Zeit ist nicht das Problem. Jens Wollmerath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens Wollmerath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847629283
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ich ja gerade DESHALB hier!

      „Mach besserr wahs Vernunftiges. Größte Scheißbaustelle von Welt. Keine gute Maschinen, nur Handmischer. Schlechtwettergeld? Wir sind nicht mal verrsichert. Schwarrz, verstest du?“

      Karl schluckte, als Jegor ihm seinen Fuß entgegenstreckte. Er trug einfache Turnschuhe statt der vorgeschriebenen Stahlkappen.

       Montag, 18. Februar

       Habe 39 Fieber und Halsschmerzen. Nach zwei Tagen auf dem Bau im strömenden Regen bin ich fertig. Hoffentlich bekomme ich meine Kohle, der Fettsack klang am Telefon nicht gerade ermutigend. Jetzt steht wahrscheinlich Mustafa wieder am Mischer. Alles, um seine Frau und seine drei Kinder zu füttern. Jegor ist vor zwei Monaten Vater geworden, er ist vier Jahre jünger als ich. Wollte mich bei Steve melden, bin aber viel zu kaputt. Ich muss einen Job finden, dem ich auch gewachsen bin. Habe mich körperlich selten so schlapp gefühlt wie heute.

       8

      Das Telefon klingelte. Karl richtete sich mühsam auf und griff zum Hörer.

      „Hallo?“

       Mann, ich klinge wie Barry White!

      „Hallo, hier ist Mama. Bist du krank?“

      „Ja, mich hat’s voll erwischt.“

      „Du Ärmster. Ich wollte fragen, wann du die Wäsche abholst? Soll ich Papa vorbei schicken?“

      „Das wäre superlieb. Ich sollte wohl im Bett bleiben.“

      Karl musste husten.

      „Gut, schon dich ein bisschen, Papa kommt dann gleich.“

      „Danke, bis dann!“

      Karl legte auf und sank zurück ins Bett.

      Als es an der Tür klingelte, wachte er auf. Er sah auf die Uhr. Seit er mit seiner Mutter telefoniert hatte, war eine gute Stunde vergangen. Er schwankte in den Flur und drückte auf den Summer.

      Nach kurzem Warten öffnete er die Wohnungstür. Sein Vater stand schon davor und streckte ihm einen Wäschekorb entgegen.

      „Hallo mein Junge, du siehst ja zum Fürchten aus.“

      „Hallo Papa!“

      Karl ließ seinen Vater herein.

      „Ich habe leider nicht so viel Zeit, aber Mama hat mir Fliederbeersaft mitgegeben, den musst du heiß trinken.“

      Er stellte den Wäschekorb ins Zimmer und zauberte eine Flasche aus seiner Jackentasche.

      „Hast du noch was vor?“

      „Ja, heut ist Montag, ich treffe mich mit den Jungs zum Fußball.“

      „Na dann, viel Spaß.“

      „Danke. Ach ja, das hier hat Mama in der alten Jeans von dir gefunden.“

      Er reichte Karl ein Stück Papier.

      „Ist nichts mehr drauf zu erkennen. War’s was Wichtiges?“

      Karl nahm den Zettel und betrachtete ihn.

      „Keine Ahnung.“

      „Also, ich muss los. Wenn du noch was brauchst, Susanne hat gesagt, sie schaut später noch mal bei dir rein.“

      „Tschüss, und danke!“

      Als sein Vater gegangen war, blieb Karl für einen Moment im Flur stehen. Er hielt noch immer den Papierschnipsel in der Hand.

       Wo kommt das denn her? Kann mich nicht erinnern, es mitgenommen zu haben.

       9

      „Du hast die Anzeige rausgerissen und meintest, man könne nie wissen!“

      Steve lag auf dem Rücken unter dem Spülbecken des Tresens und kämpfte mit einer Rohrzange.

      Karl stand über die Bar gebeugt, nieste mehrmals und versuchte sich zu erinnern.

      „Aber wieso habe ich dann über eine Woche gar nicht mehr daran gedacht?“

      „Weil du genauso wenig davon hältst, wie ich auch, weil… Dreck!“

      Das Geräusch unter der Spüle verhieß nichts Gutes.

      „Den Eimer!“ rief Steve.

      Karl rannte um die Bar herum und schob seinem jetzt nassen Freund einen Blechkübel zu. Nach einigen Minuten kroch Steve unter dem Waschbecken hervor. Der Kragen seines Hemdes tropfte und die Haare klebten an der Stirn.

      „Ist alles nicht mehr so ganz frisch hier“, sagte er, während er sich mit einem Lappen die Hände trocknete, „uralte Bleirohre. Wenn ich das alles gewusst hätte, dann… Sag mal, hörst du zu?“

      Karl zuckte zusammen. Er kniete auf dem Boden und wühlte in dem Stapel mit den alten Zeitungen.

       Donnerstag, 21. Februar

       Habe heute mit Frau Neuland von der Uni Halsterberg telefoniert. Ich soll morgen schon zu einem Vorstellungstermin für diese Projektgeschichte kommen. Worum es geht, wollte sie mir nicht sagen. Immerhin bekomme ich die Fahrtkosten erstattet. Weiß auch nicht, warum ich das gemacht habe. Auf jeden Fall war es schon seltsam, dass Steve die gleiche Zeitung noch ein zweites Mal in seinem Café liegen hatte. Er war gar nicht einverstanden, aber ich habe keine Wahl, irgendeinen Job muss ich machen.

       10

      Karl ging den Korridor entlang und betrachtete die Bilder an der Wand. Es waren alte Stiche, die Motive aus der Literatur darstellten: Wilhelm Meister und die Schauspielgruppe nach dem Überfall der Räuber, der Automat aus Hoffmanns Sandmann, Raskolnikow mit der Axt unter seinem Mantel, der geheimnisvolle Garten aus Hamsuns Victoria und viele weitere Szenen. Neben der Tür mit der Nummer 31 hing eine Bleistiftzeichnung, die einen Mann mittleren Alters zeigte, der angezogen auf dem Bett lag und ausdruckslos vor sich hinstarrte. Karl trat einen Schritt näher und las die Bildunterschrift: Oblomow.

       Nie gehört. Muss ich den kennen?

      Nachdenklich klopfte er an die Tür.

      „Immer herein“, erklang von drinnen eine freundliche Frauenstimme.

      Karl öffnete und trat in ein Arbeitszimmer, das auf den ersten Blick den Eindruck vermittelte, hier herrsche das vollständige Chaos. Überall waren Bücher und Aktenordner zu Stapeln aufgetürmt, die Regale an den Wänden bogen sich unter der Last von Lederbänden und mittendrin saß an einem Tisch mit Computer eine Frau von ungefähr vierzig Jahren, die Karl gutgelaunt begrüßte.

      „Was kann ich für Sie tun, junger Herr?“

      Noch etwas verwirrt um sich schauend erwiderte Karl: „Ich bin hier wegen der Anzeige. Habe ich mit Ihnen telefoniert?“

      „Ah, Sie sind der Herr Grün. Freut mich sehr. Ja, mit mir haben Sie gesprochen. Setzen Sie sich.“

      Da Karl nicht sofort reagierte, blickte Frau Neuland auf den angebotenen Stuhl, auf dem ein weiteres Büchertürmchen seinen Platz gefunden hatte.

      „Oh, stellen Sie es einfach auf den Boden.“

      Karl griff nach dem Stapel und setzte ihn behutsam auf das graue Linoleum. Zuoberst lag eine in rotes Leinen gebundene Ausgabe von Schlegels Lucinde.

      „Der Herr Professor Hardenberg ist noch in einer Besprechung, er müsste aber jeden Augenblick hier sein.“

      „Ich bin schon sehr gespannt, um was es hier geht. Viel erfahren