Es gibt nicht nur mehr Kurse und Ausbilder, auch die Ausbildung der Ausbilder selber ist wesentlich verbessert worden. Sie müssen grundsätzlich ein Hochschulstudium absolvieren, das neben der gewählten fachlichen Ausrichtung insbesondere auch Seminare in Pädagogik, in Psychologie, in der Vermittlung von Sozialkompetenz, in der Behandlung von beziehungsweise im Umgang mit Konfliktfällen, in der Motivation von Schülern, in der Erziehungsmethodik und in der Didaktik umfaßt.
Die Ausbilder sind keine Beamten, und sie sind auch nicht auf Lebenszeit angestellt. Für sie gilt das Leistungsprinzip wie für alle anderen, denn auch Lehrer brauchen Leistungsanreize, damit sie nicht mit der Zeit abstumpfen und gleichgültig werden. Ihre Dienstverträge gelten immer nur für ein Schuljahr, werden aber bei Bewährung um jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Es gibt auch kein Einheitsgehalt für sie. Vielmehr sind ihre Befähigung und ihr Engagement ausschlaggebend für die Bezahlung. Je besser die Unterrichtsgestaltung, je mehr Stunden und je größer der Einsatz in zusätzlichen Aufgaben, wie beispielsweise Individualbetreuung, Pausenaufsicht, Hobbystunden, Diskussionszirkel, Sport- und Spielstunden, Exkursionen, et cetera, desto mehr zahlt sich dies für den Betreffenden aus. Art und Umfang ihres Engagements können die Ausbilder für jedes Jahr von neuem selber bestimmen; es wird dann vertraglich für das jeweilige Jahr festgeschrieben.
Da alle Unterrichtsräume video-überwacht sind und alles fortlaufend aufgezeichnet wird, besteht die Möglichkeit, einzelne Szenen, Unterrichtsstunden oder auch bestimmte Entwicklungen einen Lehrer oder Schüler betreffend über einen bestimmten Zeitraum gezielt zur nachträglichen Beobachtung auszuwählen und für Beurteilungen heranzuziehen. Diese Maßnahme dient somit auch als zusätzlicher Leistungsanreiz für Schüler und Lehrer: Die Schüler benehmen sich anständig, weil ihnen im Bedarfsfall jede ‚Sünde‘ nachgewiesen werden kann, und die Lehrer haben den Ansporn, guten Unterricht zu machen, weil sie andernfalls Gefahr liefen, ihren Vertrag nicht verlängert zu bekommen.
Das war nicht einfach durchzusetzen, die Lehrer haben sich lange vehement dagegen gesträubt, Einblicke von außen in die gewohnte Autonomie ihres Unterrichts zulassen und sich gegebenenfalls der Kritik anderer aussetzen zu müssen. Während sie ihr Berufsleben lang Urteile über andere fällten, also routiniert mit der Kritik an der Arbeit anderer umzugehen gewohnt waren, hatten sie nie gelernt, mit Kritik an der eigenen Person oder an ihrem Unterricht umzugehen – weder in der Ausbildung noch im Beruf. Und da es – anders als in anderen Berufen – keine einheitlichen Standards für den Lehrerberuf gab, fehlten ihnen schlicht und einfach auch die Maßstäbe für ihre Leistung, was sie zusätzlich verunsicherte. Kritik empfanden sie als etwas Negatives, selbst wenn diese eigentlich konstruktiv gemeint war. So wuchs über die Jahre das Unbehagen der Schüler darüber, täglich von Menschen bewertet zu werden, deren eigene Leistung sich jeglicher Kontrolle entzog, während sie selbst sich in ihrer Meinungsäußerung unterdrückt sahen. Auf der anderen Seite war mit der Einführung des Leistungsprinzips im Ausbildungsbetrieb Transparenz eine unabdingbare Voraussetzung geworden, der sich auch die Ausbilder nicht entziehen konnten. An den Schulen wurde eine offene Feedback-Kultur eingeführt, die den Schülern seither die Möglichkeit gibt, ihre Lehrer zu beurteilen. Und auf der anderen Seite gibt es die erwähnte Videoaufzeichnung des Unterrichts für Kontrollzwecke in bestimmten Fällen.
Die staatliche Schulaufsicht gibt keine detaillierten Lehrpläne vor, sondern lediglich Lernziele, die von den Lehrern erreicht werden müssen – wie, das bleibt im wesentlichen ihrem Gestaltungsspielraum überlassen.
Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt nicht mehr in der reinen Wissensvermittlung, und schon gar nicht in Form von überwiegend frontaler Ansprache, sondern vielmehr in der praktischen Anleitung zum richtigen Lernen und dem Finden bestimmter Informationen durch gemeinsames, interaktives ‚Erarbeiten‘ von Wissen in der Gruppe, im Wecken von vielseitigen Interessen und dem Schaffen entsprechender Anreize, in der Förderung der Kreativität und der analytischen Denkweise, in der Förderung selbständigen Denkens und Handelns sowie in der Prägung von sozialem und verantwortungsbewußtem Verhalten in der Gemeinschaft, von Teamfähigkeit. Die Schüler bekommen natürlich in jedem Fach ein gewisses ‚Grundgerüst‘ an Wissen, das nötig ist, um eigene Interessensgebiete zu entdecken und zu erschließen, so daß es ihnen möglich ist, sich weiteres Wissen dazu eigenständig zu erarbeiten. Aber gerade dieses selbständige Erarbeiten und die dazu geeigneten Vorgehensweisen bilden den eigentlichen Schwerpunkt der Ausbildung. Reines Auswendiglernen von Fakten, insbesondere vor Prüfungen, das ist Vergangenheit.
Besonderer Wert wird auch auf die Fähigkeit zur Konzentration gelegt, die effizientes Lernen und Arbeiten überhaupt erst ermöglicht. Folgerichtig gehören tägliche Konzentrationsübungen zum festen Trainingsprogramm. Untersuchungen haben nämlich gezeigt, daß sich die meisten Menschen frühestens nach 15 Minuten so konzentrieren können, wie es viele Aufgaben verlangen. Diese Viertelstunde braucht das Gehirn, um alle Informationen zu ordnen. Mit jeder neuen Unterbrechung gehen alle Daten wieder verloren. Ablenkungen während des Lernprozesses schränken zudem die Merkfähigkeit ein.
Das in der schnellebigen Zeit weitverbreitete Bestreben, möglichst viele Dinge gleichzeitig machen zu wollen, hat sich daher in der Praxis nicht bewährt. Dieses sogenannte Multitasking bedeutet häufiges Hin- und Herspringen zwischen den einzelnen Informationen, Aufgaben, Themen, Problemen in kurzen Abständen, und dies erfordert die Teilung der Aufmerksamkeit beziehungsweise eine Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne. Da aber niemandem mehr als 100 Prozent Aufmerksamkeit zur Verfügung stehen, werden die einzelnen Aufgaben zwangsläufig weniger effizient ausgeführt, das heißt langsamer, weniger gut und fehlerbehaftet: Der ständige Wechsel zwischen mehreren Aufgaben impliziert für das Gehirn nämlich Streß, und der beeinträchtigt gerade die Hirnareale, die zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden und unsere Leistungen auf die einzelnen Aufgaben sinnvoll verteilen können – was dazu führt, daß man nur noch impulsiv und aktionistisch reagiert, anstatt zu überlegen und bewußt zu agieren. Die Folge sind Fehler und falsche Entscheidungen. Außerdem kostet es zusätzliche Energie und macht daher schneller müde.
„Wie schon gesagt“, fuhr Ellen fort, „die früher üblichen unterschiedlichen Schulsysteme und Schultypen gibt es längst nicht mehr. Es gibt nur noch einen – wohlgemerkt: staatlichen! – Schultyp, die Ganztagsschule von 8.00 bis 16.00 Uhr für ausnahmslos alle Schüler vom fünften bis zum 17. Lebensjahr – also für alle, die nicht eine private Schuleinrichtung besuchen. Jeder Bürger hat bei uns ein Recht auf Bildung, einen Anspruch auf Ausbildung. Und dabei hat er die freie Auswahl zwischen dem staatlichen System und den diversen privaten Einrichtungen. Bei dem staatlichen System, über das wir hier sprechen, findet keine Selektion der Schüler nach Leistung mehr statt im Sinne von Sitzenbleiben oder Aussortieren auf eine andere Schule, wie das früher besonders in Deutschland der Fall war. Die Schüler bleiben in ihrer Jahrgangsgemeinschaft über die zwölf Jahre integriert, aber sie können unterschiedliche Fächer wählen und unterschiedlich starken und schnellen Leistungsgruppen angehören. Das klassische Spektrum an Unterrichtsfächern ist erheblich ausgedehnt worden. Es erstreckt sich so ziemlich über alle Lebensbereiche, so daß viele Schüler hier bereits den Einstieg in ihre spätere berufliche Ausrichtung finden.
Neben den lernbetonten Leistungsgruppen gibt es zahlreiche Sport-, Spiel-, musische, künstlerische und handwerkliche Gruppen, häufig als ‚Hobbygruppen’ bezeichnet, die – wie der Name schon sagt – der gemeinschaftlichen Pflege bestimmter Hobbys unter Anleitung eines Ausbilders und gleichzeitig aber auch der notwendigen Entspannung zwischen den Lerneinheiten dienen. Wie überhaupt das Tagespensum sehr abwechslungsreich gestaltet ist. Das fängt schon damit an, daß die erste Stunde am Morgen grundsätzlich eine Hobby- oder Spielstunde ist, die