Das Familiengeheimnis. Peter Beuthner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Beuthner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738093650
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Geld: Auch die Professoren und Dozenten waren sporadischen Kontrollen hin­sicht­lich ihrer Leistungen unterworfen. Sie hatten lediglich befristete Verträge und mußten sich immer wieder von neuem bewähren. Zu diesem Zweck wurden alle ihre Vorlesungen für ein Jahr aufgezeichnet – als Grundlage für eine Leistungsbeurteilung durch eine Prüfungs­kom­mission. Insofern lag es im ureigenen Interesse eines jeden Dozierenden, seine Themen inhaltlich und didaktisch gut aufzubereiten und vorzutragen. Und auch die Höhe ihres Gehaltes wurde in Ab­hän­gigkeit von ihrem Engagement, das heißt Güte und Einsatz, in Forschung und Lehre immer wie­der neu festgelegt. Denn auch für sie galt – wie für alle anderen in der Gesellschaft – das Leistungsprinzip. Sie sollten sich nicht auf ihrem einmal erworbenen Sta­tus ausruhen können. Die Studenten haben einen Anspruch auf eine gute Ausbildung in an­ge­messener Zeit. Und es lag eben auch im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse.

      Chan war sich dessen bewußt. Und da sie die Absicht hatte, ihren Job auch weiterhin aus­zufüh­ren, bemühte sie sich stets, in allen ihr übertragenen Aufgaben möglichst gut zu sein. Also auch in denen, die sie eher als Pflichtübung empfand. Daher, aber nicht nur deshalb, sondern auch aus Eigeninteresse an ihrer Arbeit, war sie üblicherweise jeden Tag von etwa acht bis 16 Uhr an der Uni, um sich ihren Aufgaben mit genügend Zeit möglichst gründlich und ungestört widmen zu können.

      Aber natürlich hatte sie auch immer noch genügend Freiraum, ihre Termine weitgehend selbst zu planen und nötigenfalls umzudisponieren. Und davon wollte sie nun gerne Ge­brauch machen, denn die Reise nach Leipzig zusammen mit ihrem Mann ver­sprach ihr eine interessante und zugleich erholsame Ablenkung von der Arbeit. Die beiden festen Termine in ihrem Dispo ließen sich ohne Schwierigkeiten verschieben. Und die rest­liche Zeit hatte sie für ihre Forschungstätigkeit ohne Verpflichtung anderen gegenüber einge­plant, lagen also in ihrem alleinigen Verfügungsrecht und waren daher problemlos zu verta­gen. So stimmte sie dem überraschenden Reiseangebot ihres Mannes freudig zu.

      „Gut, dann beschließen wir das jetzt“, freute sich Qiang. „Ich muß am Morgen noch ein ab­schlie­ßendes Gespräch mit Güssen führen, du weißt schon. Das wird aber bestimmt nicht lange dauern. In der Zeit kannst du dir ja schon mal ein paar Geschäfte in der Innenstadt ansehen. Und sobald ich fertig bin, melde ich mich. Dann unternehmen wir noch gemeinsam etwas. Ich habe da auch schon eine Idee.“

      „Und die wäre?“ wollte Chan wissen.

      „Wird nicht verraten!“ tat Qiang ein bißchen geheimnisvoll und küßte sie zärtlich auf den Mund.

      „Willst du mich vielleicht verführen, du böser, böser Bube du?“ säuselte Chan, während sie sich an ihn schmiegte.

      Robby hatte schon zum zweiten Mal gemeldet, daß das Essen bereits serviert sei, aber Qiang und Chan waren in diesem Augenblick zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als daß sie jetzt an Essen denken konnten. Sie umarmten sich zärtlich, liebkosten sich und sahen sich tief in die Augen. Sie rieben ihre Körper aneinander und ihre Atmung wurde schwerer – verhaltenes Stöhnen. Als Qiang begann, an ihrem Rockverschluß herumzufummeln, keuchte Chan leise und ein wenig verlegen: „Robby schaut zu.“ Qiang drehte sich um und sah Robby, sie aufmerksam beob­achtend, an den Türrahmen gelehnt stehen. Er ergriff Chans Hand und zog sie wortlos hinter sich her, geradewegs ins Schlafzimmer. An Robby vorübergehend sagte er: „Robby, halt das Essen warm!“

      Robby lächelte freundlich, scheinbar verständnisvoll, und zwinkerte mit einem Auge, wäh­rend er seine übliche kurze Verbeugung machte. Wirklich verstanden hatte er allerdings nicht, was sich da abspielte, obwohl er diesem Schauspiel schon des öfteren hatte bei­wohnen können. Er registrierte die intime Körpernähe und die streichelnden Hand­bewegun­gen, die veränderte Stimmlage und die glänzenden Augen. Aber deuten konnte er dies nicht. Anfangs, als er es die ersten Male erlebte, hatte er sich auch ein paar­mal von Qiang und Chan streicheln lassen, um vielleicht nachempfinden zu können, was da passierte. Er hatte jedoch nicht die geringsten Empfindungen dabei wahrgenommen, und so blieb es für ihn im Grunde unverständlich, was die Menschen da taten. Es mußte wohl eine allzu menschliche Regung sein – das war sein Verständnis dieser Situation. Und so hatte er sich angewöhnt, jedesmal ein scheinbar ver­stän­diges Lächeln aufzusetzen und scheinbar verschmitzt mit dem Auge zu zwinkern – jedenfalls konnten sich Qiang und Chan dieses Eindrucks nicht erwehren.

      Familienabend

      Pünktlich um 19 Uhr saß die Familie vollständig versammelt an dem runden Essenstisch. Es war Mittwochabend, der fast schon traditionelle, wöchentliche Familienabend bei Wangs. Eigent­­lich bemühten sich alle Familienmitglieder, möglichst jeden Abend gemeinsam zu essen, weil man sich tagsüber kaum sah. Aber dies ließ sich aufgrund vieler unterschied­licher Verpflichtungen leider nicht immer so einrichten. Deshalb hatte man sich schon früh darauf verständigt, wenigstens einen Abend in der Woche für die Familie freizuhalten. Natür­lich ließ sich auch dieser Termin nicht immer streng einhalten, aber es blieben doch eher Ausnahmen, wenn mal jemand fehlte.

      Robby hatte gerade das Essen aufgetragen: Es gab Tang Tschu Dschu Ro, Schweinefleisch süß-sauer, was die Kinder ganz besonders gern aßen. Außerdem gebackene Jao Tse, köst­lich gefüllte Teigtäschchen in verschiedenen Variationen, und Sia Tang, eine Krabbensuppe.

      „Hmmm! Super Essen!“ schwärmte Jiao, als sie sah, was es heute gab.

      „Man, geht’s uns heute wieder gut!“ stimmte auch Jie gleich zu.

      „Ihr tut ja gerade so, als wenn ihr schon am Verhungern seid! Oder als gäbe es sonst nie etwas Gutes bei uns!“ erwiderte Chan etwas verwundert.

      „Wie kommst du denn darauf?“ protestierte Jie. „Ich habe doch extra betont, daß es uns heute w i e d e r gut geht! Also wie immer!“

      „Na, dann ist ja gut. Das wollte ich wohl auch meinen. Ihr habt wirklich keinen Grund zum Klagen.“

      „Es klagt doch auch niemand!“ ereiferte Jie sich nochmal. . . . „Hast du heute irgendwie einen schlechten Tag?“

      „Nein! Wieso?“

      „Na, wie kann man denn unsere Freude über das leckere Essen so mißverstehen?“

      „Hmm . . . Vielleicht ist meine Wahrnehmung tatsächlich noch etwas gestört, . . .“

      „Vielleicht stimmt was mit deinem G e f ü h l nicht?!“ amüsierte sich Jie. Und alle mußten lachen, denn es war ja klar, daß er damit mal wieder auf Loriot anspielte. Auch Chan mußte herzlich lachen.

      „Ja“, sagte sie dann, nachdem sich alle wieder beruhigt hatten, „ich habe gerade noch sagen wollen, daß ich heute einen ziemlich anstrengenden Tag hatte und eigentlich geistig immer noch bei meiner Arbeit bin. Daher habe ich offenbar nicht genau genug hingehört, was ihr gesagt habt. Aber von jetzt an bin ich wieder bei der Sache! . . . Wie war’s denn heute bei euch in der Schule?“

      „Wir haben heute einen neuen Mitschüler bekommen“, sagte Jiao. „Ein Daniel. Der stammt aus Hannover“.

      „So, sind die jetzt mitten im Schuljahr hierher gezogen?“ fragte Qiang.

      „Ja, warum denn nicht?“ entgegnete Chan. „Das Schulsystem ist doch überall gleich. Also spielt es doch gar keine Rolle, wann man die Schule wechselt.“

      „Ja, ja. Aber ich denke, die Schulen und sogar jeder einzelne Lehrer haben da gewisse Frei­heits­grade in der Unterrichtsgestaltung.“

      „Das ist richtig, ja. Aber eben nur in einem bestimmten Rahmen – das heißt, so gravierend sind die Unterschiede nicht, als daß sich nicht jeder Schüler ziemlich schnell reinfinden könnte.“

      „Also heute, an seinem ersten Tag, hat er noch keine Probleme gehabt“, bestätigte Jiao. „Ich habe mich nach dem Unterricht mal eine Weile mit ihm unterhalten, und da hat er mir erzählt, daß das hier alles sehr ähnlich läuft wie in Hannover.“

      „Das will ich meinen! Das war ja der Sinn der europäischen Schulreform, wie mir Ellen Eppel­­­mann erzählt hat“,