"I"- Achtung Spyware!. Til Erwig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Til Erwig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738022308
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hätte. Naja, mit Zitronen gehandelt, würde Mama sagen, die ja gar nichts wissen darf von der Sache und angeblich mit Papa zusammen ziemlich geräuschvoll das Frühstück vorbereitet.

      Ins Modelädchen sind die beiden Mädchen ja nur um rasch ein paar witzige Klamotten für „I“ zu finden, sie kann schließlich nicht ein Leben lang in Onkel Henrys Ami-Klamotten herumlaufen. Amelie betrachtet immer noch ihren ausgestreckten Zeigefinger – und ist doch einigermaßen erleichtert, dass nichts passiert ist. Unter Strom zu stehen soll fürchterlich unangenehm sein, bei Blitzschlag hat es sogar schon Todesfälle gegeben, behauptet zumindest Mick, der Fachmann in Energiefragen, aber man kann ihm eben nicht immer glauben. In Sachen Stromschlag jedenfalls ist sein Prognose nicht eingetroffen, das hat der Finger Test soeben eindeutig bewiesen. „Nix passiert!“ Amelie hält ihren Finger dem Mädchen unter die Nase und die wiederholt emotionslos „Nix … passiert!“ „Das ist gut so“, sagt Amelie und das Mädchen echot „Das ist gut so“.

      Danach aber - und zur großen Überraschung Amelies - stellt sie nun sogar eine Frage „Was ist das … gut so?“ Amelie klatscht erfreut in die Hände und antwortet „Gut so heißt, dass es gut ist, wenn ich dich anfassen kann und dabei keinen Schlag kriege. Du stehst nämlich unter Strom, verstehst du?“ „Ich bin unter Strom, wenn Menschen … anfassen. Doktor Mundfohl … darf nicht anfassen. Das ist gut so.“ „Und warum darf Doktor Mundfohl nicht anfassen?“

      „Amelie ist … ist … kompa …“ „Kompatibel! Da hab´ ich Glück gehabt“ , lacht Amelie und umarmt die neue Freundin heftig. Die echot was sie soeben abgespeichert hat „Da hab ich Glück gehabt.“ „Da hast d u Glück gehabt“, korrigiert Amelie. „Da hast du Glück gehabt“, antwortet „I“ und zugleich ertönt wieder das nun schon zur Gewohnheit gewordene „Dida dadadadidadaaa“.

      „Nee, nee, neee!”, sagt Amelie und legt dabei die Hand auf den Mund des Mädchens, als ob sie damit das Abspeichern verhindern könnte. „Nicht alles speichern, das musst du noch lernen. Aber jetzt suchen wir erstmal was für dich zum anziehen, okay?“ Sie hält „I“ ein modisches Kleidungsstück hin. Das Mädchen betrachtet und befühlt es, weiß aber im Grunde nicht recht was damit anzufangen. Amelie versucht es ihr zu erklären „Mein kleiner Bruder Mick nennt das abartig, aber mir gefällt´s. Probier´s an. Anziehen, verstehst du? A n z i e h e n! Warte, ich helf ´ dir. Ist super stylisch.“

      *

      Im Garten des Schnurre Hauses rennen Monika und Bernhard hin und her um

      den Frühstückstisch für Familie und Gast schön zu decken. Die Anspannung ist nach dem Besuch des Schlafzimmers einer fühlbaren Entspannung gewichen, dennoch geht das Streitgespräch in locker geführtem Ton weiter. „Entschuldige mal“, sagt Monika und Bernhard antwortet wie aus der Pistole geschossen mit einem verbindlichen und gleichwohl desinteressierten Lächeln. „Ich entschuldige.“ Eigentlich ist Monika nicht an einer Fortsetzung der Diskussion um die merkwürdige Schaufensterpuppe und um das inzwischen kaum weniger merkwürdige Mädchen interessiert. Vielmehr hatte sie gehofft, dass Bernie noch ein wenig in der zärtlich vertraulichen Stimmung der vergangenen Minuten verweilen würde. Sie ärgert sich über sich selbst. Nach all den Jahren ihres gemeinsamen Lebens – wie viele sind es doch gleich - hat sie immer noch dieselben Hoffnungen und Wünsche und Gefühle wie in ihrer Teenagerzeit. Ein Vermächtnis von Mammelie, denkt sie, und ist irgendwie stolz darauf sich wenigstens etwas von ihrer Mutter erhalten zu haben, auch wenn sie sich kaum an sie erinnern kann und auch Fotos oder Erinnerungsstücke sind ihr nur wenige geblieben. Ausgenommen das Wiegenlied vielleicht, das die hippe Künstlermutter noch kurz vor der Geburt des zweiten Töchterchens auf inzwischen vergilbtem Originalnotenpapier textete und komponierte, von Monika immer noch irgendwo sicher aufbewahrt.

      Schlaf nun bald, Schlaf nun bald, Kleiner Wiegenschatz

      In der Hütt´

      Auf dem Herd

      Schläft schon Hund und Katz´.

      Fuchs und Has´

      Maus und Reh´

      Schlafen auch im Wald

      Silbermond blickt herein,

      Schlaf mein Kind nun bald.

      Morgens wenn die Sonne lacht, lacht auch unser Kind,

      Einen lichten Wiegentraum

      Schickt der Abendwind.

      Schlaf nun bald, Schlaf nun bald, kleiner Wiegenschatz.

      Mutters Brust, Vaters Herz,

      Sind dein warmer Platz.

      Mit dem Wiegenlied verband sich für Mammelie die Hoffnung, dass

      vorbildhaft gelebte Kultur und Bildung über Haut und Haar sie durchdringen möge um dem ungeborenen Kind zu Fantasie und geistiger Bildung zu

      verhelfen. Um dieses hehre Ziel zu erreichen schienen ihr lange, sehr disziplinierte Spaziergänge durch Wald und Feld hilfreich zu sein. Verbunden mit dem Rezitieren schöner Gedichte Gottfried Benns, dem Dichter der literarischen Moderne, von Heine und Hölderlin. Für den humoristischen Teil des im Bauch heranwachsenden und von Mammelie zu gestaltenden Lebewesens gaben Wilhelm Busch und Christian Morgenstern ihr Bestes um dem Kind einen leichtfüßigen Eintritt in die Welt der Künste, des Theaters, der Dichter und Denker, der Musiker und Maler, der Schauspieler und Regisseure und vieler die Kunst liebenden Menschen zu ermöglichen, die sich seit Jahren zu Lolas Freundeskreis zählen durften. Mit einem Wort: Die Muse sollte bereits den Fötus im Mutterleib küssen. Tat sie aber nicht. Jedenfalls nicht so richtig.

      Eine spätere Bemühung und damit noch in guter kindlicher Erinnerung war Monika ihr erster Theaterbesuch. Man gab ´Peterchens Mondfahrt` und sie ging an der Hand der ´Sonne`, Mammelie spielte dieses leuchtende Gestirn mit der goldenen vielzackigen Sonnenkrone aus Pappmaché, hinter die Bühne und durfte dem angsteinflößenden ´Mondmann` und dem liebenswert tapferen Maikäfer ´Sumsemann` guten Tag sagen. Unvergesslich bleibt ihr der Geruch von Schminke und Mastix, dem Klebemittel für Perücken und Bärte, die Hitze der Scheinwerfer die das Bühnenbild vom Mann im Mond in verschiedenen Farben aufleuchten ließen, besonders wenn der ´Donnermann` tätig wurde, dessen unheimliches Gedonnere durch ein großes Blechteil in Verbindung mit einer Pauke von Bühnenarbeitern erzeugt wurde. Dazu blitzten die Beleuchter auf der Brücke mit ihren Scheinwerfern und ein Regengeprassel vom Tonband perfektionierte den gruseligen Höllenspektakel. Ja, ihr habt’s gut, pflegte die in der ´Ostzone` lebende Schwester von Lola bei ihren Besuchen zu klagen, hier im ´Goldenen Westen`. Gretl, bei uns ist auch nicht alles Gold was glänzt, lautete Mammelies stereotype Antwort. Und ihr habt doch immer noch euer Haus und den Schnapsgroßhandel und wir hier nicht annähernd was Angemessenes. Aber konnte was ´Angemessenes` wirklich der Grund sein für Lola ihre zwei Kinder und den dazugehörenden Vater über Nacht zu verlassen – auf nimmer Wiedersehen, sozusagen? Dafür Verständnis aufzubringen fällt Monika heute noch schwer, auch wenn sie keine Hassgefühle oder ähnliches gegen ihre Mutter entwickelt hat. Der festen Meinung ist sie jedenfalls bis heute.

      Und nach dem ersten großen Schmerz über den Verlust der Mama ging das Leben ja auch nicht unangenehm weiter. Mit allen Höhen und Tiefen bis heute. Und wenn man es genau nimmt, also mal abgesehen von den kleinen Reibereien mit Bernhard, das ist doch ganz normal, das war schon damals klar als sie sich kennenlernten, sich verliebten und sie darauf hin ihre (Ehrenwort! rein platonische) Beziehung zu dem Sohn eines italienischen Pizzabäckers aufgab. Nicht kampflos, nein, das muss sie sich nicht vorwerfen lassen. Der Junge aus Torri del Benaco, diesem süßen kleinen Ort am Gardasee, den sie einmal zusammen besuchten weil Fredo sie ja unbedingt seinen Eltern vorstellen musste, die, naja, ziemlich katholisch waren und deshalb so gar nicht begeistert von der festen Verbindung ihres Sohnes mit einer jungen, evangelischen Deutschen. Das hatte sie deutlich gespürt, auch wenn man gemeinsam zur Kirche ging und sich damit schutzlos den neugierig fragenden Blicken der Nachbarschaft und anderer Kirchenbesucher aussetzte. Die müssten ja eigentlich glücklich und dankbar sein, Alfredos Eltern, dass bald danach Schluss war , nach diesem Lago