HOO. Siegfried, Hans Hofmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Siegfried, Hans Hofmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750235311
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des riesigen Schleusentors.

      Trübe Aussichten, dachte ich. Sollte ich eventuell demselben oder einem ähnlichen Schicksal unterliegen? Stand mir der Eintritt in einen irdischen, gestörten Wasserkreislauf, dauerhafte Schwächung oder gar der Tod durch den Verlust meiner Regenerationsfähigkeit unmittelbar bevor?

      Angewidert von der überwiegend wild kreischenden, rüpelhaften Meute und völlig geknickt, stellte ich mich einfach dazu. Ich fühlte mich im Stich gelassen! So was von betrogen! Ich kam mir entwurzelt und verwässert vor, wie ein, äh, aus dem schönen, friedlichen Wolkenleben und von seinen Wasserkameraden abgetrennter, verbitterter Wermutstropfen, äh, dritter Klasse!

      Plötzlich fauchte und zischte eiskalter Nebel durch unzählige, kleine Düsen der eckigen Wand aus Eis, die sich gleichzeitig mit ohrenbetäubendem Rauschen und Knarren nach oben öffnete. Die ungeduldigsten Tropfen der vorderen Reihen rannten sofort los. Alle anderen panisch hinterher, in das Innere der vernebelten, überdimensionalen Gefriertruhe. Ich ließ es geschehen und wurde so buchstäblich mit hineingerissen. Kaum über die niedrige Eisschwelle geschubst, rutschten wir auf abschüssiger, spiegelglatter Eispiste ins Ungewisse. Kurz darauf reckte sich uns ein lichtdurchflutetes Röhrensystem aus purem Eis, wie Eiszapfen so klar, entgegen. Hunderte trichterförmiger Öffnungen nahmen uns saugend in Empfang. In Reih und Glied wurden wir aufgestaut!

      Es waren die Vereisungsröhren! Kalte Schauer liefen mir über die Haut, als die Vereisung einsetzte und schwadenweise frostige Luft in die langen, engen und transparenten Eiskanäle strömte. Wir konnten uns gegenseitig zusehen, wie der Vorgang des Gefrierens vor sich ging, wie unsere Wasserkörper von immer mehr Eis ummantelt eingeschlossen wurden und unter rauschendem Knistern langsam erstarrten, aneinandergereiht wie zu einer Kette dicker Eisperlen! Hilflos und gefangen!

      So veränderte sich mein Äußeres vom dicken, farblosen Wassertropfen zum schneeweiß glänzenden und noch dickeren Hagelkorn! Mir war so eisigkalt. Nach anfänglicher Gänsehaut und heftigem Zittern konnte ich mich kaum mehr bewegen. Meine Gedanken flossen nur noch träge. Mein Atmen verlangsamte sich, wurde schwächer und flacher. Ich fühlte mich geschlaucht. In der wachsenden Angst um mein Leben, das ja eigentlich erst begonnen hatte, betete ich inbrünstig zum Globalen Wettermeister.

      Nein! Nein! Nein! Ich wollte noch nicht sterben! Das durfte nicht sein! Nicht so jung! Nicht als Hagelkorn! Und schon gar nicht durch Erfrieren!

      Jäh wurde ich aus meinem Gebetsmurmeln gerissen, als ein ungeheurer Schub einsetzte. Mit all den anderen Hagelkörnern wurde ich aus den leuchtenden Vereisungsröhren hinausgeschleudert. In rasender Geschwindigkeit flog ich aus dem Zentrum des dicken Wolkenbauchs in Richtung Erde. Mir war schwindlig. Im Dunkel der riesigen Gewitterwolken und gefangen im Eiskorn konnte ich kaum etwas erkennen. Während ich so durch die unterkühlten Wolken sauste, vernahm ich plötzlich ein dumpfes Röhren, das sich binnen Sekunden zu einem kernigen Brummen und immer lauter werdend zu orkanartigem Getöse steigerte.

      ‚Auaaahh!‘, schrie ich schmerzvoll auf, als ich kurz darauf völlig unerwartet und ziemlich heftig auf etwas Hartem aufschlug, irgendwo hineinkullerte und leicht angeschlagen liegen blieb. Unter mir hatte ich die volle Dröhnung und um mich herum ein höllisches Inferno. Blitze entluden sich, Donner grollten, Sturmwind heulte und zig Hagelkörner meiner Größe flogen umher. Vom wuchtigen Aufprall tat mir mein Kopf weh. Mein ganzer Körper vibrierte. Ich lag auf dem Bauch und wurde heftig durchgerüttelt. Es kostete mich enorme Mühe, mich mit Hilfe der stark auf mich einwirkenden Vibrationsschwingungen auf den Eisummantelten Rücken zu drehen.

      ‚Potzblitz und Donnerschlag!‘, brabbelte ich leicht benommen.

      ‚Globaler Wettermeister, hilf!‘, stieß ich schwer atmend aus und versuchte durch meine dicke Eisummantelung hindurchzugucken, um zu erkennen, wo ich war.

      ‚Wahnsinn! Das, äh, gibt's doch nicht!‘, stellte ich verblüfft fest.

      ‚Hagelschauer und Wolkenbruch!‘, brüllte ich völlig aus dem Wölkchen.

      Ich war auf einem, äh, Hagelflieger aufgeschlagen, der sich zur Hagelbekämpfung im Einsatz befand und durch die Wolkenbasis flog. Die zweimotorige Propellermaschine kämpfte sich röhrend durch starken Aufwind und wurde von heftigen Turbulenzen hin und her geworfen. Aus Spezialgeneratoren, raketenförmigen Behältern, die an den Flügelenden montiert waren, züngelten kurze, heiße Flammen und erzeugten grünlichgelben Rauch.

      Dazu“, erklärte Hoo fachkundig weiter, „wird ein Gemisch aus Silberjodid und Aceton in eine Brennkammer gespritzt und per Knopfdruck vom Cockpit aus im Aufwindbereich heranwachsender Gewitterzellen gezündet. In den so mit Silberjodid geimpften Wolken entstehen Milliarden winzigster Eiskeime. An diesen Eiskeimen lagert sich das unterkühlte Wasser der Gewitterwolken an. Anstelle weniger großer Hagelkörner bilden sich Milliarden kleinster Körnchen, die nach dem Durchfallen der wärmeren, unteren Luftschichten zu Regentropfen schmelzen oder höchstens noch Graupelschauer bilden.“

      „Wow! Hey, Hoo, hey!“, unterbrach Mucks flugs seine aus ihm heraussprudelnden Worte. Erstaunt über so viel Fachwissen, rollte er mit seinen grünen Augen. Wenn Birne und Mucks etwas besonders Augenfälliges gemeinsam hatten, dann war es diese Augenfarbe – Malachitgrün! „Du bist aber ein recht gescheiter Tropfen, Hoo! Allen Respekt!“

      „Ja, ganz schön schlau, tolles Knowhow!“, piepste Birne anerkennend hinterdrein. „Aber, ach was! Der technische Krimskrams, das ist mir alles viel zu kompliziert. Unsereins blickt da sowieso nicht durch. Wozu auch?“

      Mucks erhob seinen winzigen Zeigefinger vor ihrem Gesicht und sprach mit resoluter Stimme: „Nichtsdestotrotz, mein liebes Birnchen, gell? Woher unser lieber Hoo das alles weiß, das interessiert dich doch bestimmt auch?“

      „Na, und ob! Ich brenne darauf, es zu erfahren!“, flötete Birne daraufhin höchst wissbegierig.

      Dann schauten beide erwartungsvoll zu Hoo auf, damit er es ihnen hoffentlich auch verklickere.

      Hoo hatte unterdessen den kurzen Plausch der Blattläuse genutzt, wieder einmal aus dem Trinkhalm zu schlürfen. Natürlich überhörte er dabei nicht, was die beiden miteinander tratschten. Er schluckte den Rest des köstlichen Apfelsafts hinunter und sagte schmunzelnd: „Soso. Äh, ihr wollt also wissen, woher ich dickes, kluges Tröpfchen soviel über die Hagelfliegerei weiß?“ Seine himmelblauen Augen vergossen den Glanz von Wissensdurst und Leidenschaft.

      „Jaaahh!“, riefen die Blattläuse einstimmig. Rührig wackelten sie dabei mit ihren blankgrünen, nur spärlich behaarten Köpfchen.

      „Nun, äh, ich habe das alles im Wetterkunde-Unterricht gelernt“, antwortete Hoo voller Stolz. „Wisst ihr, äh, sobald man als neugeborenes Tröpfchen drei Tage alt ist, darf man die Wolkenschule besuchen. Wissensdurstig wie ich bin, äh, habe ich die Möglichkeit des frühen Lernens und Erlebens natürlich sofort genutzt. Fast jeden lieben, langen Tag habe ich mich dort rumgetrieben, um soviel wie möglich von der Welt zu erfahren und in mich aufzusaugen. Das war doch quellwasserklar!“

      „Wetterkunde-Unterricht? Wolkenschule?“, überlegte Mucks angestrengt. Verdutzt guckte er wieder einmal himmelwärts. „Ach ja, richtig, ich erinnere mich. Davon hast du anfangs schon mal was erwähnt.“

      „Aber hallo! Jetzt bin ich aber voll neugierig, wie das mit der Wolkenschule vor sich geht!“, warf Birne ungeduldig ein. Keck traute sie sich, mit ihrem Zeigefinger mehrmals auf Hoos Bauch zu tippen.

      Hoo lachte hellauf los. Sein dicker Wasserbauch zuckte und wackelte. „Ho, ho, ho, ho, ho! Birne, hö-hörst du bitte damit auf! Da bin ich doch so kitzlig. Du bist aber ganz schön frech. Ha, ha, ha, ha, ist ja gut, ich, äh, hä, hä, erzähl’s euch ja!“

      Birne und Mucks hielten sich fest, tuschelten kurz miteinander und grinsten sich an. Sie freuten sich, dass sie es geschafft hatten, die betrübte Stimmung ihres neuen, wunderbaren Freundes wieder aufzuhellen.

      Hoo räusperte sich. „Okay, ich will mal versuchen, euch das irgendwie, äh, begreiflich zu machen.“

      „Wir hören und schweigen“, piepsten die Blattläuse zufrieden. „Versprochen!“

      „Äh,