Erst Angestellter, dann Teilhaber, schließlich Inhaber vom Modelädchen, das war aus der Sicht des Alten eine steile Karriere, schlimmstenfalls mit dem Risiko behaftet, dass sich kaum Käufer am überwiegend ländlichen Angebot aus ´Schnurres Modelädchen` interessiert zeigten. Weshalb es nach dem plötzlichen, wenn auch nicht ganz unvorhergesehen Tod des Vaters eigentlich zu einer Neuorientierung in Sachen Mode hätte kommen sollen, aber dann fehlte es an allen Ecken und Kanten, zumal Schwester Rosl die Auszahlung ihres Erbteils forderte, was nur durch einen größeren Kredit bei der Sparkasse möglich wurde.
Außerdem war Amelie schon da, an einem Stammhalter ´arbeiteten` sie, wie Bernhard sich in seinem unnachahmlich und geradezu einmalig witzigen
´SchalkenullvierimNacken` Humor auszudrücken pflegte. Arbeiten an seinen musikalischen Talenten, das schien dem jungen Ehemann und Geschäftsführer von ´Schnurres Modelädchen` aber mindestens genauso wichtig. Dazu hatte er sich ein nicht ganz billiges, auf seiner bisher einzigen USA Reise erworbenes Original Western-Banjo, geleistet. Mit den Gitarre Künsten von Fredo, Monikas italienischem Sündenfall, hatte dies absolut nichts zu tun, ist doch wohl klar!
Ein Kosmopolit, der er nun mal ist, steht über den Dingen, weshalb Monika aus seiner Sicht ihre vorehelichen Erfahrungen mehr als gegönnt sind. Zumal er, Bernie, ja ungeheuer davon profitiert, von diesen südländischen ´Erfahrungen`.
Er sagt das irgendwie so, so unanständig grinsend, dass Monika eher versucht ist zu glauben (sich zu wünschen?), dass ihr Bernhard vielleicht doch mehr für sie empfindet als er gemeinhin so zugibt. Eifersucht, ja, könnte sein. Wenn sich die Gelegenheit bietet, nimmt sie sich vor, wird sie diese Vermutung mal testen. Es müsste ja nicht unbedingt eine italienische Testperson sein. „Hey, darf ich fragen, wo du gerade bist?“ fragt Bernhard Spiegeleier mit Speck in sich hinein schaufelnd und zwingt Monika dazu nicht weiter über Mammelie, Italiener und Testpersonen nach zu denken. „Bin ganz bei dir, wie immer, Schatz, nein ernsthaft, Schatz. Schau mal, das Mädchen isst und spricht inzwischen. Und aufs Klo, naja, irgendwie wird sie Essen und Trinken schon verwerten. Alles absolut menschlich und im Rahmen. Bernie, wenn wir das Programm löschen, sie einfach abmurksen sozusagen – dann kriegen wir wahrscheinlich erst recht Ärger.“ „Mit wem, Moni? Die Verleihfirma gibt´s nicht. Telefon stimmt nicht, Adresse falsch! Das sind Betrüger, Gauner. Der BND oder weiß der Teufel wer dahinter steckt. Die Kleine ist Spyware, so heißt das heute. Geheime Software von facebook oder Google um private Daten abzugreifen, die Menschheit ausspionieren.“„Bei uns gibt´ s nix zu holen, Berni, sagst du selber immer!“
Ganz allmählich gerät Bernhard, auf Grund der zutreffenden Argumentation seiner Frau, wieder in Rage. Christian Fürchtegott Gellert, ein Quälgeist aus den frühen Schuljahren, schießt ihm durch den Kopf, wie war das gleich: „Ismene, hatte neben vielen anderen Gaben auch diese, dass sie widersprach. Man sagt es überhaupt den guten Weibern nach …“ Spätestens an dieser Stelle pflegt Monika dazwischen zu gehen, denn zum einen ist es nicht das erste Mal, dass Bernhard aus Gellerts ´Widersprecherin` zitiert um sie zu ärgern, und zweitens hat er das Gedicht nur bis zu diesem ´Man sagt es überhaupt den guten Weibern nach` noch in Erinnerung. Deshalb bleibt sie jetzt überraschend stehen, das Tablett beladen mit Kakao und Mineralwasser für die Kinder, und fragt äußerst höflich und dabei mühsam ein Lachen unterdrückend. „Na gut. Was sagt man überhaupt den guten Weibern nach? W a s bitte?“ Nun ist es an Bernhard überrascht zu sein und so zu tun, als ob er sie nicht weiter mit diesem Fürchtegott Scherz belästigen wolle. Also windet er sich heraus mit seiner alten ´SchalkenullvierimNacken` Männer-Macho-Masche. „Man sagt ihnen nach, dass sie sehr zärtlich, gefühlvoll und zugleich humorvoll sind, eine Kanone im Bett sein können, das beste Frühstück der Welt herrichten für ihre Kinder und den über alles geliebten Ehemann und so weiter und so weiter …“ „Hihihihi“, kichert Monika, „wie fantasievoll und romantisch! Nur leider nicht im richtigen Versmaß. Gellert wird sich im Grabe rumdrehen.“ Bernhard grapscht nach ihr und beinahe wäre sie mit dem vollen Tablett zu Boden gegangen. „Darf ich daran erinnern, wir haben Kinder und einen Auswärtsbesuch …“ „Und einen braven Hund!“, kontert Bernhard, „der nicht durch menschliche Lüste verdorben werden darf. Aber ernsthaft: Hast du so gar nicht das Gefühl, da könnte mehr dahinter stecken. Bis du echt so naiv? Ich denke, wir sollten bei aller Gefühlsduselei Augen und Ohren offen halten …“ Für offene Ohren ist jetzt aus dem Haus sehr gut ein Klavierspiel zu hören: Chopin / Preludes, Op. 28 / Sonata No. 2, Op. 35. Bernhard ist mächtig erstaunt. „Amelie?“ „Ja bestimmt. Chopin in der Perfektion, ein Wunder!“ sagt Monika und verdreht die Augen himmelwärts. „Übt sie überhaupt noch?“ will Bernhard wissen und bekommt als Antwort zu hören. „Mit dem CD-Player spielt sie wie Vladimir Ahskenazy, oder war das jetzt Horowitz?“ Das ist Wasser auf seine Mühle. „Sag ich ja immer wieder: die haben nur noch Computer und das ganze Zeug im Kopf. Und jetzt kommt noch ein lebendiger dazu!“ „Angenommen“ , sagt Monika und will jetzt mal ernst genommen werden. „Nur mal angenommen du hast Recht und das Mädchen ist ein Experiment vom Staat. Ein Prism-Abhör-Angriff, oder sowas. Vielleicht ist sie tatsächlich ein Spionage Programm, was der Snowden noch nicht aufgedeckt hat. Aber, mein lieber Mann, da kommen wir doch in Teufels Küche, wenn man dem Geheimdienst ins Handwerk pfuscht und so eine Sache einfach löscht. „Du solltest wirklich bei deinen Kochsendungen bleiben“ nimmt Bernhard seine Frau eben n i c h t ernst und lenkt ab indem er auf das Klavierspiel verweist, das im Augenblick nur mit einer Hand fortgesetzt wird. Ein Grund seinen wieder aufkeimenden Ärger cholerisch raus zu brüllen. „Das n e r v t jetzt!“ Monika reagiert diplomatisch und spricht schnell ein anderes Thema an. „Weißt du, Schatz, zur Polizei müssen wir vielleicht gar nicht. Und wegen der Schule würde ich vorschlagen …“ „Austauschschülerin!“ übernimmt Bernhard, plötzlich ganz vernünftig, die Idee von Mick und tut als wäre es seine. „Das klingt immer glaubwürdig, auch für die Nachbarn.“ „Toller Einfall“, lobt Monika, „mit Amelie in einer Klasse, sehr gut. Privatschulen sind nicht so pingelig, schon allein wegen dem sau teuren Schulgeld …“„Das Programm löschen kommt billiger“ knurrt Bernhard. „Ich weiß, wir sind sowieso pleite!“
Das ist Monikas lange schon standardisierte Antwort auf sein Gejammer, dabei haut sie ihm nochmal Rühreier mit Speck auf den Teller. Das mag Bernhard. Dennoch will er sich nicht geschlagen geben und tut was er meint tun zu müssen, er brüllt hinüber zum Haus. „Frühstück ist fertig! Verdammt!“
Die Antwort ist ein perfekter Fingerlauf, eine Chopin-Prelude auf Amelies Kleinklavier.
*
„I“ sitzt vor diesem Klavier, in Onkel Henrys Cowboy Hemd und neuen passenden Hosen. Fun Kleidung, ganz individuell, hat Amelie betont und ihrem Bruder jeden Kommentar dazu verboten. Und „I“ hat offenbar noch nicht das richtige Gefühl dafür was hippe Kleidung angeht, ausmacht, woher auch. Viel interessanter scheint die Musik CD zu sein. Das Mädchen hat die Daten
eingelesen und spielt den Übungslauf nur mit der linken Hand. In der rechten hält sie ein Eis am Stiel, das Amelie ihr offeriert hat. „Krass, musst du mir unbedingt beibringen, Klavier spielen ohne zu üben!“ Ob „I“ die Bemerkung verstanden hat, sei dahingestellt, auf jeden Fall ist kein Gedüdel