Einen Verlängerten bitte. Elisa Herzog. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Herzog
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738021011
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hätten die gar nichts dagegen“, erwiderte Sue. Die an Terence gerichtete Fanpost enthielt in vielen Fällen eindeutige Angebote. „Bis zur Aufzeichnung hast du noch vier Stunden Zeit. Vielleicht beruhigen sich bis dahin deine Schwellkörper oder was auch immer.“

      Terence seufzte. „Ich hoffe, du hast recht.“ Dann überzog ein Lächeln sein Gesicht. „Aber insgesamt gesehen war es doch schön.“

      Sue zog es vor, auf einen Kommentar zu verzichten.

      Dreieinhalb Stunden später, als sie bei den Studios von Channel A Pro im Norden von London angekommen waren, hatte sich die Lage bei Terence noch nicht entspannt.

      „Geht es, Darling?“, fragte Sue mitfühlend, obwohl ihre Beinmuskulatur ebenfalls aufjaulte, als sie sich in ihren Louboutins aus dem Auto wand.

      Terence stöhnte auf und dehnte sich. „Eine kalte Dusche brauche ich nicht mehr, aber das Ziehen ist immer noch da. Verdammt, ich kann nicht einmal normal gehen. Ich werde einmarschieren wie ein gealterter Preisboxer.“

      Und ich im Schlepptau wie sein ebenfalls gealtertes Ringluder, dachte Sue. Es war typisch, dass er nicht fragte, wie es ihr ging. Er gab sich der Illusion hin, dass die vergangene Nacht ein unvergessliches Erlebnis für sie gewesen war. Was gab es da noch nachzufragen?

      Der Pförtner sollte der Einzige bleiben, der die Ankunft von Terence Urquhart mit einer lässigen Ignoranz hinnahm, denn kaum hatte der die zweckmäßig hässlichen, aber heiligen Hallen der Fernsehstudios betreten, schien es, als finge die stickige Luft an zu vibrieren. Alle lächelten. Die einen schüchtern, die anderen anzüglich, die nächsten wissend. Sex-Papst war man eben nicht ungestraft.

      Da sie wie gewöhnlich spät dran waren, eilten sie ohne große Umwege direkt in die Garderobe, einer jungen Frau, die am Ende des langen Flurs stand und mit einem Mann sprach, kurz zuwinkend.

      Sue fing an zu zählen. Eins. Terence begrüßte Paula, die Maskenbildnerin, mit einem strahlenden Lächeln und ließ sich mit der typischen Nonchalance eines Angehörigen der britischen Oberklasse in den Sessel fallen. Zwei. Terence zog sein Smartphone heraus. Drei. Die Tür wurde aufgerissen, und die junge Frau vom Flur, Fiona, stürmte herein. Bingo. Fiona war die Assistentin der Moderatorin Sondra Anderson, die in einer halben Stunde die Sendung No Limits moderieren sollte. Fiona stürmte immer. Es war, als schwebte eine Aura der Atemlosigkeit um ihren dünnen, busenlosen Körper. In ihrer Gegenwart fühlte Sue sich stets wie ein dicker, unbeweglicher Buddha. Während Fiona Küsschen mit Terence austauschte und die Maskenbildnerin ignorierte, checkte Sue kurz ihre Tasche. Sie waren da. Alles in Ordnung. Sie lächelte, denn jetzt war sie an der Reihe.

      „Sue, meine Liebe, gut siehst du aus. Heiß heute, nicht wahr?“, flötete Fiona, nachdem sie Sue von Kopf bis Fuß taxiert hatte. Dann, nach einem Blick Richtung Boden, kam der Aufschrei. „Du hast die Lucifer Bow von Louboutin!“ Ihre Stimme drohte zu kippen.

      Auf nichts war so sehr Verlass wie auf Frauen mit einem Schuhtick. Und Fiona hatte einen. Sue nicht, aber wie es der Zufall so wollte, hatte Terence der Leiterin des Showrooms bei einem heiklen Problem weiterhelfen können, und so kam Sue immer in den Genuss von Schuhen, die zwar in jeder Frauenzeitschrift angepriesen, doch ansonsten nur auf Warteliste zu erwerben waren. Tja, Dankbarkeit war etwas Schönes. Und noch schöner war es, Menschen, die einem ansonsten eher mit Geringschätzung (und das war noch vorsichtig ausgedrückt) begegneten, Neid zu entlocken.

      Fiona betrachtete die fliederfarbenen Riemchen, denn aus viel mehr bestanden die Schuhe nicht, wie ein seltenes Ausgrabungsstück. „Oh mein Gott, ich würde sterben für diese Schuhe“, hauchte sie.

      „Lieber gestern als heute“, murmelte Paula und drängte Fiona beiseite. „Ich müsste jetzt mal anfangen.“

      Fiona reagierte nicht.

      „Sind ja nur Schuhe“, murmelte Sue, der diese Verehrung allmählich peinlich wurde. Vielleicht sollte sie beim nächsten Mal Weihrauch mitbringen.

      Fiona sah aus, als hätte Sue sie mit einem Zauberspruch aus einer Trance aufgeweckt. „Nur Schuhe! Sie wissen selbst, dass das nicht stimmt“, meinte sie mit leichtem Kopfschütteln. „Kann ich Ihnen etwas zu trinken holen? Irgendwie sehen Sie beide aus, als hätten Sie einen Energieschub nötig. Wie wäre es mit“, es folgte eine kleine, dramatische Pause, bevor sie auf deutsch „Einen Verlängerten, bitte?“ radebrechte und die Urquharts Beifall heischend anlächelte, als wollte sie für ihre kümmerlichen Deutschkenntnisse, die sie sich bei ihren jährlichen Schiurlauben in Tirol angeeignet hatte, gelobt werden.

      Doch Sue sah vor ihrem geistigen Auge keinen verdünnten Espresso, sondern Szenen der vergangenen Nacht mit einem fast schon verzweifelten Terence und ihrem frustrierten Selbst. Auf derartige Verlängerte konnte sie in Zukunft getrost verzichten. Sie suchte unwillkürlich den Blick ihres Mannes, doch der starrte unbewegt in den Spiegel, räusperte sich ausgiebig, schlug die Beine übereinander und schüttelte schließlich den Kopf.

      „Nein danke“, lehnte er Fionas Angebot ab, „Schweißperlen machen sich nicht gut auf dem Bildschirm.“

      „Ganz richtig“, lautete Paulas Kommentar. „Bei den Royals ist das genauso. Die trinken auch nichts, um nicht am Ende mit Schweißflecken da zu stehen.“

      Fiona ignorierte die Maskenbildnerin. Sue wünschte ihr nur, dass sie niemals auf deren Künste angewiesen sein würde, denn für jahrelanges Ignoriertwerden würde sich Paula sicher mit einem entstellenden Makeup rächen.

      Fionas Handy meldete sich mit einem wummernden Bass. Mit gespieltem Genervtsein nahm sie das Gespräch an. Es dauerte nur wenige Sekunden und endete mit einem „Ja.“ Fiona sah in die Runde. „Sondra wird gleich hier sein.“

      „Na, das nenne ich mal eine Neuigkeit“, sagte Terence mit ironischem Tonfall.

      Auch Sue musste grinsen. Sondra würde sich keine Gelegenheit entgehen lassen, um Körperkontakt zu Terence herzustellen. Das ging besonders leicht, wenn er auf dem Schminkstuhl saß und nicht fliehen konnte.

      Sue lehnte sich an die kühle Wand. Sie hatte diese immer gleichen Spielchen satt. Jeder nahm sich furchtbar wichtig und tat, als hinge von seinem Job das Überleben der Menschheit ab. Fiona drehte wegen ihrer Schuhe durch, was Sue wiederum toll fand, weil diese Frau sie sonst genauso links liegen lassen würde wie Paula, die Maskenbildnerin. Andererseits war es erbärmlich, nur wegen seiner Schuhe bemerkt zu werden. Aber es war nicht nur Fiona. Diese ... ja, was war es eigentlich ... diese Zweitrangigkeit zog sich durch ihr ganzes Leben. Sie war immer nur existent in Zusammenhang mit jemand anderem. Die Frau/Managerin/Agentin von Terence, die Mutter von Amy und Philipp, die Tochter von Franz und Annemarie Wallner, die arme Halbwaise, die mit 15 ihre Mutter verloren hatte und dem Vater mit ihrem Dickkopf ganz schön eingeheizt hatte. Wann hatte sie jemals für sich selbst gestanden? Was und wer zum Teufel war sie? Ein saurer Geschmack kroch aus ihrem Magen hoch. Zum Glück hatte sie noch eine Flasche Wasser in ihrer Handtasche. Sie trank mit unverhohlener Gier. Es schmeckte zwar schon etwas abgestanden, aber es tat dennoch gut. Doch die Frage blieb: Wer war sie? Oder noch besser: Wer war sie schon? Das Anhängsel eines ziemlich bekannten TV-Arztes. Bloß kein Selbstmitleid, schimpfte sie sich selbst. Mir geht es materiell gut. Ich bin für eine ganze Menge Menschen wichtig. Terence wüsste ohne mich nicht einmal, wo sich sein Verlag befindet. Ich organisiere alles, von Lesereisen bis zu Rechercheterminen, ich kümmere mich darum, dass die Praxis läuft.

      Das sind doch alles keine Dinge, die man auf den Grabstein schreibt, flüsterte prompt ein böses Stimmchen, du hast kein eigenes Leben.

      „Es kommt wahrlich nicht oft vor“, meinte Paula, während sie stirnrunzelnd das Gesicht von Terence musterte, „aber in diesem Fall muss ich Fiona zustimmen. Sie sehen wirklich aus, als hätten Sie eine unruhige Nacht hinter sich. Ich fürchte, heute müssen wir unter den Augen mit dem Abdeckstift ran.“

      „Aber keinen zu dunklen“, warf Sue ein. „Letztes Mal sah er aus wie ein Brillenpanda.“

      „Echt?“, erwiderte Paula und runzelte die Stirn. „Ah, da war ich in Urlaub. Wer