Das Familiengeheimnis. Peter Beuthner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Beuthner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738093650
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passen, das fragen sie nicht! Sie ordnen einfach an und setzen durch! Und sie scheuen sich nicht, ihre Drei-Millionen-Armee notfalls auch gegen das eigene Volk einzusetzen – wie sie es schon 1989 in Beijing auf dem Platz des himmlischen Friedens gemacht haben! Möchtest du solche Verhältnisse in Europa?“

      „Nein, natürlich nicht! . . . Schade, daß es nicht irgendwas dazwischen gibt“, sinnierte Ellen. „Eine Staatsform, die auf Freiheit ihrer Bürger fußt, aber dennoch entschlußfreudiger agieren kann.“

      „Ja, das muß aber erst noch erfunden werden.“

      Beide lachten.

      „Wie wirkt sich das jetzt eigentlich im täglichen Leben bei euch aus?“ wollte Ellen wissen.

      „Was meinst du?“

      „Naja, das autoritäre System, . . . wie macht sich das bemerkbar?“

      „Solange du dich politisch konform verhältst, Partei und Regierung nicht kritisierst, den obli­ga­ten ‚politischen Unterricht‘ regelmäßig besuchst und gelegentlich an einer ‚freiwilligen Gemein­schaftsaufgabe‘ teilnimmst, solange kannst du eigentlich ziemlich ungestört dein Leben leben. Aber wehe, du wagst es zu opponieren! Dann spürst du die Härte des Systems in seiner ganzen Bandbreite – von Schikane bis zur Todesstrafe.“

      „Da fällt man besser nicht auf, was?“

      „Es ist nicht ratsam.“

      „Schrecklich!“

      „Ja, das ist schrecklich. Aber wenigstens haben wir ziemlich weitgehende persönliche Frei­heiten inzwischen. Das war ja lange Zeit nicht der Fall. . . . Naja, und davon mal abgesehen – wer weiß, wie vorhin schon mal angesprochen, ob es China in der Form überhaupt noch gäbe, wenn es nicht ‚mit harter Hand‘ regiert worden wäre. Vielleicht wäre das Reich schon längst zerfallen, hätte ein ähnliches Schicksal erlitten wie die ehemalige Sowjetunion. Das war und ist bis heute ein abschreckendes Beispiel für unsere Staats- und Parteiführung.“

      „Das kann ich mir vorstellen.“

      „China ist ja auch kein ‚homogenes’ Land, auch wenn es von Europa aus vielleicht den An­schein haben mag. Es gibt ganz viele Ethnien bei uns. Und viele von ihnen wären lieber auto­nom. Denk nur an die Aufstände der Tibeter und der Uiguren beispielsweise, die blutig nieder­geschlagen wurden. Wenn das chinesische Regime hier Schwäche zeigt, dann bricht das Land ganz schnell auseinander, fürchte ich.“

      „Das könnte sein, ja.“

      „Und das ist auch der Grund, weshalb sie die Zügel nach wie vor so fest in der Hand halten und jede Opposition gleich im Keim ersticken. Deshalb werden auch die Kinder schon von klein auf im Sinne der kommunistischen Idee erzogen und zu allerlei ‚freiwilligen’ Gemein­schafts­­aufgaben verpflichtet. So etwas gibt es hier bei euch nicht, da könnt ihr wirklich froh sein.“

      „Da hast du allerdings völlig recht. Da kann ich ohne Wenn und Aber zustimmen“, pflichtete Ellen ihr bei. „Weißt du, man hatte ja auch in Deutschland lange Zeit kontrovers diskutiert, ob man nicht für alle Jugend­lichen, Jungen und Mädchen ohne Ausnahme, einen sechsmona­tigen Arbeitseinsatz in einem bestimmten, von jedem Jugendlichen frei wählbaren Einsatz­bereich, beispielsweise beim Militär, beim Rettungs­dienst, bei der Kranken- oder Altenpflege, bei der Behinderten­betreuung, bei der Pflege und Reinigung öffentlicher Anlagen, in der Ent­wick­lungshilfe und ähnliches, nach Absolvierung der Schule als Dienst für die Gesellschaft ver­pflichtend vorschreiben sollte. Die Verfechter dieser Forderung argumentierten: Jeder soll sich in die Gemeinschaft einbringen und frühzeitig lernen, daß man als Teil dieser Gemein­schaft nicht nur deren Vorteile in Anspruch nehmen könne, sondern daß man selber auch etwas für die Erhaltung und Weiterentwicklung dieser Gemeinschaft tun müsse – so etwa in dem Sinne, wie Kennedy es mal ausdrückte: ‚Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern frage dich, was du für dein Land tun kannst’. Schließlich wurde aber doch wieder Abstand davon genommen, und zwar aus einem ganz pragmatischen Grund: Es gab nicht genug Arbeitsplätze. Der Konkurrenzkampf um Arbeit hatte sich im Laufe der Zeit so dras­tisch verschärft, daß man – allein aus dieser Not heraus – von jedweder ehrenamtlichen oder sonstigen freiwillig und unentgeltlich erbrachten Tätigkeit völlig abgekommen war. Einfache Tätigkeiten überläßt man gern solchen Leuten, die andere, schwierigere Aufgaben nicht oder nicht mehr ausführen können, oder deren sonstiges Einkommen noch dringend einer Auf­bes­se­­rung bedarf. Schwierigere Aufgaben hingegen werden ausschließlich an dafür ausge­bil­dete Fachkräfte vergeben. Jede Leistung hat ihren Preis und muß entsprechend vergütet werden. Und je besser die Ausbildung, desto vielseitiger die Einsatz­möglichkeiten und umso größer die Chancen auf eine interessante, anspruchsvolle Tätigkeit. Das bekom­men alle Schüler während ihrer Ausbildung eindringlich vermittelt. Aber genauso deutlich wird ihnen vermittelt, daß eine gute Ausbildung zwar eine gute Voraussetzung für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben darstellt, daß sie aber noch keine Gewähr für eine länger­fristige beruf­liche Karriere ist. Denn in Anbetracht der sehr dynamischen Entwicklung und Fortschritte in allen Bereichen kann man sich nicht auf seinen anfänglichen Lorbeeren aus­ruhen, sondern muß fortwährend versuchen, mit dem sich immer schneller vermehren­den Wissen schrittzu­halten.“

      „Richtig! Und eingedenk dieser Tatsache ist die Devise ‚Ein Leben lang lernen’ inzwischen ja auch nicht mehr nur eine Floskel, sie ist tatsächlich Realität geworden. Der Mensch ist zwar in seinem späteren Leben nicht mehr so aufnahmefähig wie während seiner Kindheit, aber das Gehirn lernt immer – und zwar um so besser, je mehr man es trainiert. Wer diese Er­kenntnis erst einmal verinnerlicht hat, der wird selbst im altersbedingten, gemeinhin ‚wohl­verdienten’ Ende seiner Berufszeit nicht das Ende geistiger und schöpferischer Tätig­keit sehen. Im Gegen­teil, die Alten werden immer älter, und sie halten sich im eigenen wie auch im Interesse der Gesellschaft so lange wie möglich fit – körperlich und geistig.“

      „Klar, körperlich und geistig fit halten, ist unheimlich wichtig“, sagte Ellen, „aber man muß ja auch finanziell über die Runden kommen. Wenn man da allein auf die AGV angewiesen ist und sonst nichts hinzuverdient, dann ist man schon ganz schön bescheiden dran.“

      „Ja, du hast die AGV schon mehrfach erwähnt. Aber kannst du mir das nochmal etwas genauer erklären?“ fragte Chan.

      „Ja, das ist die Allgemeine Grundversorgung“, erklärte Ellen, während sie auf die Uhr schaute. „Oh, mein Gott, es ist ja schon so spät, Chan! Ich muß ja meine Männer versorgen. Die sitzen bestimmt schon mit knurrenden Mägen zu Hause und warten auf mich, während ich hier sitze und schwätze und schwätze. Sei mir nicht böse, aber ich muß jetzt wirklich gehen. Ich erkläre dir das mit der AGV beim nächsten Mal, ganz bestimmt.“

      Chan lächelte nur und winkte ab: „Nur keine Hektik, deine Männer sind doch schon groß, die können sich doch sicher mal selbst versorgen.“

      Beide lachten, und Ellen sagte schließlich: „Ja, natürlich. Und sie könnten sich ja auch von Robby etwas zubereiten lassen. Aber trotzdem, es wird wirklich Zeit für mich, mal wieder nach dem Rechten zu sehen. Die Zeit ist leider wahn­sinnig schnell vergangen.“

      Sie packte ihre Utensilien zusammen. Chan begleitete sie zur Garderobe, wobei sie sich immer noch angeregt über allerlei mehr oder weniger Belangloses unterhielten. So dauerte es noch fast zehn Minuten, bis sie sich endlich verabschiedeten.

      Besuch aus China

      Freitag, 16.58 Uhr. Es klingelte an der Haustür. Robby öffnete die Tür und begrüßte den Gast mit einer höflichen Verbeugung, freundlichem Lächeln und namentlicher Ansprache, denn er wußte natürlich, daß genau dieser Gast von seinem Hausherrn erwartet wurde. Er war schnell, schneller als Qiang, der eigentlich persönlich seinen Gast an der Haustür in Em­pfang nehmen woll­te. Nun war ihm Robby doch schon zuvorgekommen. Professor Li stand noch in der Tür­schwel­le und musterte Robby von oben bis unten, als Qiang herbei­eilte, um seinen Gast will­kom­men zu heißen.

      „Herr Professor