„Neeee! D u heißt „I“! – Ich bin Amelie!“ „Ich bin … Amelie. - D u heißt „I“.
Jetzt prustet Amelie los, gibt aber nicht auf. Scheiße nochmal, wie frustrierend muss es für Lehrer sein, wenn ihre Schüler absolut nicht kapieren wollen wovon sie eigentlich reden. Der Englischlehrer fällt ihr ein, Herr Weinzierl, ein zarter, gebrechlicher älterer Herr, der sich gegen die geballte Wucht der Rüpel im Klassenzimmer so richtig nicht durchsetzen kann, der aber niemals aufgibt, der immer wieder versucht den am Unterricht ziemlich desinteressierten Typen etwas von seinen persönlich gemachten Erfahrungen in dieser Sprache zu vermitteln, kein sogenanntes Schulenglisch, ein Englisch, das die Engländer sprechen, zum Beispiel in London, er war zweimal da und kennt Abbey Road und einfache People von der Straße, spricht also Englisch der Extra Klasse, ein Englisch aus dem richtigen, dem britischen Leben. Und gerade die Schüler, die es am nötigsten hätten, nämlich Boris, Kevin, Mike und Elvis, also die mit den e n g l i s c h e n Namen, die „A perfect English“ besonders interessieren müsste, genau diese Hirnis sind die größten Ignoranten und machen sich über den ´Old Teacher Man` lustig ohne Ende. Wobei, das muss Amelie ehrlicherweise zugeben, der Dr. Weinzierl auch manchmal Scheiße baut, echt voll daneben, mit maximal unfreiwilliger Komik. Ein einfacher Satz wie zum Beispiel: ´Er ging zurück` - wird von ihm pantomimisch dargestellt durch einen schnellen Gang, verbunden mit dramatisch gespielter Rückwendung und näselnder Tränsläischen: „He himself went backwards!“ Gelächter in der Klasse, und ab sofort heißt Weinzierl nur noch „Mr. Himself“. Also sorry, Sir, da kann auch eine Amelie nichts mehr dran ändern.Was guckt sie mich so an, fragt sich Amelie und hat die Zeit vergessen, über die ihre Gedanken sie weggetragen haben. Vielleicht hat „I“ auch nachgedacht, kann sie das? Das Puppen-Mädchen tippt sich an die eigene Stirn. „Ich bin … „I“! Amelie steht der Mund offen, ja, die Kleine hat irgendwie irgendwo eine Möglichkeit entdeckt nachzudenken, echt ein Grund zum feiern. „Jetzt hast du ´s verstanden, ja?!“ Und „I“ wiederholt noch einmal fast andächtig „Ich bin „I“! „Cool! Jaaa, du bist echt cool!“ Wieder ist eine Umarmung fällig und wieder bleibt ein Stromschlag aus. In der Brusttasche von Onkel Henrys Hemd spürt Amelie etwas. „Was hast du da?“ Sie greift hinein und holt das Teil heraus. „Ein Translate- und Schach Minicomputer, whow, neuestes Modell, typisch japanisch, Made in China. War das da drin im Hemd? Kannst du das einlesen?“ „Ich … bin „I“! Kann ich das einlesen?“ „Du schaffst das!“ Amelie ist überzeugt davon und gibt ihr den Translater. „I“ betrachtet das Teil, der Minicomputer ist vielschichtig und kann mehr als nur eine Sprache nachplappern. Klar, dass in diesem Fall wieder ein „Dida dadadadidadaa“ nötig ist, weil das Mädchen das Gerät nun erst einmal abspeichert. Mick, der Spion im Nebenzimmer, beobachtet die Transaktion auf dem Laptop. Er sieht – durch die Augen von „I“ – wie im Ticker-Tape am unteren Ende des Bildschirms einfache Englisch/Deutsche Redewendungen für Touristen auflaufen: Good morning. Guten Morgen. - How do you do? Wie geht es Ihnen? - What´ s the time? Wie spät ist es? - May I please have a cup of coffee? Darf ich bitte eine Tasse Kaffee haben? Where is the Police Station? Wo geht´s zur Polizei? - May I shoot some fotos? Darf ich hier fotografieren? Die letzte Frage bringt Amelie auf eine Idee. Schon brüllt sie laut gegen die Wand, hinter der sie zu recht den brüderlichen Lauscher vermutet „Wo sind die Fotoapparate von Onkel Henry? Habt ihr fotografiert?“ „May I shoot some fotos? Darf ich hier fotografieren?” antwortet „I“ brav, fast verschüchtert. Weil sie natürlich nicht verstanden hat, dass die Frage an Mick gerichtet war.Weshalb Amelie sich umdreht, gegen die Wand klopft und wiederholt „Miiiick! Wo sind Onkel Henrys Fotoapparate? Der Spion hinter der Wand hat die Fotoapparate von Onkel Henry längst an den Computer angeschlossen. Der Ladebalken läuft gerade auf, als Amelie und „I“ hereinstürmen. „Hab ich mir schon gedacht“, sagt Amelie. „Hab ich mir gedacht, dass du dir das gedacht hast“ antwortet der vielbeschäftigte Foto und Bildexperte und tippt lässig mit einem Finger auf der Tastatur des Computers herum während „I“ freundlich echot. „Gedacht, gedacht, hab ich mir schon gedacht!“ Auf dem Bildschirm erscheint jetzt eine Fotoserie: Geil! Flugzeug, ein zweiter, größerer Flieger, Passagiere, eins, zwei, drei, vier hübsche Stewardessen, im Landeanflug der Berliner Flughafen. Dann die Anzeigetafel in der Flughafen Halle, Bilder von Henrys Taxifahrt durch Berlin, Familie Schnurre beim Essen im Garten, Sonnenschirm im Regen, „I“ beim testen des „Doppel-Whoppers“, grinsende Gesichter von Amelie und Mick, „I“ beim Umziehen im Geräteschuppen, Henry lachend im Nachthemd von „I“ … und dann schreit Amelie plötzlich „Stopp, halt an. Mach Zoom oder sowas. Nun mach schon, Männchen!“ „Ey, willst du mich dissen, oder was? Männchen – hallo, das geht ja gar nicht - Männchen!“ sagt der kleine Bruder und ist mehr als angesäuert. Wenn er nämlich eines nicht leiden kann, dann ist es nicht für voll genommen zu werden. „Das Männchen, kannst du dir sonst wo hinstecken. Und deine Fotostrecke dazu. Ende der Durchsage.“ Mick kann ganz schön stur sein, wenn ihm etwas nicht passt, dann gibt es voll, krass Ärger. Die Kommunikation mit der Familie abzuschalten, ist noch die geringste Strafe. Bei aus seiner Sicht weiteren Ungerechtigkeiten, ist mit einem verstärkten Strafmaß zu rechnen, das gilt für alle im Haus, für Tiere und für Menschen. Verstärktes Strafmaß heißt zum Beispiel auch den ´Compu` abschalten (obwohl ihn das innerlich am meisten schmerzt), keine Infos mehr und keine Spiele, für alle, die ihn ständig ´quälen` mit Schularbeiten oder Müll raus tragen. Weitere Sanktionen sind in Planung, aber noch nicht ganz ausgereift.´Compu` ist Micks bester Kumpel, mehr noch als Crash, der Hund, der ihm gelegentlich auch schon mal Trost gespendet hat in seiner Bubeneinsamkeit. Aber Crash ist wild, verspielt, knurrt, bellt, kratzt und fordert! Der Compu dagegen bleibt friedlich und stumm, ein echter Kamerad, ein verständnisvoller Zuhörer, ein Trostbringer, der sich ganz nebenbei andient als verschwiegener Spitzel, als Spion, der den bescheidenen endscoolen Voyeur im worldwideweb gibt, der vor Entdeckung schützt und für hämische Freude sorgt, wenn man nur weiß, wie alle unsichtbar gelegten Spuren zu verwischen und unwiederbringlich zu löschen sind. Mit einem Wort, der Compu ist sein allerbester Freund, der einzige, dem er vertraut, alles anvertraut, echt wahr. Und wer‘ s nicht glaubt, Fuck, der kann sich gleich verpissen, und wenn´s die eigene Schwester ist mit ihrer nagelneuen Super Tussi. Doch die ist wirklich super, obwohl sie keine Ahnung hat was das bedeutet, denn noch bevor Amelie unter Einsatz weiblicher List versuchen kann den kleinen Bruder zu überzeugen, sein Lieblingsteil wieder hochzufahren, mischt sich die Puppe auf ihre naive unbedarfte Art mit einem „Dida dadadadidadaaa“ in das Geschehen ein und zeigt mit dem Finger auf den noch immer dunklen Bildschirm. Ein Grund mehr für Amelie nun energisch bei Mick zu insistieren „Siehst du, sie will uns was sagen, oder zeigen, nun mach wieder an die Kiste, mein toller Checker.“ „Hör bloß auf mit deinem Hip-Hop-ABC. Du hast doch no Ahnung vom checken. Ich muss erst mal abdönern!“ quetscht Mick cool hervor und geht provzierend langsam hinaus. „Das bring ich auch ohne dich - Männchen!“
kreischt Amelie wütend hinter dem Bruder her, der zeigt ihr den Stinkefinger, was sie aber nicht hindert den Computer zu starten. Der fragt auf dem Bildschirm höflich um das Codewort. Amelie hackt „Chillen“ in die Tastatur was der Computer sofort als „Error“ bezeichnet und um das richtige Kennwort bittet. „Dieser Hirni, hat schon wieder seinen blöden Code geändert, du kriegst die Krise!“ „I“ indessen scheint die Bedeutung von Krisen nicht zu kennen. Sie fixiert den Bildschirm, gibt in rasendem Tempo ein paar Daten ein und sagt dann emotionslos „Ich bin „I“. Ich kriege nicht die Krise! Amelie kriegt die Krise! Was ist die Krise?“ Mit einem ´Kling-Klang‚ fährt der Computer hoch, wie auch immer „I“ das hingekriegt hat. Auf dem Bildschirm sind wieder die Fotos von Onkel Henry zu sehen: „I“ beim Aus- und Umziehen. Onkel Henry in