Bäume. Nur hier wuchsen diese einzigartigen Bäume, deren Anblick
Lomorwin so faszinierte. Er war schon oft in dieses Land gereist und hatte sie
immer wieder betrachtet. Ihr Stamm war fast makellos weiß, von einigen
schwarzen Stellen abgesehen, und an ihren weit ausladenden Zweigen
sprossen tiefgrüne, spitz auslaufende Blätter, die sich im Herbst erst rot, dann
golden färbten, bevor sie schließlich abfielen. Doch selbst im Winter, wenn
kein Blatt die Bäume zierte, wirkten sie nicht so bedrückend kahl wie die
Stämme vieler anderer Laubhölzer. Zumindest nicht auf Lomorwin, der diese
Pflanzen liebte, besonders, wenn sich im Frühling neue Blätter an ihren
Zweigen zeigten und zartes Grün sich wieder über den weißen Stämmen zu
erheben begann.
Das Königreich von Alnoa war das älteste noch existierende Königreich
der Menschen. Ursprünglich hatte es sieben davon gegeben, doch im Laufe so
vieler Jahrtausende war ihre Macht allmählich erloschen. Einst waren sie ein
wehrhafter Bund gewesen und hatten der Dunklen Macht an der Seite der
Elfen getrotzt und sie niedergezwungen. Scheinbar niedergezwungen, denn
während die siegreichen Menschenstaaten sich dem Frieden hingaben und
ihre Wachsamkeit zu vernachlässigen begannen, rüstete die dunkle Seite
wieder auf und fand zu neuer Stärke. Als die Königreiche der Menschen von
Machtgier und Hochmut geschwächt und ihre Könige zerstritten waren,
erlagen sie schließlich dem Ansturm des Schwarzen Lords und seiner Orks.
Alnoa hatte standgehalten, auch dank der Hilfe der Elfenhäuser, doch es
hatte alle nur erdenkliche Kraft gekostet. Das letzte der sieben alten
Königreiche hatte schwer unter dem Ansturm der Horden gelitten und
schließlich den südlichen Teil seiner Besitzungen verloren. Doch noch immer
besaß Alnoa Macht, und es beherrschte ein großes Gebiet im Süden der
Marken der Pferdelords, das sich im Osten bis zu den Grenzen des dunklen
Landes und im Westen bis hin zum Meer erstreckte. Noch immer hielten die
Truppen Alnoas an den Grenzfesten die Standarte des Königreichs aufrecht.
Das Banner zeigte drei weiße Bäume auf grauem Grund, wobei die graue
Farbe für den gewaltigen Vulkankrater stand, auf dem die Hauptstadt Alnoas
errichtet war, und die drei weißen Bäume jene einzigartige Baumart im
Königreich Alnoa symbolisierten.
Einst standen die Ebenen voll dieser weißen Bäume, doch nun, nach so
vielen Jahrtausenden des alten Königreiches, war ihr Vorkommen auf wenige
Wälder geschrumpft. Allerdings waren auch diese wenigen Wälder noch
immer imposant. Die weißen Bäume standen mittlerweile unter dem Schutz
des Königs, aber es gab genug andere Wälder mit den überall vorkommenden
Nadelhölzern und Laubbäumen.
Alnoa bot den Menschen vielfältige Landschaften mit weiten Ebenen, die
vor allem entlang des gewaltigen Flusses Narquan reiche Ernten
hervorbrachten und die Bevölkerung mit den wichtigsten Nahrungsmitteln
versorgten. Hornvieh, Pferde und Wolltiere gediehen hier, und die Bergwerke an
den Ausläufern der Gebirge brachten reiche Erträge an Erzen. Der Reichtum
an Nahrungsmitteln und Rohstoffen befähigte die Menschen Alnoas, die
Legionen der Orks und die Übergriffe der Barbaren abzuwehren, aber er
brachte verlorenes Leben nicht zurück. Zu viele Menschen waren in all den
Jahren dem fortwährenden Krieg zum Opfer gefallen. Und auch wenn Alnoa
über viele Jahrhunderte wieder erstarkt war, so konnte es doch seine alte
Macht nie ganz zurückerlangen.
Dann, vor nunmehr vier Jahren, waren die Legionen der Orks
überraschend zurückgekehrt und bis an die Mauern der Hauptstadt Alneris
gebrandet.
Das erneuerte Bündnis der Elfen mit den Menschen hatte die Stadt gerettet,
und Alnoa gedachte nun jedes Jahr der aufopfernden Attacke der Pferdelords,
deren furchtloser Angriff den Sieg ermöglicht, aber auch den König der
Pferdelords das Leben gekostet hatte. Mit den Jahren war so ein festes
Bündnis zwischen den Marken der Pferdelords und dem Königreich Alnoa
entstanden, das von gegenseitigem Respekt getragen wurde. Doch obwohl
beide Völker gleichermaßen Menschen waren, blieben die Pferdelords und
die Bewohner Alnoas einander auf seltsame Weise fremd. Waren die einen
ein Reitervolk, das noch immer seinem nomadischen Ursprung folgte,
bildeten die Menschen Alnoas ein dem Stadtleben verbundenes Volk, das sich
der Kunst und Kultur widmete. Handwerk und Technik hatten bei ihnen einen
Stand erreicht, der dem der Pferdelords weit überlegen war. Diese
Entwicklung ermöglichte es, dass kaum zwanzig Prozent der Bevölkerung auf
dem Land lebte und den Rest ernähren konnte. Sinnbild dieser überragenden
Technik war die gewaltige Hauptstadt Alnoas, die weiße Stadt Alneris.
Lomorwin hatte sich immer den Pferdelords zugehörig gefühlt, auch wenn
er nie deren grünen Umhang getragen hatte. Zeit seines Lebens hatte er
Handel getrieben, wie schon sein Vater vor ihm. Zunächst mit einem kleinen
Laden in Eodan, der Hauptstadt der Nordmark, welchen er von seinem Vater
übernommen hatte. Doch dann hatte es ihn hinausgezogen, und er war von
Stadt zu Stadt, von Weiler zu Weiler gereist. Dabei hatte er die Bedürfnisse
der Menschen erkannt und sie mit seinen Waren zu stillen vermocht. Er war
ein erfolgreicher Händler und betrieb inzwischen Handelsposten in allen
Hauptstädten der Marken. Sogar in Alneris hatte er sich etablieren können. Er
hätte sich längst bequem niederlassen und die Geschäfte anderen überlassen
können, aber er fühlte sich immer noch jung genug, um selbst
hinauszuziehen, was er auch gerne tat. So hatte er Dinge mit den eigenen
Augen gesehen und mit den eigenen Händen berührt, von denen wohl
niemand sonst aus dem Volk der Pferdelords jemals Kenntnis erlangen würde.
Und doch wusste er, dass ein