Zeit ist nicht das Problem. Jens Wollmerath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens Wollmerath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847629283
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langsam auf. Draußen war es bereits hell.

      „Kurz nach acht.“ Gert lachte. „Du hast dich irgendwann wie ein Igel da unten eingerollt, wollte dich nicht wecken. Noch ’n Tee? Ist frisch!“

      „Gern.“

      Karl streckte sich und sah, dass der Karton mit den Schallplatten jetzt leer war.

      „Was kommt denn ins Regal und was in die Kisten da drunter?“ fragte er.

      „Oben steht nur das, was die Profisammler interessiert. Sind auch entsprechend hochpreisig. Dir würde ich empfehlen, auf die Knie zu gehen, denn da unten findest du echte Schätze, die fast nichts kosten. Knacksen manchmal ein bisschen.“

      Gert hantierte mit dem Verschluss einer Thermoskanne.

      „Das ist mir egal, Hauptsache die Musik ist gut“, antwortete Karl und hockte sich probeweise vor die erste Box.

      „Geht mir genauso, aber so lange es echte Freaks gibt, die mir 150 Euro für ’ne Beatlesplatte in die Hand drücken, soll’s mir Recht sein.“

      „Und was ist damit?“ Karl fischte eine Papphülle heraus und hielt sie hoch.

      „Das ist eine Nachpressung von „Rubber Soul“, tadellos, kaum gespielt, bringt auf dem Markt aber nichts. 3 Euro!“

      „Ist das dein Ernst?“

      „Klar, und glaub mir, die Qualität ist einwandfrei!“

      Amüsiert betrachtete Gert Karls ungläubiges Gesicht.

       Mittwoch, 13. Februar 10.00 Uhr

       Es ist wohl das erste Mal, dass ich schon so früh in mein Büchlein schreibe. Seltsame Erlebnisse letzte Nacht. Habe mir morgens um 8 Schallplatten gekauft, nachdem ich zuvor in dem Plattenladen geschlafen habe. Hoffentlich liest das hier niemand außer mir. Muss unbedingt Steve davon erzählen… Habe versprochen, mich bei Gert wieder zu melden.

       20.30 Uhr

       Zweiter Eintrag für heute. War in der Stadt unterwegs auf der Suche nach Jobs. Habe jedes erdenkliche Schwarze Brett abgeklappert. Soll mich morgen bei so einem Paketdienst vorstellen. Bin mal gespannt, was mich da erwartet. Viel zu müde, um noch irgendetwas anzustellen. Nebenbei, meine Waschmaschine ist schon wieder kaputt. Das halbe Bad stand unter Wasser, kann es kaum erwarten, bis es in der Wohnung unter mir Flecken an der Decke gibt. War dann kurz noch zu Hause und hab Mama meine Wäsche gegeben. Werde mich jetzt hinlegen.

       6

      Karl rannte, so schnell er konnte, doch der Hund klebte an seinen Fersen und kläffte wie bei der Treibjagd. Der Gartenzaun rückte immer näher.

       Soll ich durch die Tür und dabei wichtige Zeit verlieren, oder soll ich springen? Ausgeschlagene Zähne und Schürfwunden inklusive!

      Die feuchte Nase an seiner Hosennaht machte die Entscheidung einfach. Karl drückte sich mit einem Fuß von den Steinplatten der Zuwegung ab, flog über das Eisengitter und kam zu seinem großen Erstaunen auf beiden Beinen wieder zum Stehen. Ohne sich umzudrehen lief er zu einem Lieferwagen und sprang hinter das Lenkrad.

      „Prima Paketdienst“ stand in roter Schift auf der Seitenwand.

      Karl versuchte, seinen Atem zu beruhigen.

       Mann, der Tag hatte eigentlich gar nicht so schlecht angefangen. Pünktlich zum Vorstellungstermin erschienen. Kurzes Gespräch und dann gleich um halb acht die erste Schicht.

      „Sie werden sehen, Herr Grün, nach den ersten drei bis vier Paketen geht es wie von alleine.“ Wenn ich an den Typen mit diesem Putzlappen von einem Anzug denke. Jetzt habe ich selbst die hässlichste Uniform der Welt an, einen Laster voll mit Paketen und erst drei abgeliefert. Und es ist halb zehn!

      Der Hund sprang noch immer wie ein Derwisch am Gartenzaun entlang.

       Und jetzt hier dieser schnauzbärtige Perverse im Leopardenmorgenmantel. Wahrscheinlich eine Kiste mit Pornos oder ein Lederkorsett für seine Frau.

      Karl drehte den Zündschlüssel. Das Geräusch des Anlassers verhieß nichts Gutes. Nach dem fünften Versuch wurde Karl nervös und schwitzte noch mehr, als nach seiner kurzen sportlichen Einlage.

       Lass mich jetzt nicht im Stich!

      Karl pumpte auf dem Gaspedal herum.

      „Jetzt spring endlich an, du Scheißkarre, sonst…“

      Wumms, wumms! Karl wäre fast vom Sitz gefallen. Der Leopardenmann hämmerte mit der Faust gegen die Scheibe der Beifahrertür und grinste. Karl beugte sich über den Sitz und kurbelte das Fenster herunter.

      „Sie müssen noch ein Paket für mich haben, da war nicht alles dabei!“

      Der Schnauzbart tanzte in der Kälte auf und ab.

       Ah, die Streckbank fehlt!

      „Moment“, brummte Karl und sprang aus der Fahrertür.

      Im selben Augenblick hatten die Zähne des kleinen Köters sein Schienbein in fester Umklammerung.

      „Au, verflucht! Mann, Holen Sie Ihre Scheißtöle zurück!“

      Karl schüttelte sein Bein, doch der Vorgartenwächter ließ nicht locker.

      „Hermann, aus!“

      Der Mann im Morgenrock sagte dies ohne besondere Überzeugung und Bestimmtheit.

      Von einem Moment auf den anderen schien sich der Kläffer aber viel mehr für eine Katze zu interessieren, die auf dem Zaun des Nachbargartens erschienen war. Karl rieb sein Bein, während Hermann der Hund seinem Urinstinkt folgte.

      „Ich könnte Sie anzeigen“, schimpfte Karl und öffnete die Klappe zum Laderaum.

      Der Schnauzbart zitterte in der Kälte, umklammerte sein Bademäntelchen und erwiderte nichts. Im Halbdunkel des Lieferwagens wühlte Karl in den Paketen.

       Tatsächlich, da ist es. Muss ich heute Morgen ins falsche Fach gelegt haben. Na, schauen wir mal auf den Absender. „Modelleisenbahn Schmidtke“?

      Wortlos streckte Karl das Paket aus der Tür.

      „Ah fein, die Lokomotiven!“

      Der Mann mit den besonderen Vorlieben lächelte.

       Donnerstag, 14. Februar

       Das war der härteste Job meines Lebens. Habe bis um elf Uhr abends Pakete ausgefahren. Zwei Hundebisse, achtmal verfahren und mindestens dreimal beschimpft worden, weil ich zu spät war. Bin dann auch prompt wieder rausgeflogen. Wenigstens habe ich mein Geld direkt bar bekommen. 100 Euro, davon könnte ich bei Gert eine ganze Kiste Kostbarkeiten kaufen, [seltsame Alliteration], muss also morgen wieder los und mir einen neuen Job suchen. Super! Wollte eigentlich heute zu Mama und die Wäsche abholen. Vielleicht schaffe ich es morgen.

       7

      Dicke Regentropfen prasselten in gnadenloser Beharrlichkeit auf Karls Kopf.

       Warum bin ich heute zur Jobbörse? Ich könnte im Bett liegen und Proust lesen oder die Stooges hören. Nein, stattdessen lasse ich mir von dieser Tussi den erstbesten Aushilfsjob andrehen, der zufällig zuoberst auf ihrem Schreibtisch liegt. Keine langen Diskussionen, Meister Grün, du wolltest doch zu Geld kommen!

      Ein Lastwagen raste vorbei und tauchte Karl in eine Welle aus Schmutzwasser, von dem die Pfützen in diesem Gewerbegebiet mehr als genug bereithielten.

       Zwei Minuten von der Bushaltestelle stand auf dem Zettel. Ich renne seit