Einen Verlängerten bitte. Elisa Herzog. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Herzog
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738021011
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das eine reizende Kellnerin ihr präsentierte, einen Orangensaft und machte sich auf die Suche nach ihrer Tochter.

      Auf einem Tisch stapelten sich bereits die Geschenke, und alle Vasen waren mit verschwenderischen Blumensträußen gefüllt. Dabei wäre es Aubrey sicher lieber gewesen, sie hätten die Blumen in der Erde gelassen und ihm stattdessen neue Setzlinge für sein Arboretum geschenkt. Aubrey plauderte glücklich mit den Gästen und sah dabei immer wieder verstohlen auf die Uhr. Es war kurz vor halb eins, und für Punkt halb war seine Eröffnungsansprache geplant. Wahrscheinlich ist er ein bisschen nervös, dachte Sue.

      „Na, wonach suchst du denn?“, fragte eine Stimme, auf die sie keinen Wert gelegt hatte. Sie gehörte Helen, Alistairs Frau mit dem Doppelnamen. „Ich nehme an, Amy. Ich würde sie keine Sekunde aus den Augen lassen.“

      „Natürlich nicht“, antwortete Sue so ruhig wie möglich. „Ich kann mir auch schwer vorstellen, dass Zehn- und Elfjährige schon Geburtstage in Clubs feiern. Aber natürlich würdest du immer mitgehen. Was deine Kinder natürlich zu ziemlichen Außenseitern machen würde.“ Sie sah auf die Uhr. „Ihr seid spät dran. Ist was passiert? Aubrey war schon etwas nervös.“

      „Alles bestens“, flötete Helen. „Was war euer Geschenk?“

      „Von uns allen eine prächtige Paulownia tomentosa, ein Blauglockenbaum, der morgen per Spezialtransport angeliefert wird. Und von mir eine Torte.“

      „Es ist entzückend, wie du bei Aubrey immer Hotel Sacher spielst. Hat Schwiegermama nicht bei Ladurée bestellt?“

      „Kann sein“, erwiderte Sue gleichmütig.

      Ein Klirren ertönte. Aubrey stand mit einem Löffel in der Hand und einem Glas Champagner in der anderen neben dem Geschenketisch und bat um Aufmerksamkeit. Er räusperte sich kurz, bevor er anfing zu sprechen. Tessa präsentierte sich an seiner Seite, ein vornehmes Lächeln auf den Lippen.

      „Liebe Gäste. Ich freue mich sehr, dass Sie und ihr alle gekommen seid, um mit mir meinen 75. Geburtstag zu feiern. Ich begrüße meine Familie, den Herrn Bürgermeister, unseren Anwalt, den Pfarrer, du liebe Güte, wenn ich weiterrede, stehe ich noch in zwei Stunden da, und dabei hängt mir der Magen schon in den Kniekehlen, weil ich heute Morgen vor Aufregung keinen Bissen herunterbekommen habe. Darum mache ich es kurz – ich danke meiner Frau, der lieben Tessa, dass sie das alles so wundervoll vorbereitet hat, und wünsche uns allen einen schönen Tag und ein unvergessliches Fest. Und jetzt kommt das Wichtigste: Ich bitte alle zu Tisch!“

      Alle klatschten und begaben sich zu den Tischen, die auf dem Rasen aufgestellt worden waren. Sue und ihre Familie saßen natürlich an Aubreys Tisch, und sie war froh, als sie Amy mit Philipp kommen sah. Vielleicht war an diesem Tag sogar ein kleiner Bruder eine psychische Stütze. Es sei denn, er löcherte sie dauernd mit Fragen zur Schießerei. Aber die beiden sahen ganz entspannt aus.

      Auch Emma saß am Tisch. Sie hatte wieder einmal einen Freund mitgebracht, der an einem anderen Tisch platziert war. „Hallo Amy“, sagte sie. „Willkommen im Club.“ Emma war schon des Öfteren in derartige Vorfälle verwickelt gewesen.

      „Emma, ich bitte dich“, fuhr Tessa ihr mit schneidender Stimme dazwischen.

      „Aber gerne doch, Mutter.“ Emma lächelte und widmete sich mit großem Appetit ihrer Suppe.

      Sue bewunderte Amy für ihre Contenance. Sie hatte die Haare nach vorne fallen lassen und aß ungestört hinter diesem Vorhang.

      Nach dem Essen und einigen weiteren, mehr oder weniger blumigen Reden war der Geräuschpegel etwas nach unten gesackt. Alle waren von einer angenehmen Trägheit erfüllt, bis auf Aubrey – und natürlich Tessa, die bereits wieder das Personal herumkommandierte.

      „Wie wäre es mit einem kleinen Verdauungsspaziergang?“, warf Aubrey in die Runde.

      Die Begeisterung verhalten zu nennen wäre eine Übertreibung gewesen. Eigentlich mochte sich niemand melden, bis sich schließlich Terence erbarmte, und nach einem heftigen Stoß von Helens Ellbogen in Alistairs Rippe auch Letzterer. Helen, die größten Wert darauf legte, sich lieb Kind zu machen, kam natürlich auch mit, ebenso ihre beiden Sprösslinge. Etwas frische Luft würde vielleicht die Vampirblässe aus ihren Gesichtern vertreiben, dachte Sue.

      Aubrey wanderte weiter zum nächsten Tisch und sammelte noch weitere Opfer ein, darunter den Pfarrer und den Bürgermeister.

      Sue hingegen hatte heftige Kopfschmerzen. Das Geplapper der Gäste fühlte sich an wie Nadelstiche auf ihrer Kopfhaut, und sie beschloss, sich bis zum Kaffee kurz hinzulegen. Zum Glück konnte sie sich in Terences ehemaliges Zimmer zurückziehen. Als sie die Treppe hinaufgehen wollte, wurde sie von Tessa abgefangen.

      „Amy ist viel zu jung, um zu solchen Veranstaltungen zu gehen. Ich hätte es ihr nicht erlaubt“, fing Tessa ohne große Vorrede an.

      „Du solltest nicht von etwas sprechen, von dem du keine Ahnung hast“, sagte Sue. Die gepuderte Perfektion ihrer Schwiegermutter verursachte ihr Übelkeit.

      „Wie darf ich das verstehen?“

      „Bei dir wäre Amy bereits seit mindestens fünf Jahren im Internat. Du hast doch bei keinem deiner Kinder die Pubertät mitgemacht. Hast alles schön den anderen überlassen.“

      Tessa schnappte nach Luft und Sue, für die das Gespräch beendet war, setzte ihren Gang in den ersten Stock fort.

      Sie fühlte eine gewisse Genugtuung, Tessa kurz außer Gefecht gesetzt zu haben, aber mittlerweile hatte sie das Gefühl, als hätte sie fünf Kopfschmerzarten auf einmal: klopfende, pochende, ziehende, stechende und Übelkeit verursachende.

      Bevor sie sich hinlegte, ging sie zum Fenster und sah hinaus auf diese wunderschöne Kulisse mit den schön gekleideten Menschen in einem preisgekrönten Garten. Sie nickte. Das war es, zumindest für sie. Eine Kulisse. Sie war Zuschauerin. Sie gehörte nicht dazu. Sie legte sich auf das Bett und schloss die Augen. Die Kühle des Raumes und der steifen Laken tat ihr gut.

      Sie erwachte, als sie Musik hörte. Erschrocken setzte sie sich auf und sah auf die Uhr. Du liebe Güte, sie hatte zwei Stunden geschlafen! Offenbar hatte sie auch niemand vermisst. Terence hätte ruhig einmal nachsehen können. Und sie Idiotin hatte ihr Kleid angelassen. Als sie aufstand und sich im Spiegel betrachtete, stöhnte sie auf. Alles war verknittert. So konnte sie sich auf keinen Fall unten zeigen. Sie brauchte dringend ein Bügeleisen. Dazu musste sie hinunter in den Hauswirtschaftsraum. Sie fuhr kurz mit dem Kamm durch die Haare und schlich sich ins Erdgeschoss.

      Der Wirtschaftsraum befand sich im hinteren Teil des Hauses, und an diesem Tag würde sich sicher niemand dorthin verirren. Sue zog ihr Kleid aus und legte es auf das Bügelbrett. Während sie in Slip und BH vor sich hin bügelte, begleitet von den Partygeräuschen im Hintergrund, musste sie plötzlich schmunzeln. Die Szene hatte doch was. Von einem Porno zum Beispiel. Da käme jetzt der lüsterne Hausherr und würde sie auf dem Bügelbrett nehmen. Unwillkürlich kicherte sie los. Aubrey und lüstern – das war schlichtweg nicht vorstellbar. Vor allem, weil sie keine Pflanze war. In diesem Fall bestünden tatsächlich gewisse Chancen.

      Als sie das Bügeleisen aussteckte, hörte sie auf einmal Tessas Stimme. Sie schien auf der Bank zu sitzen, die vor dem Fenster stand.

      „Was ist mit Sue?“, fragte sie.

      „Was soll sein?“ Das war Terence.

      „Muss ich dir das wirklich sagen?“

      „Sag es noch mal, es scheint dir viel Freude zu machen.“

      Oho, Terence war in Angriffslaune.

      „Spar dir deine Ironie. Die Sache mit Amy...“

      „War nicht ihre Schuld.“

      „Etwa deine?“

      „Ich habe es ihr erlaubt.“

      „Trotzdem. Die Mutter spielt eine wichtigere Rolle. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie die gut ausfüllt. Sie reagiert immer so“, sie suchte nach Worten, „aufsässig.“

      Terence