Das Familiengeheimnis. Peter Beuthner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Beuthner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738093650
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– das ist das Verhältnis zwischen der auseinandertreibenden Kraft des Big-Bang und der Gravitationskraft: Die Expansion nach dem Urknall durfte einerseits nicht so schwach sein, daß das Universum nach wenigen Jahr­millionen wieder kollabierte, andererseits aber nicht so stark, daß die Entstehung von Son­nen und Galaxien verhindert worden wäre. Wenn die Gravitation am Beginn des Uni­versums auch nur um einen Billionstel-Betrag vom tatsächlichen Wert abgewichen wäre, dann hätte dieses eine gänzlich andere Gestalt und vermutlich kein Leben hervorbringen können. Oder betrachten wir die Feinabstimmung der elektromagnetischen und der starken Wechsel­wirkung: Berechnungen zeigen, daß eine Änderung ihres Wertes um lediglich ein Prozent schon zu so gewaltigen Änderungen der physischen Welt führen würde, daß darin kein intelli­gentes Leben mehr möglich wäre und auch gar nicht erst hätte entstehen können. Ähnliches gilt für die Feinabstimmung der Sommerfeld‘schen Feinstrukturkonstante, die ein Maß für die elektro­magnetische Wechselwirkung ist, und des Mas­sen­verhältnisses von Elek­tron zu Proton.“

      „Was genau meinst du mit Wechselwirkungen?“ wollte Jie wissen.

      „Das sind Kräfte, die zwischen den Elementen beziehungsweise Materieteilchen wirken. Das kosmologische Standardmodell kennt vier elementare Kräfte oder Wechselwirkungen: Die elek­tro­magnetische Kraft, die Starke und die Schwache Kraft sowie die Gravitation.“

      „Die du uns sicher gleich noch erklären wirst?!“

      „Natürlich. Die elektromagnetische Kraft wird durch die elektrische Ladung eines Teilchens verursacht. Sie ist ursächlich für den elektrischen Strom, hält sämtliche Kristalle zusammen und spielt bei allen chemischen und biochemischen Prozessen die führende Rolle.

      Die Starke Kraft wirkt zwischen den Quarks – das sind neben den Leptonen die kleinsten Ele­men­tarteilchen – und wird mit zunehmendem Abstand größer. Man kann sich das vor­stellen wie ein Expander: Je weiter man zwei Quarks auseinanderzieht, desto mehr spannt sich das Gummi zwischen ihnen, und desto stärker hat man zu ziehen. Dieser Effekt ist so stark, daß das Band zwischen zwei Quarks nicht ohne weiteres reißen kann. Deshalb kom­men Quarks nie alleine vor, sondern nur in Quark-Antiquark-Pärchen oder als ‚Dreigestirn‘.

      Die Schwache Kraft wirkt zwischen allen Materieteilchen. Sie löst radioaktive Zerfälle aus, indem sie be­stimmte Elementarteilchen in andere verwandelt, etwa ein Down-Quark in ein Up-Quark plus ein Elektron plus ein Neutrino. Durch diese Teilchenumwandlung kommt der Zerfall von Atom­kernen in Gang. Die Neutrinos können nur über die Schwache Kraft mit ihrer Umge­bung wechselwirken.

      Und schließlich die Gravitation, die wohlvertraute Schwerkraft: Sie spielt im Mikrokosmos praktisch keine Rolle. Und im Vergleich zu den anderen Naturkräften ist sie extrem schwach.“

      „Aha! Verstehe!“ gab sich Jie zufrieden mit der Antwort.

      „Man hat auch die Raum-Zeit-Dimensionen untersucht. Für uns ist es ja ganz selbst­ver­ständ­lich, daß wir drei Dimensionen für den Raum und eine für die Zeit haben. Mathematisch be­trachtet könnte ein Universum aber beliebig viele Dimensionen haben. Zwei Raumdimen­sio­nen reichen jedoch nicht aus, um komplexe Strukturen wie etwa unsere Körper darzustellen. Bei einem Universum mit mehr als drei räumlichen Dimensionen hingegen sind sowohl Ato­me als auch Planetenbahnen instabil. Und bei einer von eins verschiedenen Zeitdimension ist keine Vorhersagbarkeit möglich.

      Auch die uns so selbstverständlich erscheinende Tatsache, daß das Universum mit seinen Galaxien und Sonnensystemen sowie allem Leben darin Materie enthält, ist wohl nur dem Auftreten bestimmter Anomalien beim Urknall zuzuschreiben. Denn eigentlich dürfte all diese Materie überhaupt nicht existieren: Den Theorien der Kosmologen zufolge sollte sich nämlich die Energie beim Urknall gleichförmig in Materie und Antimaterie umgeformt haben. Und da Materie- und Antimaterie-Teilchen genau entgegengesetzte Ladungen haben, hätten sie sich in der kosmischen Ursuppe gegenseitig vernichten müssen, bis kein Rest mehr von ihnen übriggeblieben wäre. Überdauert hätte ein Universum voller Licht, aber ohne Sterne, ohne Planeten und ohne Menschen. Weil dieses Szenario so nicht eingetreten ist, muß sich in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall logischerweise ein kleiner Materieüber­schuß gebildet haben. Dieses überzählige Milliardstel der Materie verdichtete sich später zu den Gestirnen. Wie das Ungleichgewicht zwischen Materie und Antimaterie zustande kam, weiß bislang niemand genau.

      Angesichts der bisher gewonnenen Erkenntnisse, daß sowohl die Kräfteverhältnisse als auch die Eigenschaften der Materieteilchen und das Auftreten bestimmter Anomalien alle ganz genau so dimensioniert sind, um unser Universum und Leben hervorzubringen, das ver­­anlaßt viele Menschen, insbesondere die Verfechter der Hypothese des Intelligent Design, an einen Schöpfer zu glauben.“

      Die Kinder schauten schon etwas müde drein, deshalb fragte Qiang sie: „Wollt ihr noch etwas weiter hören oder lieber ins Bett gehen?“

      „Nein! Noch nicht ins Bett! Wir müssen ja nochmal auf unsere Anfangsfrage zurückkommen.“

      „Die Anfangsfrage, ja“, wiederholte Qiang. . . . „Hmm, haben wir die nicht schon eigentlich abge­han­delt?“

      „Nö, nö! Wir sind irgendwann mal vom Thema abgekommen.“

      „Na gut! Aber vorher möchte ich noch kurz auf das Thema Kohlenstoff eingehen, daß in diesem Kontext auch sehr wichtig ist. Denn dem Kohlenstoffatom, das mit seiner reichen Kombina­tionsfähigkeit vier stabile Verbindungen mit sich selbst oder mit anderen Elementen, haupt­sächlich mit Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff, eingehen kann, verdanken wir die Bil­dung von Polipeptidketten, die zu Eiweißen gefaltet werden, aus denen unser Körper be­steht. Bekanntlich hat ja der Kohlenstoff am Trockengewicht des menschlichen Organismus‘ einen sehr hohen Anteil von 61,7 Prozent. Der Anteil von Sauerstoff beträgt dagegen ledig­lich 9,3 Prozent. Der Kohlenstoff bildet also vor allem die Grundlage für die Entstehung von Leben auf der Erde. Aber wo kommt der viele Kohlenstoff her? Am Anfang des Universums gab es doch nur Helium und Wasserstoff. Dazu hat man die kosmologische Feinab­stimmung bei der Entstehung von Kohlenstoff und Sauerstoff in Roten Riesen untersucht und den Zu­sam­­menhang der Kern­energie-Niveaus von Helium-4 und Beryllium-8 mit dem Ausmaß und der Geschwin­digkeit der Nu­kleo­­synthese von Kohlenstoff-12 erkannt: Im sogenannten Tripel-Alphaprozeß verbinden sich zunächst Helium-4 plus Helium-4 zu Beryllium-8. Das hat aller­dings nur eine sehr kurze Halbwertszeit von 6,7 x 10-17 Sekunden. Innerhalb dieser kurzen Zeit muß noch ein drittes Helium-4-Teilchen hinzustoßen, damit Kohlenstoff-12 entsteht. Und das passierte in Roten Riesen offenbar sehr häufig, andernfalls gäbe es nicht so viel Kohlen­stoff.“

      „Borrr! 10-17 Sekunden, das ist ja nur ein Hundertstel Billiardstel einer Sekunde!“

      „Ja, das ist verdammt kurz! Und trotzdem lang genug, daß sogar noch ein viertes Helium-4-Teilchen hinzustoßen kann, wodurch Sauerstoff-16 entsteht. Nun kann man sich fragen, warum so viel mehr Kohlenstoff als Sauerstoff entstanden ist. Und das hängt mit den unter­schiedlichen Energieniveaus der Elemente zusammen, die für die Kohlenstoffverbindung ge­wis­sermaßen eine Resonanz bilden und daher diese gegenüber der Sauerstoffverbindung bevor­zugt. Man spricht daher auch von einer ‚Beryllium-Barriere‘.“

      „Dann haben wir es also, wenn ich das richtig verstanden habe, diesen in irrwitzig engen Grenzen ablaufenden Prozessen zu verdanken, daß wir überhaupt existieren?“ fragte Long erstaunt.

      „Diesen und allen anderen kosmologischen Feinabstimmungen, ja. Daher muß es nicht ver­wundern, daß es Menschen gibt, die sich das Geschehen nicht anders als durch eine höhere intelligente Instanz gesteuert vorstellen können. Sie gehen dabei ganz selbstverständlich da­von aus, daß alles extra so ‚gemacht‘ worden ist, damit der Mensch als Ziel der Schöpfung entsteht. Nehmen wir beispielsweise die Äußerung von J. Gribbin und M. Rees in ihrem Buch Ein Universum nach Maß. Bedingungen unserer Existenz:

      ‚Die Kombination dieser Zufälle, die für Kohlenstoff-12 die genau richtige Resonanz ergeben und für Sauerstoff-16 die genau falsche, ist in der Tat bemerkenswert. Es gibt keine bessere Bestätigung für die Behauptung, daß das Weltall zu unserem Wohl gemacht ist – dem Menschen auf den Leib geschneidert.‘