Rayan umarmte sie innig und begrüßte sie auf Englisch. Carina hatte ihn vorher durchaus schon einmal Englisch sprechen hören und war überrascht, wie sich auch bei ihm plötzlich ein amerikanischer Akzent breitmachte.
Auch Tahsin sprach aufgeregt auf Englisch auf sie ein und dabei wurde sein amerikanischer Akzent noch deutlicher als vorher im Deutschen. „Großmutter Julie, hast du gesehen? Unser Trick klappt jedes Mal besser!“
„Großmutter?“ Carina war nun völlig verwirrt.
Rayan bemerkte ihren Blick, grinste wieder einmal spöttisch und stellte ihr „Julie“ vor, mit keinem Wort klärte er jedoch ihre Beziehung auf. „Das macht er mit Absicht“, fluchte Carina innerlich, tat ihm daher auch nicht den Gefallen, näher nachzufragen.
Dann bat er sie alle ins Haus. Sie gelangten in eine geräumige Eingangshalle, die zur rechten Hand direkt in ein offenes Wohnzimmer überging, welches mit einer interessanten, aber nicht geschmacklosen Mischung aus arabischen und europäischen Möbeln ausgestattet war.
Vorherrschend waren die Wände mit dunkelbraunem, elegantem Holz verkleidet. Sie wechselten sich mit weiß gestrichenen Steinwänden ab, an denen wunderschöne Teppiche hingen, die Farbe in das Zimmer brachten.
Alles war absolut sauber, kein Fussel oder Staubkorn war zu erkennen. Angesichts der Anzahl der Bediensteten war dies kein Wunder. Auf Anhieb zählte sie mindestens acht verschiedene Personen.
Im Gegensatz zu den anderen Menschen, die sie vorher außen getroffen hatten, ignorierte Rayan diese Männer und Frauen meist, obwohl sie sich ihrerseits tief vor ihm verneigten.
Er befahl einem jungen Mann, ihr ihr Zimmer zu zeigen. Dieser fragte sie höflich in einem schlechten Englisch, ob er ihr mit Gepäck helfen könne und führte sie eine Treppe hinauf in den ersten Stock.
Die Treppe befand sich am Ende der Eingangshalle, direkt neben einem Ausgang, der hinter das Haus in einen Garten zu führen schien.
Als sie bereits auf der Treppe war, sah sich Carina kurz um und sah, wie Rayan nochmals Julie fest in den Arm nahm, sie an sich zog und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte.
Sie spürte einen kleinen Stich der Eifersucht und war dann aber auf sich wütend, weil es dazu ja überhaupt keinen Grund gab. Sie hatte sich schließlich geschworen, dass sie sich nicht in Rayan verlieben würde, er war einfach nicht gut für sie.
Oben im ersten Stock führte ein Gang über die ganze Breite des Hauses, von dem zur Vorderseite hin verschiedene Türen abgingen. Auf der rechten Seite machte der Gang dann noch einen Knick nach rechts um das Treppengeländer herum und endete an einem großen Fenster, das wahrscheinlich nach hinten in Richtung Garten hinaus blicken ließ.
Der Diener führte sie jedoch nach links, sodass sie ihre Vermutung nicht überprüfen konnte, dazu war sicher später noch Zeit.
Ihr Zimmer lag nur ein wenig links der Treppe, neben ihrer gab es noch drei weitere Türen und eine Doppeltür am Ende des Flurs. Alle Türen waren geschlossen, sodass der Flur recht dunkel und ein wenig unheimlich wirkte.
Doch dann öffnete der junge Mann, der sie informiert hatte, dass sein Name Ahmad war, mit einer kleinen Verbeugung die Türe zu ihrem Zimmer und es flutete sofort Sonnenlicht herein.
Verwundert trat sie in das Zimmer und sie fand einen Raum vor, der vollständig mit europäischen Möbeln ausgestattet war: links von der Tür ein Himmelbett mit einer breiten Matratze und Holzeinfassung.
Rechter Hand eine breite Schrankwand mit Spiegeln. An der gegenüberliegenden Seite waren zwei große Fenster, zwischen ihnen eine Kommode und links neben dem Bett ein kleines Waschbecken, ebenfalls mit Spiegel.
„Das ist wunderschön! Vielen Dank!“, rief Carina entzückt und auch sehr erleichtert. Sie konnte nicht sagen, was sie eigentlich erwartet hatte, aber nach den Tagen im „Luxuszelt“ zusammen mit Rayan in Tayma, hatte sie mit allem gerechnet. Dieses Zimmer jedoch machte so manchem Hotel Konkurrenz.
Ahmad verbeugte sich und meinte steif: „Es freut mich, dass es Ihnen gefällt, der Herr sagte schon, wir sollen für Sie dieses Zimmer vorbereiten, da Sie sich hier sicher wohler fühlen.“ Allerdings sah er dabei nicht aus, als freue er sich wirklich, er wirkte eher etwas gelangweilt, allenfalls war es ihm egal.
Wieder war Carina versucht zu fragen, wann Rayan das gesagt haben sollte, aber dann fiel ihr ein, dass sie diesen Fehler heute schon einmal begangen hatte – sicher meinte der junge Mann, dass Rayan dies bei seinem Anruf vorab telefonisch angewiesen hatte.
Der Bedienstete trat an den Schrank heran und öffnete die Türen und zu Carinas Entzücken sah sie diverse Kleidungsstücke, die auch in etwa ihre Größe zu haben schienen.
Sie verbiss sich eine weitere Frage, sie vermutete, dass die Kleidungsstücke auf den Packpferden mit den Männern mitgebracht worden waren.
Auf ihre Frage nach einer Dusche hin, öffnete der Diener wortlos eine Türe, die sich an der linken Wand des Raumes befand und führte sie in ein kleines Badezimmer, das ebenfalls zwei große Fenster nach vorne heraus hatte, eine große, gemauerte Dusche mit Glaswänden und eine moderne Badewanne, die sogar über eine Whirlpool-Funktion zu verfügen schien.
Weiterhin eine moderne Toilette und ein separates Bidet.
Eine zweite Türe schien wieder hinaus auf den Flur zu führen.
Nach den Tagen in der Wüste mit all dem Staub, der in jede Pore des Körpers einzudringen schien, kam ihr dieses Badezimmer wie ein Paradies vor.
„Soll ich Ihnen ein Bad einlassen?“, fragte Ahmad, doch wieder wirkte seine Höflichkeit gezwungen. Carina vermutete, dass er einer der typischen Männer war, die ein Problem damit hatten, eine Frau zu bedienen.
Sie lehnte daher ab, sie wollte ohnehin erst einmal den Staub abduschen.
„Wenn Sie sonst keine weiteren Wünsche haben, lasse ich Sie alleine, damit Sie sich frisch machen können. Lassen Sie sich Zeit und dann kommen Sie einfach nach unten, wenn Sie möchten und wir bereiten Ihnen etwas zu essen zu.“
Carina bedankte sich kurz, sie wollte ihn so schnell wie möglich loswerden.
Er verneigte sich nochmals steif und war dann lautlos verschwunden.
Sie sperrte zunächst die Tür des Badezimmers zu, die zum Flur führte, dann die Türe des Schlafraumes. Postwendend ging sie zurück ins Badezimmer, lies alle ihre schmutzigen Kleidungsstücke achtlos auf den Boden fallen und stieg in die Dusche.
Es kam ihr vor, als hätte sie nie eine himmlischere Dusche erlebt wie diese. Sie ließ sich Zeit und probierte alle Funktionen der Dusche aus, sowohl die des großen Duschkopfes, als auch die an der Wand angebrachten Düsen. Herrlich! Direkt im Anschluss betätigte sie kurzerhand zusätzlich noch die Badewanne und suchte sich einen der Düfte aus, die in kleinen Glasfläschchen am Rande der Wanne aufgestellt waren. Sie konnte nicht widerstehen auch den Whirlpool auszuprobieren und sah einen Moment lang zu, wie sich duftende Blasen bildeten. Dann stieg sie langsam und genüsslich hinein.
Derart entspannt, vergaß sie erst einmal alle ihre Sorgen und Ängste, die sie während der Reise hierher bewegt hatten und verbrachte eine lange Zeit vor sich hin träumend im warmen Wasser.
2001 - Oase von Zarifa - Bezahlung einer alten Schuld
Rayan spürte die Gefahr im letzten Moment, doch wie Sedat vermutet hatte, wusste er nicht, woher die Bedrohung so plötzlich kam. Als sein Vater ihn packte, reagierte er, indem er sich und ihn zu Boden warf. Dann erst hob er den Kopf, konnte aber noch immer keinen Gegner ausmachen.
Er wandte sich Sedat zu und sah zu seinem Entsetzen das Blut auf dessen Rücken. Sein Vater war reglos zusammengesackt. Er prüfte dessen Puls und spürte, dass er nur sehr schwach und unregelmäßig schlug. Verdammt! Aber wo war der Heckenschütze, oder war es ein Querschläger gewesen?
Er versuchte die Flugbahn abzuschätzen, aber