalien, radioaktive Substanzen, aber auch Erdölkatastro­phen verseuchen ganze Landstriche oder Meere. Den Abbau dieser gefährlichen Substan­zen sollen Armeen von entsprechend darauf ausgerichteten Bakterien bewältigen. Für die Natur bestand kein Bedarf für die Bewältigung solcher Aufgaben, weil es diese Schadstoffe nicht gab. Erst der Mensch schuf mit seinem häufig unbedachten Handeln diese neuartigen Herausforderun­gen. Und dafür schaffen wir Abhilfe mit synthetischen Organismen.“

      „Das ist nachvollziehbar. Bevor wir das vertiefen, würde ich aber gern noch einmal kurz auf den Ausgangspunkt unserer Debatte zurückkommen, wenn Sie erlauben.“

      „Selbstverständlich, gerne!“

      „Wenden Sie die Verfahren eigentlich auch beim Menschen an?“

      „Das ist die größte Sorge, die immer wieder von allen Seiten geäußert wird. Ich bin oft genug mit dieser Frage konfrontiert worden. Ich, für meinen Teil, kann diese Frage glatt verneinen, denn wir betreiben in unserem Institut lediglich Forschung auf diesem Gebiet, keine ange­wandte Medizin oder dergleichen. Aber ich kann Sie auch weitergehend beruhigen: Diese Tech­no­logie wird meines Wissens ausschließlich in ganz begrenztem, wohl definierten, weit­hin akzeptierten und staatlich kontrolliertem Umfang zur Gen-Therapie angewandt, also zur Heilung oder sogar Vermeidung von Erbkrankheiten.“

      „Das ist auch mein Verständnis. Ich glaube mich zu erinnern, gehört zu haben, daß bei gen­defekt-bedingten vererbbaren Krankheitsrisiken, zum Beispiel bei Mukoviszidose und be­stimm­­ten Krebsarten, schon seit längerem auf Wunsch der Betroffenen eine Gentherapie vor­genom­men werden kann.“

      „Das ist richtig. Aber was Sie vermutlich meinen, ist eine Präimplantations­diagnostik mit an­schließender Embryonenselektion. Das macht man schon sehr lange, ja, beispielsweise bei genetisch bedingtem Tumorrisiko. Bereits 2007 oder 2008 ist da ein Fall aus Großbritannien publiziert worden, soweit ich mich erinnere. Und zwar waren dort in einer Familie über drei Generationen die Frauen an Brustkrebs erkrankt, weil sie – wie sich dann bei Untersuchun­gen herausstellte – Trägerinnen einer Mutation im BRCA1-Gen waren. In so einem Fall ist die Wahr­scheinlichkeit auch für die nächste Generation sehr groß, an Brustkrebs zu erkranken, immerhin 50 bis 80 Prozent, weshalb auf Wunsch der Familie die damals noch relativ neue Methode der PID angewandt wurde. Das bedeutet jedoch nicht, daß eine Gen-Manipulation vorgenommen wurde, sondern lediglich eine Selektion gesunder Embryonen. Das ist etwas ganz anderes!“

      „Aha, verstehe! Diese Methode ist sicher weniger riskant als eine Genmanipulation und ethisch unbedenklicher.“

      „Sollte man meinen. Eine ‚künstliche’ Selektion gesunden Lebens ist allemal unbedenklicher als eine künstliche Manipulation am menschlichen Erbgut. Aber dieser Aussage stimmen selbst heute noch längst nicht alle Menschen zu, obwohl diese Methode inzwischen gängige medizinische Praxis ist. In den Anfangsjahren gab es große Debatten um das Thema: Die Befürworter schwärmten von einer neuen Ära medizinischen Fortschritts, während die Geg­ner eine vorgeburtliche genetische Diagnostik und Embryo-Selektion aus ethischen Erwä­gun­gen grundsätzlich ablehnten. Die Kritiker empfanden es als schweren Tabubruch. Ins­besondere wurde immer wieder die Grenze des Zulässigen debattiert: Bis wohin sollte man gehen dürfen, und was sollte nicht mehr erlaubt sein? Welche Kriterien wären dafür maß­geblich, und wie könnte die Einhaltung überwacht werden? Endlose Debatten!“

      „Aber nicht zu Unrecht, denke ich. Es sind schließlich alles sehr grundsätzliche Fragestellun­gen, Fragen der Ethik, Auffassungen vom Menschenbild.“

      „Alles richtig. Aber die Debatten haben auch gezeigt, daß die Auffassungen nicht nur weit aus­­einandergehen, sondern auch über der Zeit variieren. Das heißt, daß die Grenze zwischen dem, was in der Gesellschaft noch akzeptabel beziehungsweise nicht mehr akzep­tabel er­scheint, fließend ist. Sie verschiebt sich mit der Zeit. Sehen Sie, es ist doch so: Am Anfang einer neuen Entwicklung, wenn man noch nicht genau überschauen kann, ob letztlich die Chan­cen oder Risiken überwiegen werden, dann haben viele Leute Angst davor und wollen diese Entwicklung am liebsten unterbinden. Wenn man zu allen Zeiten auf diese Leute gehört hätte, dann gäbe es keine Fortschritte. Nun gibt es aber glücklicherweise mindes­tens ebenso viele Menschen, die von einem unheimlichen Forscherdrang beseelt sind, und die sich in ihrer Forschungsarbeit auch nicht von den Bedenkenträgern abbringen lassen. Ihnen verdanken wir all die Fortschritte, die dann schließlich auch die ehemaligen Bedenkenträger gern in An­spruch nehmen. Bestes Beispiel: Die PID war nicht aufzuhalten, genau wie schon die In-vitro-Fertilisation zirka 30 Jahre zuvor. Bald schon liefen künstlich befruchtete Retorten-Babys en mass herum. Und heute laufen auch künstlich embryonen-selektierte Retorten-Babys