Das Familiengeheimnis. Peter Beuthner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Beuthner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738093650
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sehr berechtigt. Solange es sich um die Vermeidung von schweren Erbkrankheiten handelt, kann man die Mög­lich­keit der PID eigentlich nur begrüßen. Ich sähe jedenfalls keinen einzigen Grund, der dage­gen spräche. Wenn es aber darum geht, das Genom eines Menschen im Sinne von den Eltern gewünschter Eigenschaften, wie zum Beispiel Aussehen, Körperbau oder Intelligenz, zu mani­pu­lieren oder auch nur zu selektieren, dann hätten wir es mit einem ‚Designer­­baby’ zu tun, und das schiene mir eher nicht gerechtfertigt.“

      „Wir reden aber im Moment nicht über Manipulation, sondern lediglich über Selektion. Und Selektion bedeutet nicht Design! Es ist lediglich – wie der Name schon sagt – eine Auslese. Sie können also bei den gegebenen Embryonen lediglich deren Genome auf ihre Merkmale hin analysieren und dann einen geeigneten beziehungsweise gewünschten auswählen und ein­pflan­zen.“

      „Das stimmt allerdings. Wir reden hier immer noch über Selektion. Was mich aber eigentlich viel mehr interessiert, ist das Thema Manipulation. Sie sprachen ja vorhin von genetisch verän­der­ten Organismen.“

      „Manipulation des menschlichen Erbgutes im Sinne eines genetischen Neuentwurfes zum Zwecke der Optimierung körperlicher und geistiger Fähigkeiten, das ist gleichbedeutend mit dem Design eines Menschen, und das ginge weit über die gerade angesprochene Auslese gesunder Embryonen sowie die ‚Reparaturfunktion’ krankhafter Gene hinaus. Es wäre in der Tat ein sehr fragwürdiges Unterfangen, ein gravierender Eingriff in die Natur des Menschen. Die Möglichkeiten dazu sind heute schon weitgehend ge­geben, ja, aber das gehört nicht zu meinem Aufgabenfeld.“

      „Aber sagten Sie vorhin nicht, daß sich Ihr Arbeitsgebiet über alle Organisationsebenen der belebten Natur erstreckt, von der molekularen über die zelluläre bis hin zur Ebene höher entwickelter Organismen? Ist es Ihrem Aufgabenfeld also nicht zumindest sehr verwandt?“

      „Ja, ja, das bedeutet jedoch nicht, daß wir in unserem Institut am Menschen arbeiten.“

      „Okay, akzeptiert. Aber darf ich interessehalber trotzdem eine Frage dazu stellen?“

      „Ja, bitte.“

      „Ich habe mal gelesen, daß man die DNA-Sequenz von Bakterien, Pflanzen, Tieren und sogar vom Menschen mit einer sogenannten Gen-Schere vom Typ Crispr-Cas – was auch immer das heißt – ganz gezielt an einer definierten Stelle aufschneiden, bestimmte Genregionen heraustrennen und neue Erbinformation einsetzen kann. Ist das richtig?“

      „Ja, das stimmt. Das Verfahren beherrscht man schon sehr lange. Entdeckt wurde es in den 1970er Jahren gewissermaßen bei der Beobachtung, wie ein neuer Virus eine Bakterienpopulation attackierte und diese zum großen Teil vernichtete. Aber einige Bakterien hatten diesen Angriff überlebt, mit bestimmten eigenen Enzymen einen Teil des Viren-Erbgutes abgeschnitten und diesen in ihre eigene DNA integriert. Damit hatten die Bakterien für sich – aber auch gleich für deren Nachkommen – eine Abwehrwaffe gegen erneute Viren-Attacken dieser Art generiert. Denn mit jeder nächsten Teilung des Bakteriums vererbt sich auch die integrierte Viren-Erbinformation (genannt Crispr) und damit der Schutz gegen deren Attacken auf die Nachkommen. So wird bei jedem erneuten Angriff dieses Virus-Typs die vom Bakterium aufgenommene Virus-Erbinformation des Angreifers erkannt und dessen Erbgut mittels eines Schneide-Enzyms (genannt Cas) an genau dieser Stelle zerschnippelt. Mit dieser Erkenntnis hatten die Forscher eine Möglichkeit zur gezielten Genmanipulation gefunden. Man nennt es jedoch nicht ‚Manipulation‘, sondern ‚Genome Editing‘. Die Technik wurde im Laufe der Jahre ständig verbessert; insbesondere die im Jahre 2015 entwickelte Methode ‚Crispr Cas9‘ erlaubt seither eine schnelle, einfache und sehr zielgerichtete Veränderung der DNA.“

      „Das ist ja wirklich interessant. Aber ist es nicht sehr gefährlich, in das Erbgut des Menschen einzugreifen und damit die Evolution gewissermaßen in die eigenen Hände zu nehmen?“

      „Den Eingriff in das Erbgut beherrscht man mit der neuen Technik inzwischen sehr gut, und es hat schon vielen schwerkranken Menschen zum Nutzen gereicht. Es wird meines Wissens ausschließlich zu Therapiezwecken angewandt. Und insofern beeinflußt es auch nicht die Evolution, denn dazu müßte ein Eingriff in die Keimbahn vorgenommen werden.“

      „Sie glauben nicht, daß das geschieht?“

      „Nein, ich gehe davon aus, daß man letztlich vor diesem Schritt zurückschrecken wird.“

      „Was berechtigt Sie zu dieser Annahme?“

      „Nun, eine Spezies, die über das nötige Wissen und die Mittel verfügt, ihre eigene Art so zu ver­ändern, daß diese neugeschaffenen Kreaturen ihren ‚Schöpfern’ körperlich und geistig über­­legen sind, diese Spezies würde sich selbst zum Sklaven ihrer Schöpfung machen und daran schließlich ganz zugrunde gehen. So dumm wird kein Mensch sein.“

      „Sehr weise! Hoffentlich denken alle so.“

      Herr Li lächelte und nickte mit dem Kopf.

      „Ich verstehe Ihre Aussage also so, daß sich Ihre Arbeit nicht auf den Menschen als Ver­suchs­objekt bezieht, sondern lediglich auf niederere Lebewesen?“

      „So ist es. Und damit kommen wir wieder auf unseren Ausgangspunkt zurück – die Synthe­tische Biologie: Sie vereint neben der klassischen Biologie viele verschiedene andere Wis­sen­­schaften wie etwa die Molekularbiologie und die Biotechnologie, sowie Chemie, Physik, Infor­ma­tik, sogar Mathematik, und sie ist gewissermaßen die Weiterentwicklung der System­biolo­gie, wo wir versuchen, mittels theoretischer Konzepte und mathematischer Methoden ein ver­tief­tes Verständnis von den komplexen Vorgängen in der Zelle zu erhalten. Die dabei erlangten Erkenntnisse werden dann in der Synthetischen Biologie konsequent zu einem rationalen Design von biologischen Systemen und Bausteinen umgesetzt. Und anders als in der her­­kömmlichen Gentechnik, wo lediglich einzelne Gene modifiziert, transferiert bezie­hungs­weise zwischen verschiedenen Organismen ausgetauscht werden, verändern und er­wei­­tern wir auch den genetischen Code mit seinen normalerweise 20 Standard-Amino­säu­ren. Uns geht es um das Design kompletter künstlicher biologischer Syste­me. Sie sehen, wir sprechen in diesem Kontext auch von Systemen.“

      „Aha?!“ äußerte sich Qiang etwas verwundert.

      „Ja, wir benutzen in der Biologie auch andere Termini technici wie beispielsweise Bauplan, Bau­kasten und Schaltkreis. Überhaupt haben wir eine ganze Menge aus der Terminologie und Arbeitsweise der Technik übernommen. Auch wir bedienen uns beim Design- und Ent­wick­lungs­­prozeß ingenieur­wissen­schaft­licher Methoden. Nicht ohne Grund ist da eine ganz neue Berufsbezeichnung, der Bioingenieur, entstanden.“

      „Ah, ja! Interessant, daß Sie in der Biologie in ganz äquivalenter Weise wie wir in den tech­nischen Disziplinen arbeiten.“

      „Selbstverständlich! Die ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen bestehen ja schon wesent­lich länger als das vergleichsweise neue Arbeitsgebiet der Synthetischen Biologie und haben somit eine gewisse Vorbildfunktion für uns. Was sich in der Praxis schon bewährt hat und übertrag­bar ist, das muß doch nicht neu erfunden werden.“

      „Sie sagen es! Aber dieser Gedanke muß sich natürlich erst mal in den Köpfen unserer Ent­wick­lungsingenieure – welcher Couleur auch immer – manifestiert haben. Dazu muß üblich­er­weise ein längerer ‚Erziehungsprozeß’ durchlaufen werden – mit entsprechendem Nach­druck der Geschäftsleitungen, versteht sich. Denn es entspricht bekanntlich ein bißchen der typischen Mentalität eines Entwicklungsingenieurs, lieber alles selber und immer wieder neu zu entwickeln anstatt fertige Entwicklungen beziehungsweise Komponenten von anderen zu übernehmen – nach der bekannten Devise: ‚Not invented here!’ Kennen Sie sicher auch?!“

      „Ja, ja, natürlich!“

      „Nehmen wir nur mal das sogenannte Baukastenprinzip. Bei uns in der Technik wird ja schon sehr lange so gearbeitet – anfangs eher zögerlich und nur vereinzelt, aber inzwischen sehr konsequent und durchgängig. Denn mit der Zeit wurde der Kosten-Druck einfach zu groß. Man kann ja nicht immer alles neu entwickeln, wenn es schon brauchbare Lösungen gibt; das kann niemand mehr bezahlen. ‚Re-useability’