Das Familiengeheimnis. Peter Beuthner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Beuthner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738093650
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informieren, und in dem wir ihnen gleichzeitig unsere Produkte und Dienstleistungen anbieten, et cetera, et cetera; du weißt schon. Ich selbst ent­werfe einen groben Zeitplan für den Gesamtvorgang, den wir dann mit zuneh­mender Klärung des Prozesses gemeinsam verfeinern werden. Also, wie sagt ihr Deutschen doch immer: ‚Es ist viel zu tun, packen wir es an!‘ – aber unsere laufenden Geschäfte dürfen in der Zwischen­zeit nicht darunter leiden!“

      Sie machten einen neuen Termin für das nächste Meeting aus und unterhielten sich an­schlie­ßend noch über diverse Detailfragen, bevor sich die Versammlung gegen frühen Mittag in guter Stimmung auflöste.

      Qiang zog sich in sein Büro zurück, wo er noch einmal in Ruhe alles Revue passieren lassen wollte. Immer wieder ging er gedanklich sein Verhandlungsmarathon mit Güssen und alle gerade besprochenen Punkte zum weiteren Vorgehen durch, immer wieder prüfend, ob nicht vielleicht wichtige Dinge übersehen worden sind, die unter Umständen sogar noch ein Scheitern der Geschäftsübernahme verursachen könnten. Es hing für ihn einfach zu viel vom Erfolg der Aktion ab. Zum einen hatte diese günstige Gelegenheit zu einer nicht unerheb­lichen Expansion seines Geschäfts mit einem Schlage eine überragende Bedeutung für die ganze weitere Entwicklung seiner Firma. Zum anderen aber war es auch für ihn persönlich sehr wichtig, nicht durch einen Mißerfolg sein Gesicht zu verlieren.

      So saß er schon längere Zeit grübelnd in seinem Büro, als Robby vorsichtig und leise die Tür öffnete, um ihm mitzuteilen, daß Mister Joseph Samuel Odeke von der ‚African Union Sys­tem Technology Enterprise‘ ihn am Telefon zu sprechen wünschte.

      „Okay, stell durch!“ sagte Qiang, denn er wußte sofort, daß dies ein potentieller Geschäfts­partner für ihn sein könnte. Auf jeden Fall aber gehörte er zu der Delegation, die ihm dem­nächst in seiner Firma einen Besuch abstatten wollte. Die AUSTER, wie Qiang die Firma kurz zu nennen pflegte, hatte großes Interesse an der Robotertechnologie, und Qiang sei­ner­­­seits war nicht abge­neigt, ein Joint-venture mit dieser Firma einzugehen, um einen bes­se­ren Zugang zum afrika­nischen Markt zu gewinnen, vorausgesetzt, die Konditionen stimm­ten und waren für ihn akzep­ta­bel. So war es also beiderseitiges Interesse, weshalb Qiang sie zu einem Besuch in seiner Fir­ma eingeladen hatte.

      Mister Joseph Samuel Odeke erläuterte Qiang etwas umständlich, daß er inzwischen noch einigen Politikern von seinem bevor­stehenden Besuch bei ihm erzählt hatte und daß diese sich überaus interessiert an dem Besuchsprogramm gezeigt hätten, weshalb er sich nun ver­anlaßt sah, Qiang zu fragen, ob sich neben den ohnehin schon bekannten Politikern aus dem Wirtschaftsrat der Pan-Afrikanischen Union vielleicht noch einige weitere der Delegation anschließen könn­ten. Ja, und im Grunde bekäme die ganze Aktion jetzt einen völlig anderen Touch, da die betreffenden Politiker – allein schon in Anbetracht ihrer zahlenmäßigen Domi­nanz, aber vor allem auch durch Geltendmachung ihres Führungsanspruchs – das Mandat zum Handeln an sich zogen. Wie auch immer, Qiang willigte selbstverständlich ohne Zögern ein, denn es konnte schließlich nur vorteilhaft für seine möglichen künftigen Geschäfte dort sein, wenn er bereits über gute Beziehungen zur wirtschaftspolitischen Zunft verfügte.

      Nachdem das Telefonat beendet war, stand Qiang auf und ging zum Fenster. Gedanklich war er schon wieder bei AnthropoTech, aber seine Blicke schweiften über das vor ihm lie­gen­de Fir­men­gelände. Das ganze Areal – eingezäunt von einem hohen, stabilen und elektro­nisch über­­wachten Sicherheitszaun – war von hier oben gut überschaubar, denn es war nicht sehr groß, und es gab insgesamt nur drei Gebäude: Das vierstöckige Zentralgebäude, in dem die Unter­neh­mens­führung residierte und in dem sich neben einer ganzen Reihe von Konferenz­räumen auch verschiedene Arbeitszimmer für die Ingenieure, Vertriebs- und Kauf­leute be­fan­den. Da­ne­ben gab es eine Fertigungshalle sowie ein Trainingszentrum für die Roboter.

      Mehr Platz brauchte er auf absehbare Zeit auch nicht, denn die Vertriebler waren vorwie­gend im Außen­dienst tätig, und seine Ingenieure arbeiteten zu einem großen Teil ihrer Zeit zu Hause. Sie waren alle mit sehr leistungs­fähigen Computern ausgestattet und über die schnel­len und gesicherten Übertragungsstrecken des WorldNets mitein­ander verbunden. So konnten sie jederzeit Informationen untereinander austauschen – per Videotelefonie bezie­hungs­weise Videokonferenzschaltungen oder in Form von Bild- und Dateiübertragungen. Sie konnten aber auch gleichzeitig auf den zentralen Server der Firma zugreifen und interaktiv die dort gespei­cher­ten Dateien mittels geeigneter Kollaborationstools gemeinschaftlich bear­bei­ten. Ihre Com­pu­ter wurden ihnen von der Firma zur Verfügung gestellt und waren mit beson­deren Sicher­heits­vorkehrungen gegen Mißbrauch und Spionage ausgestattet. In der Firma mußten sie ledig­lich zur Aufgabenverteilung und -abstimmung sowie zu speziell anbe­raum­ten Projekt­besprechungen oder sonstigen besonderen Anlässen erscheinen, wofür die verschiedenen Konferenzräume zur Verfügung standen. Aber es stand ihnen selbstver­ständ­lich auch frei, in der Firma zu arbeiten, wenn sie beispielsweise zu Hause nicht die notwen­dige Ruhe und Kon­zen­tration zum Arbeiten fanden. Es gab zwar in Summe deutlich weniger Arbeitsräume als Mitarbeiter, aber, wie die Erfahrung zeigte, immer ausreichend viele. Es gab jedoch keine feste Raumzuteilung. Wer in die Firma zum Arbeiten kam, konnte heute in diesem und morgen in jenem Raum Platz finden. Die Belegung war immer nur temporär geregelt. Die Räume ver­fügten alle über die gleiche Ausstattung. In einem ge­sicher­ten und video-überwachten Lager­raum hatte jeder Mitarbeiter einen verschließbaren Schrank, in dem er seine Arbeits­unterlagen wie auch persönliche Dinge verwahren konnte.

      Qiang beschloß, mal wieder einen Rundgang durch die Firma zu machen. Das tat er häufi­ger, unter anderem auch, weil er die Kontakte zu seinen Mitarbeitern ganz bewußt pflegen wollte. Natürlich war ihm klar, daß er immer nur wenige antreffen würde, aber da er das relativ häufig zu machen pflegte, erwischte er schließlich doch alle mal. Und immer nahm er sich dann genügend Zeit, um sich mit ihnen über ihre Aufgaben und Lösungsansätze, über mögliche Pro­ble­me oder Risiken, über Verbesserungsvorschläge und sonstige fachlichen beziehungs­weise betrieblichen Fragen, oder auch einfach nur über persönliche Belange zu unterhalten. Daher konnte er sich von jedem seiner Mitarbeiter ein gutes Bild machen, wußte sie hinsicht­lich ihrer Fähigkeiten und Leistungen richtig einzuschätzen und erfuhr auch von möglichen Schwierigkeiten oder Krankheiten im familiären Bereich, was ihn als überzeugten Konfuzianer stets ganz spontan veranlaßte, seine Hilfe anzubieten.

      Heute traf er in einem der Konferenzräume auf eine Gruppe angeregt diskutierender Ingeni­eure, die nach einer verbesserten Lösung für die vergleichsweise noch sehr rudimentäre Mimik der Roboter suchten – eine schwierige Aufgabe. Denn der Aus­druck des Gesichts ent­steht aus einem äußerst facettenreichen und komplexen Zusammenspiel von 43 Gesichts­muskeln, welches den Menschen zu insgesamt mehr als 10.000 unterschiedlichen Mienen befähigt. Dieses vielfältige Mienenspiel für die Roboter auch nur annähernd nachzubilden, ist allein schon eine kolossale Herausforderung. Aber der Mensch ist nicht nur zu dem eigenen Mienenspiel in der Lage, nein. Fast jeder Mensch auf der Welt, ausgenommen Autisten, ver­steht dank seiner Spiegelneuronen auch ganz spontan und instinktiv, ohne darüber nach­den­ken zu müssen, das Mienenspiel seiner Mitmenschen. Selbst feinste Regungen im Gesicht der Mitmenschen kann er entschlüsseln und sich auf diese Weise in deren Gefühlswelt hinein­versetzen. So erkennt er Freude, Liebe, Trauer, Schmerz, Angst, Verachtung, Lüge, Wut und so weiter, und so weiter. Dieses Einfühlungsvermögen, die Empathie, ermöglicht es dem Menschen erst, emotionale Beziehungen zu anderen aufzubauen – eine eminent wichti­ge Eigenschaft, da sie die Grundlage sämtlicher sozial höher entwickelter Gemeinschaften bildet. Schon Neu­geborene, die noch gänzlich auf den Schutz und die Fürsorge ihrer Eltern angewiesen sind, drücken ihr Befinden durch ein babyhaftes Mienenspiel aus. Und bereits im Alter von etwa zwei Jahren entwickeln sie ein Ich-Bewußtsein, unterscheiden zwischen ihren eigenen Ge­füh­len und denen anderer und beginnen die Emotionen der anderen zu deuten. Aber wie bringt man so etwas einem Roboter bei? Immerhin sollte er sich ja in sei­nem sozialen Umfeld völlig autonom bewegen können. Und überall hat er es mit Menschen zu tun, die sich in hohem Maße über Mimik und Körpersprache ausdrücken. Um sich mit ihnen adäquat ver­ständigen und ein allseits akzeptiertes Mitglied dieser menschlichen Ge­mein­­schaft sein zu können, sollte er logischerweise deren