Das Familiengeheimnis. Peter Beuthner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Beuthner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738093650
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unserem Wohle zusammengearbeitet haben, dann scheint es fast, als habe das Universum in einem gewissen Sinne gewußt, daß wir kommen.‘

      Seit Kopernikus und Galilei wissen wir, daß unsere Erde und wir Menschen eben nicht den Mittelpunkt der Welt bilden, sondern daß wir nur einen ganz marginal kleinen Punkt irgendwo im riesigen Uni­versum darstellen. Angesichts solcher Zitate aber muß man fast den Eindruck gewinnen, daß letztlich doch die Menschheit eine besondere Stellung im Universum einneh­me, weil eben alle kosmischen Parameter auf menschliches Leben ausgerichtet zu sein schei­­nen. Es kommt mir ein bißchen so vor wie die Rückkehr zum vorkopernikanischen geo­zen­trischen Weltbild.“

      „Empfändest du das als anmaßend? Und könnte es nicht vielmehr so sein, daß die Leute von den vielen Zufällen ganz einfach nur beeindruckt sind und ihrem Eindruck auf diese Weise Ausdruck verleihen?“ gab Jiao zu bedenken.

      „Sicher! Ich will ja auch gar nicht in Abrede stellen, daß sich da eine vielleicht ziemlich singu­läre Konstellation eingestellt hat. Für mich stellt sich eher die Frage der Interpretation dieser Gegebenheiten: Schaue ich jetzt nur von der menschlichen Existenz ausgehend, dem Anthropischen Prinzip folgend auf die Entstehung des Universums zurück, oder lasse ich es zu, daß sich im Universum möglicherweise auch ganz andere Konstellationen mit vielleicht anderen Lebensformen gebildet haben können.“

      „Was bedeutet das Anthropische Prinzip?“

      „Gleich. Ich will nur eben noch ein Beispiel zu der anthropischen Argumentation zitieren, das ich mal in einem Vortragsmanuskript von Professor Peter Hägele von der Universität Ulm ge­funden habe:

      ‚Auf der Erde gibt es eine Lebensform mit Bewußtsein, eine beobachtende Intelligenz. Wie muß das dazu gehöri­ge Universum aussehen? Diese Frage kann nicht beantwortet werden ohne die folgenden logischen Schritte:

       Bewußtsein setzt voraus, daß es Leben gibt;

       Leben braucht als Grundlage seines Entstehens chemische Elemente, vor allem auch solche, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium;

       Schwere Elemente entstehen aber nur durch thermonukleare Verbrennung der leichten Elemente, also durch Atomkernverschmelzung;

       Atomkernverschmelzungen laufen jedoch nur im Innern der Sterne ab und benötigen wenigstens einige Milliar­den Jahre, um größere Mengen an schweren Elementen zu produzieren;

       Eine Zeitspanne von mehreren Milliarden Jahren steht aber nur in einem Universum zur Verfügung, das selbst wenigstens einige Milliarden Jahre alt und damit einige Milliarden Lichtjahre ausgedehnt ist. [. . . ]

       In späteren kosmischen Epochen würden andererseits kaum mehr sonnenähnliche Sterne existieren, sondern hauptsächlich nur mehr energieschwache Weiße Zwerge, die eine planetare, langsam biologisch evolvierende Lebensform nicht mit ausreichender Energie versorgen könnten.

       Daher kann die Antwort auf die Frage, warum das heute von uns beobachtete Universum so alt und so groß ist, nur lauten: Weil sonst die Menschheit gar nicht hier wäre.‘

      So, jetzt aber zu deiner Frage: Anthropos bedeutet im Griechischen ‚Mensch‘, und dieses auf den Menschen bezogene Prin­zip besagt, daß das beobachtbare Universum für die Entwick­lung intelligenten Lebens geeignet sein muß, da wir andernfalls nicht hier sein, es beobach­ten und physi­ka­lisch be­schreiben könnten. Das klingt eigentlich ziemlich banal, hat aber zu heftigen Diskus­sionen in der Wissenschaftswelt angeregt. So schrieben beispielsweise John Barrow und Frank Tipler in ihrem Buch The Anthropic Cosmological Principle:

      ‚Nicht nur, daß der Mensch in das Universum hineinpaßt. Das Universum paßt auch zum Menschen. Man stelle sich ein Universum vor, in dem sich irgendeine der grundlegenden dimensionslosen physikalischen Konstanten in die eine oder andere Richtung um wenige Prozent verändern würde? In einem solchen Universum hätte der Mensch nie ins Dasein kommen können. Das ist der Dreh- und Angelpunkt des Anthropischen Prinzips. Gemäß diesem Prinzip liegt dem gesamten Mechanismus und dem Aufbau der Welt ein die Existenz von Leben ermög­lichender Faktor zugrunde.‘

      In den folgenden Auseinandersetzungen, insbesondere auch wegen der mehrdeutigen Defi­ni­tion, haben sich dann verschiedene Versionen dieses Prin­zips herausgebildet, als da sind: Das Schwache Anthropische Prinzip: Das physikalische Universum, das wir beobachten, hat eine Struktur, welche die Existenz von uns als Beobachtern zuläßt;

      das Starke Anthropische Prinzip: Das Universum muß in seinen Gesetzen und in seinem speziellen Aufbau so beschaffen sein, daß es irgendwann unweigerlich einen Beobachter hervorbringt;

      und das Finale Anthro­pische Prinzip: Im Universum muß intelligentes, informationsverar­bei­tendes Leben entstehen, evolvieren und für immer existieren.

      Es gibt aber nicht nur unterschiedliche Deutungen des anthropischen Prinzips, sondern auch unter­­schiedliche Formulierungen. Deshalb will ich da jetzt gar nicht näher drauf eingehen. Vielleicht nur so viel: Es gibt beispielsweise teleologische und nichtteleolo­gische Interpre­ta­tionen, welche eine geradezu entgegengesetzte Intention aufweisen.“

      „Was heißt das?“

      „Die Teleologie ist eine Lehre, die besagt, daß die Entwicklung der Natur zweckmäßig und ziel­gerichtet ist.“

      „Aha!“

      „Auch gibt es nicht nur die Universum-, sondern auch die Vielwelten-Theorie, die die Exis­tenz von praktisch unendlich vie­len Paralleluniversen postuliert. Und schließlich gibt es die Zufallshypothese für die Entstehung des Le­bens und die Hypothese des Intelligent Design.“

      „Genau! Und damit sind wir nach diesem langen Exkurs wieder bei unserem Ausgangspunkt angekommen“, resümierte Long.

      „Aber schlauer sind wir deshalb auch nicht“, entgegnete Jie.

      „Wenn du damit meinst, daß wir jetzt die richtige Antwort kennen, dann hast du recht, kleiner Bruder“, ent­gegnete Long. „Und nur dann! Denn zur Thematik ganz generell haben wir doch heute eine ganze Menge dazugelernt.“

      „Na, das ist ja fein! Dann können wir ja für heute erst mal Schluß machen“, stellte Qiang zu­frieden fest.

      „Halt! Halt! Moment mal! Ihr wolltet uns doch eigentlich von der Simulation erzählen!“

      Chan schaute ihren Mann an und sagte achselzuckend: „Wo sie recht haben, haben sie recht.“

      „Ja, dann bist du wieder dran“, erwiderte er.

      „Ich weiß eigentlich gar nicht mehr, wie wir überhaupt auf das Thema gekommen sind“, muß­te Chan einräumen.

      „Das kann ich dir ganz genau sagen“, reagierte Long am schnellsten. „Paps hat dich vorhin nach eurer Simulation der Evolution gefragt, die ihr an der Uni macht. Es ging um die Frage Urknall oder Schöpfung, wenn ich dich richtig verstanden habe. Aber dann sind wir ganz schnell vom Thema abgekommen.“

      „Ja, richtig. Ich erinnere mich. . . . Es geht in der Tat um die grundlegenden Fragen nach der Entstehung der Welt und der weiteren Entwicklung, der physikalisch/chemischen und der biologischen Evolution bis zum intelligenten Wesen, dem Menschen, auf die wir Antworten suchen.“

      „Auf diese Fragen wollt ihr jetzt mit einer Simulation Antworten finden?“ zeigte sich Long un­gläu­big.

      „Natürlich. Es ist ein Versuch, ja“, bekräftigte Chan. „Aber warum sollte man einen solchen Ver­such nicht unternehmen? Es besteht immerhin die Chance, eine unserer größten Frage­stel­lun­gen der Menschheit zu klären. Das ist doch aller Mühen wert.“

      „Schon. Aber ist das Ganze nicht viel zu komplex, um es voll zu überblicken und richtig auf den Computer zu übertragen?“ wandte Long wieder ein.

      „Selbstverständlich ist das ungeheuer komplex, aber wir arbeiten ja nicht allein an der Auf­gabe. Die Wissenschaft ist schon lange weltweit vernetzt. Überall gibt es Experten-Teams, die sich mit diversen Teilaspekten beschäftigen