aufziehenden Sturms.«
Nedeam blickte forschend zum makellos blauen Himmel empor. Sein
Freund Dorkemunt nickte. »Ihr habt womöglich recht, gute Frau. Ich kann es
in den Knochen spüren.«
Die Frau lachte auf. »Ja, in unserem Alter spürt man so manches in den
Knochen, guter Herr Dorkemunt. Kommt, tretet in den Schatten des Hauses,
Ihr wollt ja sicher zu meinem Mann.«
»Ist der Älteste denn da?«
»Natürlich ist er da.« Die Frau führte sie in den unteren Raum des Hauses.
Schatten umfing sie, der die Hitze jedoch nur wenig linderte.
Das Haus des Weilerältesten war weitaus größer als die anderen Häuser
des Horngrundweilers. Denn hier wurden die Versammlungen der Bewohner
abgehalten, wenn die Witterung dergleichen auf dem Weilerplatz nicht zuließ.
Entsprechend geräumig war das Haus gebaut worden. Fast fünf Längen breit
und fünfzehn lang war das Untergeschoss, ein einziger großer Raum, der nur
von den gemauerten Säulen unterbrochen wurde, welche Obergeschoss und
Dach stützten. Alle Wände wiesen kleine Fenster auf. Normalerweise waren
die Öffnungen mit Rahmen versehen und durch gespannte Darmhaut
verschlossen, aber bei der herrschenden Hitze waren sie entfernt worden und
standen nun neben den metallenen Blenden, mit denen man die Fenster bei
schwerem Wetter oder einem Angriff abdecken und in schmale
Schießscharten verwandeln konnte.
In einem Teil des Raumes saß eine Gruppe Kinder um einen älteren Mann
herum. Ein greises Paar vermittelte ihnen bestimmte Tätigkeiten, mit denen
die einzelnen Bewohner des Weilers zum Gemeinwohl beitrugen. Alle Kinder
des Pferdevolkes wurden auf solche Weise in die Traditionen eingeführt und
in den Zusammenhängen des Lebens unterwiesen. Ihre Eltern oder ältere
Bewohner führten sie durch die Handwerksbetriebe und zeigten ihnen die
Vielfalt der Aufgaben, die das künftige Leben für sie bereithielt. Auch
Maßeinheiten und die Kenntnis der Zahlen gehörten dazu, Letztere aus den
praktischen Erfordernissen des Handels und der Waffenkunst. Alles Wissen
wurde mündlich vermittelt, denn kaum ein Mensch des Pferdevolkes
vermochte die Zeichen der Schrift zu setzen oder zu deuten.
An der Stirnseite des Raumes standen ein langer Tisch und eine Reihe von
Schemeln, dahinter eine große Truhe. Eine gemauerte Treppe führte ins
Obergeschoss, wo der Älteste mit seiner Familie wohnte. Hinter dem Tisch
hing über der Truhe ein Rundschild an der Wand. Er hatte die grüne Farbe des
Pferdevolkes und den blauen Rand der Hochmark. In Weiß war auf seine
Mitte ein gewundenes Horn aufgemalt, das Wahrzeichen des Weilers.
Pontim, der Älteste, stand über die geöffnete Truhe gebeugt und richtete
sich mit leisem Ächzen auf, als er die Stimmen hinter sich hörte. Sein Gesicht
verzog sich zu einem erfreuten Lächeln. »Ah, die Herren Dorkemunt und
Nedeam. Was führt Euch bei dieser Hitze zu uns in den Horngrund?«
Es war nicht selten, dass die Menschen der Gehöfte in die Weiler kamen,
doch hatte es stets einen besonderen Anlass. Auf den Gehöften lebten
einzelne Personen oder Familien. Meist war es ein Paar mit seinen Kindern.
Da dort kein Anbau, sondern Viehzucht betrieben wurde, bedeutete der
Besuch eines Weilers durch den einen Partner stets, dass sich der
Zurückbleibende allein um Kinder und Vieh kümmern und sie schützen
musste. Doch kein Reiter des Pferdevolkes ließ seine Angehörigen gerne ohne
seinen Schild und Waffenarm zurück, wenn auch die Frauen der Gehöfte sich
im Umgang mit den Waffen übten und zumindest Pfeil und Bogen
beherrschten.
Die Menschen der Gehöfte handelten mit der geschorenen Wolle der
Schafe, dem Leder des Hornviehs und mit dem Fleisch der Tiere. Gegen diese
Waren tauschten sie ein, was sie auf ihrem Gut nicht erzeugten: Metall- und
Holzwaren, Bekleidung, Brennstein für die Lampen und jene Lebensmittel
und Gewürze, die der eigene Boden nicht hervorbrachte. Manchmal konnte
ein Gehöft etwas Gewinn erwirtschaften und ermöglichte Rücklagen für
kargere Zeiten. Manchmal jedoch mussten die notwendigen Waren im Weiler
gegen Arbeitskraft getauscht werden, und der Mann vom Gehöft arbeitete
dort eine Weile, bis die Schuld beglichen war. In selteneren Fällen tauschten
die Bewohner der Gehöfte auch Schafe oder Hornvieh, aber dann mussten
sich die Herden schon gut vermehrt haben, denn die Tiere waren die
Lebensgrundlage der Einsiedler.
Ein solcher Tausch war der Grund für den Besuch von Nedeam und
Dorkemunt. »Wir wollen Waren gegen ein paar Hornträger zur Zucht
eintauschen, guter Herr Pontim.«
»Oh.« Pontim grinste breit. »Da habt Ihr Glück, Ihr Herren. Dieses Jahr
schenkte uns etliche neue Kälber, und es wird Euch sicher möglich sein, ein
paar Kühe und einen Bullen zu erstehen. Ihr wollt Euch nun also als
Hornviehzüchter versuchen?«
Nedeam wies auf seinen Freund. »Dorkemunt hat einige Erfahrungen
damit.«
Pontim sah den kleinwüchsigen Pferdelord freundlich an. »Die wird er
brauchen, der gute Herr Dorkemunt. Unser Hornvieh ist noch nicht mit dem
der anderen Marken gekreuzt. Es sind echte, unverfälschte Rinder der
Hochmark. Mit kraftvollem Fleisch, gewürzt von den Kräutern unserer
Landschaft, aber auch mit einem kraftvollen Temperament.« Er nickte zu
seinen Worten. »Doch das werdet Ihr sicherlich zu beherrschen lernen.«
Pontims Frau zuckte bedauernd die Schultern. »Ihr hättet in drei
Tageswenden kommen sollen. Dann gibt es im Weiler eine Verbindung und
zu Ehren des Paares ein schönes Fest mit Musik und Tanz.«
»Und mit unserem starken Gerstensaft«, fügte Pontim hinzu. »Nicht