Feenfuchs und Feuerkuss. Lara Kalenborn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lara Kalenborn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742789983
Скачать книгу
„Und mein Papa vergisst im Kampf für bedrohte Meerestiere bedauerlicher Weise alles andere.“

      „Also, ich kann’s verstehen. Ich liebe das Meer auch. Ich bin an der Küste aufgewachsen und war jeden einzelnen Tag surfen.“

      Luisa versuchte zu lächeln, aber wie immer, wenn sie an ihren Vater Ansgar dachte, fiel ihr dies schwer. Sie hätte Sam gerne erklärt, dass sie ihren Vater unheimlich vermisste. Jetzt, wo ihre Mutter ihr Ophelia weggenommen hatte, sogar noch mehr. Aber irgendwie war ihre Kehle wie zugeschnürt.

      „Okay, dann lass uns jetzt mit deinen Englischaufgaben beginnen.“ Sam sah regelrecht begeistert aus.

      Luisa bemerkte, dass ihre Augen an seinem Mund hängen geblieben waren, der mit einem verführerischen englischen Akzent so intelligente Dinge sagen konnte. Aber dann riss sie sich von dem Anblick los und sagte: „Das wird jetzt peinlich. Ich bin eine absolute Null in Englisch. Ich würde am liebsten im Boden versinken.“

      „No one is born a master“, beruhigte Sam sie.

      Luisa blinzelte. Nie zuvor hatten englische Worte so schön in ihren Ohren geklungen. Natürlich liebte sie Lieder von amerikanischen oder britischen Bands, aber ohne Instrumente als Begleitung hatte sie Englisch nie zuvor als angenehm empfunden. Mit Sam könnte sich dies aber vielleicht in Zukunft ändern.

      Eine halbe Stunde später hatte Luisa ein Pensum an Englisch-Hausaufgaben erledigt, für das sie sonst Stunden gebraucht hätte.

      „Du solltest Lehrer werden“, meinte sie.

      Sam sah sie überrascht an. „Findest du?“

      „Ja, absolut. Du bist richtig gut.“

      Einer seiner Mundwinkel hob sich schwach. Das musste Luisa sich merken, Komplimente schienen ihm zu gefallen. Oder zumindest belustigten sie ihn. Wenn sie also sein schönes Lächeln noch einmal sehen wollte, musste sie sich nicht wieder Stroh ins Haar stecken wie heute Morgen. Vielleicht reichte das ein oder andere Kompliment auch aus. Und wenn sie mal ehrlich war, Sam Weston bot genügend Gelegenheiten, um Lob auszusprechen. Allein in diesem Moment hätte sie gerne etwas Nettes über seine graugrünen Augen gesagt, die sie aufmerksam musterten.

      „Ich will eher was im Kulturbereich machen. Oder Richtung BWL“, wandte Sam nun ein.

      „Ich würde gerne Tierärztin werden.“

      „Dann musst du aber dringend bessere Noten schreiben.“

      Luisa machte große Augen. Aber wo er Recht hatte … „Ist ja schon in Planung.“

      „Du wirst das auch schaffen. Bist ja nicht auf den Kopf gefallen. Höchstens ein bisschen unkonzentriert.“

      Luisa verzog das Gesicht. Bis heute war sie sich nie unkonzentriert vorgekommen, aber Sam war einfach eine Ablenkung der besonderen Art. Sein Wuschelkopf, seine Stimme, sein Mund … Luisa erhob sich schnell, bevor ihre Schwärmereien noch auffielen.

      „Wie hat es dich eigentlich nach Deutschland verschlagen?“ Luisa stellte sich vor, wie Jeska ihr bei dieser Frage zujubelte, weil sie die Neugierde ihrer Freundin etwas stillen würde.

      „Mein Vater hat hier einen Job gefunden. Er ist Übersetzer und arbeitet jetzt für einen Energiekonzern in der PR-Abteilung.“

      „Also nicht das MI6“, murmelte Luisa und musste lachen, als sie sich nun Jeskas enttäuschtes Gesicht ausmalte.

      „Wie bitte?“

      Luisa winkte ab. „Meine Freundin ist Verschwörungstheoretikerin.“

      Sam schien nicht ganz folgen zu können. Sie versuchte ihn abzulenken und sagte: „Wenn du willst, zeige ich dir mal die schönen Seiten des Ruhrgebiets.“

      Er ging auf das Angebot nicht ein, sondern lächelte nur und Scham durchfuhr Luisa. Hastig fragte sie: „Und was macht deine Mutter?“

      Er sah auf die Uhr.

      Langweile ich ihn? Plötzlich war ihr die Fragerei sehr peinlich.

      „Ich bin zu neugierig“, entschuldigte sie sich. „Du musst nicht antworten.

      „Schon okay.“ Sam lehnte sich zurück. Er trug eine Kette mit kleinen, gelblichen Perlen, die wie vom Meerwasser gebleicht aussahen. „Sie ist Erzieherin und konnte in einem Kindergarten anfangen. Meine Großeltern mütterlicherseits leben auch hier.“

      „Da hast du es aber gut. Meine Großeltern leben auf Fuerteventura. Ich sehe sie eigentlich nie.“

      Sam hob die Augenbrauen. „In England haben wir zusammen mit meiner Oma gewohnt. Sie konnte nicht mitkommen.“ Er sah gedankenverloren aus dem Fenster. „Vielleicht wollte sie auch nicht.“

      „Ist sie jetzt alleine in England?“ Luisa biss sich auf die Zunge. Warum konnte sie nicht aufhören, Sam auszuquetschen?

      Sein Kopf fuhr zu ihr herum und es sah aus, als legte sich ein Schleier vor seine Augen.

      „Mein Cousin besucht sie jetzt häufiger.“

      Luisa fuhr sich vor Verlegenheit durch die Haare und schaute nun ebenfalls auf die Uhr. Die Zeit war um. „Ich glaube, meine Franz-Sachen schaffen wir nicht mehr.“

      „Franz-Sachen?“, wiederholte Sam irritiert.

      „Französisch“, erklärte Luisa. „Sorry.“

      „Ach so. Hast du morgen denn Franz?“

      Luisa lachte auf. „Nein. Erst übermorgen.“

      „Dann kann Franz ja noch warten.“

      „Du lernst schnell.“ Luisa versuchte sich an einem Augenzwinkern, das in die Hose ging, woraufhin Sam leise lachte.

      Natürlich hatte er ein wundervolles Lachen, das ihr fast die Schuhe auszog.

      Sie stand auf, warf sich ihre Tasche über die Schulter und ging schon ein paar Schritte auf die Tür zu, damit er ihre Begeisterung nicht sehen konnte.

      Zusammen verließen sie das Schülercafé. Sam holte seinen Motorradhelm aus einem der Spinde hervor. Schweigend traten sie auf den Hof, wo sich nur noch wenige Schüler aufhielten. Luisa genoss diesen Moment, in dem Sam Weston mit seinen langen Beinen neben ihr herlief und sein Schatten auf sie fiel.

      „Bis morgen dann“, sagte sie am Schultor.

      „Bis morgen, Luisa“, antwortete Sam, ging zu den Roller- und Motorradparkplätzen hinüber und setzte sich im Gehen seinen Helm auf.

      Ihren Namen aus seinem Mund zu hören, machte Luisas Knie ganz weich. „Hoffentlich schaffst du dumme Gans es bis nach Hause“, murmelte sie und war überrascht, wie sehr dieser Junge aus England ihr Herz berührte.

      Zuhause wurde sie von Stille empfangen. Stille, die ihr sehr ungelegen kam. Denn mit der Stille kamen ihre Gedanken erst richtig in Schwung.

      Sam, Ophelia, Sam, Sam, Ophelia … Immer im Kreis. Und weder Molly noch Jess, die sie aus diesem Gedankenchaos hätten retten können, waren zu erreichen. So blieb Luisa nichts anderes übrig, als sich an ihre Deutsch-Hausaufgaben zu setzen.

      „Werther kann noch so viele Briefe an Lotte schreiben, ich werde ihn nie verstehen“, murmelte Luisa und legte ihren Kuli aus der Hand. „Geschweige denn, eine vernünftige Analyse zustande bringen.“

      Entnervt kippelte sie auf ihrem Stuhl, betrachtete seufzend das Wirrwarr auf ihrem Schreibtisch und blieb dann mit ihrem Blick an dem Bild hängen, das in einem antiken Silberrahmen am Rande des Chaos auf ihrem Schreibtisch stand.

      Die Fotografie zeigte Ophelia auf der Weide, kurz nachdem sie auf dem Valentinshof angekommen war. Ihr Fell schimmerte in wundervoll hellen Rottönen, was ihr zusammen mit ihrem filigranen Kopf und den zierlichen Beinen schnell den Spitznamen ‚Feenfuchs‘ eingetragen hatte. Luisa war so froh, dass ihr Vater vor etwas mehr als zwei Jahren endlich zugestimmt