Für Marketing and Sales hatte Qiang mit Deborah Brown ganz bewußt einen English native speaker eingestellt, denn Englisch war nun mal die Weltsprache schlechthin. Die Globalisierung hatte es mit sich gebracht, daß Englisch sich als einheitliche Verkehrs- und Geschäftssprache durchsetzte – und das, obwohl um die Jahrtausendwende nur etwa 320 Millionen Menschen Englisch gegenüber 1,3 Milliarden Menschen Chinesisch als Muttersprache hatten. Aber China war zu jener Zeit noch in der Entwicklung zur Weltmacht, hatte damals einfach nicht die Bedeutung wie die führenden westlichen Industrienationen, die sich im Geschäftsverkehr und selbst im Tourismusbereich alle des Englischen befleißigten. Inzwischen haben sich die Verhältnisse dramatisch geändert; jetzt ist China die Weltmacht schlechthin. Viele Nicht-Chinesen in aller Welt lernen inzwischen die chinesische Sprache. Nichtsdestotrotz hatte sich Englisch längst als Weltsprache durchgesetzt und fest etabliert. Auf dem Wege zur Weltmacht hatten mehr und mehr chinesische Jugendliche Englisch in den Schulen gelernt, um im internationalen Handel bessere Chancen zu haben. Auch dieser Trend hatte die Vormachtstellung von Englisch weiter unterstützt. Und gerade weil Englisch im Geschäftsverkehr so wichtig war, hatte Qiang den Marketing- und Sales-Bereich britisch besetzt.
Qiang begrüßte jeden seiner Kollegen per Handschlag, obwohl er eigentlich – wie alle Chinesen – das in Europa übliche Händeschütteln verabscheute. Aber da er nun mal hier lebte, versuchte er, sich den europäischen Sitten so gut wie möglich anzupassen. Während er noch mit jedem seiner Kollegen ein paar freundliche Worte wechselte, hatte Robby den Prosecco eingeschenkt und ging nun herum, um jedem ein Glas anzubieten.
„So, meine Damen und Herren“, begann Qiang feierlich seine Rede, obgleich sie sich seit Jahren untereinander duzten, „um gleich mal ohne Umschweife auf den Anlaß dieser Besprechung zu kommen: Die Sache ist so gut wie perfekt! Und darauf sollten wir erst einmal anstoßen.“ Sie erhoben die Gläser und prosteten sich zu. „Ich bin ausgesprochen happy“, fuhr Qiang fort, „daß wir gestern so weit gekommen sind. Herr Güssen, der Geschäftsführer von AnthropoTec, zeigte sich am Ende doch ziemlich kooperativ. Unsere Abschätzung des Unternehmenswertes und seiner weiteren Geschäftsaussichten, die ich lange und ausführlich mit ihm diskutiert habe, machten ihm letztlich klar, daß sein Unternehmen in dieser Form nicht mehr lange würde bestehen können. Mit der derzeitigen kognitiven Performance seiner Roboter ist er einfach nicht mehr konkurrenzfähig, da helfen ihm auch die Vorteile seiner sicher sehr guten anthropotechnischen Eigenschaften nicht weiter. Die Kunden wollen heute einfach immer intelligentere Roboter, und da haben wir eindeutig die Nase vorn. Er hätte dringend in die Verbesserung der kognitiven Performance investieren müssen, aber dazu fehlten ihm die Mittel und das Know-how – vielleicht auch die notwendige Einsicht. Und den besten Zeitpunkt dafür hat er ohnehin schon verpaßt. Das könnte er jetzt auch gar nicht mehr aufholen, und das hat er schließlich eingesehen. Man konnte förmlich spüren, wie sich in ihm die Resignation breitmachte, obgleich er sehr bemüht war, sich nichts davon anmerken zu lassen. Und dann ging es nur noch um die Konditionen. Er wollte natürlich noch möglichst viel herausholen – für sich, aber auch für seine Mitarbeiter. Er selbst wird sich wohl zur Ruhe setzen, jedenfalls hatte ich diesen Eindruck. So deutlich hat er es nicht gesagt. Immerhin ist er bereits über sechzig und finanziell gut versorgt, wozu wir ja jetzt auch noch etwas beitragen. Das wird also nicht das Problem sein. Wichtiger ist ihm seine Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern, und das ehrt ihn. Er hat zirka 80 Leute ohne die freien Mitarbeiter. Wenn wir die alle übernehmen würden, hätten wir ´ne ganze Menge Redundanz – aus wirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll. Wir können nur die übernehmen, die uns das Know-how mitbringen, das uns fehlt, beziehungsweise wo die besser sind als wir – also vor allem im anthropotechnischen Bereich. Nur so haben wir einen Synergiegewinn.“
Bei dem Wort bekam er ganz glänzende Augen und kam fast ins Schwärmen: „Stellt euch das mal vor, Leute, wir verlieren auf einen Schlag einen unserer größten Konkurrenten und gewinnen gewissermaßen für ´nen Appel und ´nen Ei“, er beherrschte das Deutsch schon wie seine Muttersprache, „genau die Kompetenz, die wir bisher nicht in dem Maße hatten, um wirklich ‚Spitze’ zu sein. BrainTech und AnthropoTech vereinigt – das ist nicht mehr zu toppen, jedenfalls kann uns in Europa keiner mehr das Wasser reichen. Wir werden eine ganz neue Roboter-Generation entwickeln, eine Symbiose aus den hervorragenden kognitiven Fähigkeiten unserer Roboter mit den ausgezeichneten anthropotechnischen Eigenschaften derer von AnthropoTech. Damit werden wir unschlagbar sein.“
Nachdem er sich so eine Weile fast in den Rausch geredet hatte, kehrte allmählich wieder die Sachlichkeit zurück.
„Eine andere Frage, die wir noch zu klären haben, ist die Standortfrage: Was machen wir mit dem Standort Leipzig? Geben wir ihn auf? Und wann? Und wie können wir dabei noch ein gutes Geschäft machen? Ich denke, es macht einfach keinen Sinn, den Standort mit seiner Infrastruktur zu erhalten“, gab er gleich selbst die Antwort. „Dann brauchten wir auch wieder mehr Personal dort. Es ist in jeder Hinsicht effektiver, den Standort zu schließen und die Leute, die wir brauchen, hierher zu holen. So deutlich habe ich das Thema gestern noch nicht angesprochen, aber wir werden in diesem Sinne verhandeln müssen. Ich bin sicher, Güssen wird das letztlich akzeptieren – er ist selbst Geschäftsmann und kennt die ökonomischen Erfordernisse. Wir werden aber seinen Mitarbeitern, die wir nicht übernehmen können, sicher eine Abfindung zahlen müssen, das erwartet er von uns. Und anders werden wir wahrscheinlich auch gar nicht aus den Verträgen mit ihnen herauskommen.“
„Ist da schon über Zahlen gesprochen worden?“, fragte Sandrine.
„Nein, soweit sind wir gar nicht gekommen; Güssen gab hier nur generell seiner Erwartung Ausdruck.“
Er machte eine kurze Pause, und da keine weitere Frage kam, fuhr er fort: „Wir müssen also jetzt sehr kurzfristig“, und er legte die Betonung deutlich auf das „kurz“, „folgende Action Items behandeln: Erstens alle juristischen Fragen im Zusammenhang mit der Geschäftsübernahme klären, Sandrine. Und denk auch an deren Patente, die sind sehr wichtig für uns. Zweitens die Personalfrage, also welche Leute sollten wir übernehmen und welche nicht – das müßt ihr zusammen entscheiden: Sandrine, Deborah und Lothar; zu diesem Zweck habe ich mit Güssen vereinbart, daß er uns eine Liste seiner Mitarbeiter mit deren Personalprofil zuschickt. Drittens eine erste Abschätzung der Gesamtkosten für die Übernahme einschließlich aller möglichen beziehungsweise notwendigen Abfindungszahlungen, Betriebsschließungs- und Überführungskosten, eventuell notwendige Erweiterungen am hiesigen Standort und so weiter, da bist du gefordert Susanne. Viertens Einsichtnahme in die technische Dokumentation, sobald dies möglich ist, und Identifizierung der für unsere weitere Produktentwicklung relevanten und interessanten Potentiale – darum kümmerst du dich mit deinen