„Ja, ja, du hast recht“, pflichtete Klaus bei, „du hast uns gegenüber den großen Vorteil, daß deine Produktion weitgehend automatisch ablaufen kann, weil du en masse produzierst. Unsere Systeme hingegen sind eher Einzelfertigungen. Wir sind schon froh, wenn wir mal einen Auftrag über fünf oder gar zehn Systeme bekommen – dafür lohnt sich das Anlernen deiner Roboter nicht einmal.“
„Oh, sag das nicht!“ unterbrach ihn Qiang entschieden. „Unsere Roboter zeichnen sich gerade durch sehr hohe kognitive Fähigkeiten aus, sie ‚kapieren' unheimlich schnell. Ich garantiere dir, daß du mit unserem Roboter schon bei deinem zweiten System einen Profit machst, wenn du ihn beim ersten System anlernst. Das zweite macht er garantiert schon völlig selbständig.“
„Klingt märchenhaft. Aber woher soll denn der Profit kommen? Ich brauche die Leute doch trotzdem weiterhin, weil die nächste Systemvariante schon wieder ganz anders aussehen kann. Und die kann mir dein Roboter nicht entwickeln – dafür brauchen wir immer noch die Kreativität unserer Ingenieure.“
„Aber schau doch mal. Während . . .“, und er sprach das „während“ sehr betont und gedehnt, „die Roboter die Kleinserie bauen, können doch deine Ingenieure bereits über dem nächsten Modell ‚brüten‘, verstehst du?“
„Ja, ja, das klingt ganz plausibel, zumindest theoretisch – und wenn es denn wirklich so funktionierte, wie du sagst. Aber in der Praxis haben wir auch gar nicht immer gleich die Anschlußaufträge, um schon gleich wieder ein neues Modell zu entwickeln.“
„Und trotzdem kannst du zumindest in der Produktion die Monteure einsparen, weil die Roboter diese Aufgabe sehr viel kostengünstiger übernehmen können und letztlich sogar präziser arbeiten.“
Sie waren so vertieft in ihr Gespräch, daß sie gar nicht gehört hatten, wie sie von den Frauen zum Essen gerufen worden waren. Erst als diese näher an den Tisch herantraten, wurden die Männer aufmerksam und unterbrachen ihr Gespräch. „Darauf kommen wir aber nochmal zurück“, sagte Klaus, „das will ich schon noch etwas genauer wissen.“
Die Tafel – zwei Tische, die man zusammengestellt hatte – war inzwischen gedeckt, und die Kinder kamen gerade vom Händewaschen zurück. „Tante Ellen!“ rief Jiao, doch bevor sie aussprechen konnte, was sie sagen wollte, stolperte sie über ihre eigenen Füße und fiel zu Boden. „Autsch!“, rief sie und rieb die Hände über die Knie.
Alexander, der ältere der beiden Eppelmann-Kinder, sprang ihr sofort besorgt zu Hilfe und hob sie behutsam auf. Ihr linkes Knie begann leicht zu bluten.
„Soon Mist!“ rief sie ärgerlich.
„Komm mal mit ins Bad, Jiao“, sagte Ellen, „wir waschen es ab, und dann machen wir ein Pflaster drauf.“
Kurze Zeit später saßen alle am Tisch und genossen das vorzügliche Essen. Es gab Fenchelsalat Orangerie, kleine Pasteten mit Fischklößchen, Hühnerconsommé mit Gemüse, Kalbsrippenstück aus dem Backofen mit Zucchinigratin und Kartoffelschnee, und zum Dessert gab es Birnen in Ingwerwein für die Erwachsenen beziehungsweise Mousse au Chocolat für die Kinder, worauf sich diese schon ganz besonders freuten.
„Was wolltest du mir denn eigentlich vorhin so eilig sagen?“ fragte Ellen Jiao.
„Ach, ich wollte dich eigentlich nur was fragen“, antwortete diese.
„Und? Ist es jetzt nicht mehr so wichtig?“
„Doch schon, aber ich weiß nicht, ob es jetzt hier so richtig paßt.“
„Ja, worum geht es denn?“
„Ach weißt du, wir haben uns vorhin so ‘n bißchen über die Zeit, in der wir leben, unterhalten. Und dann sind wir an der Frage hängengeblieben, wie diese Zeit, also die Globalisierungszeit, eigentlich angefangen hat. Wir hatten ja vorher zwei Weltkriege und dann die Zeit des sogenannten Kalten Krieges. Und danach fing ja praktisch die Globalisierungszeit an. Aber wie kam es zu dieser Entwicklung? Wodurch wurde das ausgelöst? Oder anders gefragt: Warum hat es sich gerade so und nicht anders entwickelt? Und da waren wir uns eben nicht einig.“
„So, so!“ sagte Ellen.
„Ja. Long meint, die neuen Technologien, und zwar insbesondere die Informations- und Kommunikationstechnologien, und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten seien ausschlaggebend für die ganze weitere Entwicklung gewesen. Jie ist dagegen der Meinung, daß die wirtschaftspolitische Entwicklung maßgeblich war. Durch die vielen Firmenfusionen und ‚feindlichen Übernahmen‘, und was es da sonst noch alles gab, sind die Konzerne immer größer und mächtiger geworden, und sie expandierten dabei auch über Ländergrenzen hinweg, also sie agierten globaler. Und damit stieg auch ständig ihr Einfluß auf die Politiker und deren Entscheidungen. Alexander und ich sind der Meinung, daß die Auflösung der politischen Blöcke Ost-West eigentlich erst dazu führte, daß die Firmen jetzt auch in Länder expandieren konnten, in die sie vorher keinen Zugang hatten, und das hat eine richtige Expansionswelle ausgelöst. Ja, und Gerd meint“, – Gerd war der jüngere Sohn der Eppelmanns – „daß die zunehmende Ausbreitung des Terrorismus’ eigentlich die ganze Entwicklung getrieben hat.“
Sie schaute fragend in die Runde und fuhr dann fort: „Ich finde das alles wahnsinnig spannend, und irgendwie habe ich das Gefühl, daß letztlich alle diese Faktoren ihren Einfluß auf die Entwicklung hatten, aber ich möchte es gern wissen“, die Betonung überdeutlich auf das „wissen“ legend. „Ich würde gern die Zusammenhänge verstehen.“
„Ich weiß, daß du sehr daran interessiert bist“, antwortete Ellen, „nicht umsonst bist du meine beste Schülerin!“
Ellen hatte Geschichte und Politikwissenschaften studiert und war jetzt Lehrerin an dem im Zentrum von BrainTown gelegenen Einstein-College. Sie liebte ihren Beruf und verstand es ausgezeichnet, ihre Schüler für die historischen wie auch für die aktuellen politischen Vorgänge und Zusammenhänge zu interessieren.
„Und dein Gefühl, daß nicht nur einzelne, sondern die Summe all dieser und vielleicht noch einiger weiterer Faktoren maßgeblich für diese geschichtliche Entwicklung waren, ist sicher richtig. Aber das Thema ist naturgemäß sehr komplex und nicht einfach zu verstehen; auch nicht einfach zu erzählen. Trotzdem, und gerade weil ihr daran so interessiert seid, bin ich natürlich gerne bereit, diesen Themenkomplex mal etwas ausführlicher mit euch zu besprechen. Allerdings würde das heute abend viel zu weit führen, deswegen schlage ich vor, wir setzen uns mal an einem der nächsten Samstage für ein paar Stunden zusammen.“
„Au ja“, schoß es förmlich aus Jiao heraus, „von mir aus gleich am nächsten Samstag!“
„Nächsten Samstag haben wir schon etwas vor, vielleicht in der übernächsten Woche? Ich schaue gleich mal in meinen Kalender. Vielleicht wäre es ja auch nicht schlecht, wenn Klaus dabei wäre – er kann gerade zu den wirtschaftlichen Fragen natürlich viel mehr sagen als ich. Was meinst du, Klaus?“
„Äh, . . . ja, natürlich gerne – wenn wir einen Termin finden, der paßt?!“
„Gut, dann denkt bitte daran, daß wir nach dem Essen mal einen passenden Termin heraussuchen“, sagte Ellen.
„Ich finde es ja wirklich phänomenal, daß unsere Kinder so wißbegierig sind und sich schon in dem Alter mit so schwierigen Gesellschaftsthemen auseinandersetzen“, sagte Chan und schaute dabei ein Kind nach dem anderen anerkennend an.
„Ja, das ist es in der Tat“, bestätigte Ellen, „aber bei den Eltern auch kein Wunder!“ Dabei lachte sie laut auf.
„Eigenlob