Haily. Roberta C. Keil. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roberta C. Keil
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742732897
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und eine vollständig ausgestattete Küche. Dahinter lag ein Schlafraum mit einem Bett und Kleiderschrank. Daneben war ein Bad untergebracht.

      „Du kannst dir die Wohnung gerne nach deinem Geschmack umgestalten. Es wäre nur schön, wenn du das vorher mit mir absprichst.“

      Ich nickte. Da ich keinen Cent Geld besaß, blieb mir keine große Wahl und ich musste mich mit der Einrichtung arrangieren. Aber das war nicht schwer.

      „Scheint ganz gemütlich“, versicherte ich.

      „Okay, also, die Küche darfst du gerne benutzen. Allerdings halten wir es so, dass ihr das Frühstück und das Mittagessen mit uns gemeinsam im Haus einnehmt. Dann lernen wir Euch besser kennen und ihr könnt euch schneller bei uns einfinden. Es hebt euch ein wenig vom Angestelltenverhältnis ab. Das ist unser Wunsch. Sandy wird dir sicher bestätigen, dass das eine gute Gepflogenheit ist. Das Abendessen regelt jeder für sich.“ Sie lächelte mich an. Hintergründig. Natürlich wollte sie irgendwann ihren Ehemann für sich allein haben. Das konnte ich verstehen und lächelte zurück. „Du kannst aber heute gerne bei uns zu Gast sein, bis du dir dann selbst ein paar Lebensmittel besorgen kannst.“

      Ich bemerkte jetzt die Glastür im Schlafzimmer, die auf eine befestigte Terrasse nach draußen führte und öffnete sie. Der Ausblick war berauschend. Mein Blick ging nach Osten auf ein Bergmassiv, das dieses Tal einschloss. Vor diesem Bergmassiv lag nur Weideland. Sicher mehrere Quadratmeilen Weideland. Kein Haus, keine Ortschaft, keine Stadt. Keine Nachbarn. Und Stille. Stille gab es hier im Überfluss. Ich war beeindruckt und gleichzeitig gelangweilt. Ich würde mich hier sehr viel langeweilen. Ich war die Stadt gewöhnt. Eine Stadt, die niemals zur Ruhe kam, selbst nicht in den frühen Morgenstunden, wenn der Rest der Welt in dieser Stille versank, die hier offenbar selbst am helllichten Tag herrschte.

      „Um ein Uhr gibt es Mittagessen im Haus. Soll ich Sandy sagen, dass sie dich abholen soll? Vielleicht kann sie dich ein wenig herumführen, wenn du magst.“

      Ich nickte. Natürlich wollte ich die Langeweile ausführlich kennenlernen.

      „Schön. – Ich freue mich, dass du hier bist, Emma. Und ich hoffe sehr, dass du dich hier zu Hause fühlen kannst.“

      Warum waren diese Menschen so sehr an meinem Wohlbefinden interessiert? Ich war das nicht gewohnt. Niemand machte sich Gedanken um mich.

      „Ich lass dich jetzt allein. Denke daran, du bist ein freier Mensch.“

      Warum sagte sie mir das? Ihre Worte stimmten mich nachdenklich. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ ich mich auf das Sofa sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

      Welche Ansprüche würden diese Leute an mich stellen? Bestimmt ließen sie mich das bald wissen. Meine Mutter sagte immer, nichts sei umsonst, außer der Tod. Das war hier in Arizona nicht anders, als in Nevada.

      Ich erhob mich wieder und untersuchte die Wohnung, schaute in jeden Schrank, zählte das Geschirr und die Kleidungsstücke. Im Kühlschrank fand ich eine Flasche Mineralwasser, etwas Brot und Butter und verschiedene Brotaufstriche. Warum hatte sie mich zum Abendessen eingeladen? Es war doch alles hier!

       Ich sah mich im Raum um. Im Vergleich mit Wohnung in Phoenix, die Mickey uns besorgte, war dieses Blockhaus ein wahrer Luxusbungalow. In Phoenix hausten wir in einem kleinen Apartment, das in einer heruntergekommenen Wohngegend lag. Das kam seinen Geschäften entgegen.

      Für einen Moment blieb ich an dem Bücherregal hängen. Ein Lächeln breitete sich in mir aus, als ich einige Werke von Schriftstellern entdeckte, die ich liebte. Ich hatte viel Zeit zum Lesen gehabt und mich für gehobene Literatur interessiert. Meine Lehrerin versorgte mich mit Büchern, weil sie genau wusste, dass bei uns das Geld knapp war. Ich liebte die Ausdrucksweise dieser Schriftsteller und Miss Webber betonte immer, dass man meiner Sprache anmerken würde, dass ich viel las. Den Straßenjargon der anderen Kinder beherrschte ich auch, aber den wendete ich nur dann an, wenn er mir von Nutzen war. Etwa, um nicht aufzufallen.

      Aber, ob ich hier zum Lesen kam? Was sonst, sollte ich an den Abenden machen?

       Im Bad stieß ich auf frische Handtücher, Duschgel und Haarshampoo in verschiedenen Duftnoten. Ich starrte die Dusche an. Eine Dusche für mich ganz allein. Niemals hätte ich vor einem halben Jahr gedacht, dass ich mich darüber einmal freuen würde. Da war es für mich eine Selbstverständlichkeit gewesen. Und heute? Mir trieb der Anblick meiner Dusche die Tränen in die Augen. Ich versuchte die Erinnerungen an die Umstände, unter denen ich in den letzten Monaten duschen musste, zu verdrängen. Es gelang nicht. Nie war ich allein gewesen. Nur in Gruppen wurde geduscht. Und manchmal gönnten zwei bestimmte Wärterinnen uns etwas Spaß, wie sie meinten. Sie trafen mit ihren männlichen Kollegen des Männergefängnisses eine Vereinbarung und einige von den männlichen Insassen wurden in unsere Duschen geschleust. Zweimal musste ich die Tortur miterleben, mit diesen sexhungrigen Sträflingen zu duschen. Die üblichen Duschzeiten von drei Minuten waren auf zehn Minuten verlängert worden. Und die Männer waren darauf aus, in dieser kurzen Zeit möglichst viele der Damen zu beglücken, ob diese das wollten oder nicht. Ich wollte das nicht. Aber niemand hörte mein „Nein“. Und niemand warnte oder beschützte mich davor. Niemals würde ich diese übergroßen, behaarten und tätowierten Leiber vergessen können, die mich genommen hatten, obwohl ich deutlich „Nein“ sagte. Und trotzdem ich um mich schlug, benutzten sie mich einfach. Ich schrie und weinte, aber niemand hörte mich. Nichts hörte auf.

      Eine Mitgefangene sagte nach dem ersten Mal zu mir: „Wenn du dich etwas weniger anstellst, kann es ganz angenehm sein.“ Angenehm? Eine Vergewaltigung? Meine Faust bahnte sich den Weg in ihr Gesicht, unmittelbar, nachdem sie ihre Empfehlung aussprach. Ich konnte diese Bewegung nicht kontrollieren und eine Wärterin verprügelte mich dafür mit dem Schlagstock. Es war mir egal. Danach war mir alles egal gewesen. Nur die Angst vor dem Duschen, die blieb.

      Und jetzt? Nun saß ich hier in einem Badezimmer auf dem Boden und heulte wie ein Baby, weil ich eine eigene Dusche benutzen konnte.

      Ich riss mir die Kleidung vom Leib und stürzte regelrecht in die Dusche, schob die Glastür zu und nahm den Brausekopf in die Hand, regulierte die Wassertemperatur. Ich duschte heiß. So heiß, wie es soeben zu ertragen war. Ich weiß nicht, wie lange.

      In den flauschigen Bademantel gewickelt, der an einem Haken hing, legte ich mich dann aufs Bett, zog die Beine an und schob meinen Daumen zwischen die Backenzähne, kaute auf ihm herum. Das beruhigte mich schon in meiner Kindheit. Ich schloss die Augen. Dachte an etwas Schönes. Aiden… träumte mich weg.

      Kapitel 6

      Nachdenklich verließ Jacky das Blockhaus. Emma schien sehr zurückhaltend zu sein. Aber vielleicht nur am Anfang. Nach dem zu urteilen, was sie über das Mädchen wusste, musste sie bisher in ihrem Leben sehr viel mit sich selbst ausmachen.

      Sandy begegnete ihr. Kurz unterhielten sich die Frauen über Emma. Sandy erhielt nur wenige Informationen über die junge Frau.

      „Sie ist sehr zurückhaltend. – Findest du nicht?“, fragte Jacky.

      „Auf der Fahrt hat sie kaum gesprochen. Aber ich glaube, sie muss erst mal verarbeiten, was sie gerade durchgemacht hat.“

      Jacky nickte.

      „Holst du sie bitte zum Mittagessen ab?“

      Sandy versprach, Emma mitzubringen.

      Aiden und Jack saßen noch mit den Kindern am Frühstückstisch. Erwartungsvoll richteten sie ihre Blicke auf Jacky, als sie den Raum betrat. Sie lächelte ihre Männer an, wusste, was sie hören wollten.

      „Sie braucht jetzt Zeit“, sagte sie leise.

      Aiden erhob sich und nahm sie in den Arm.

      „Sie machte den Eindruck, ein aufgewecktes Wesen zu sein. Weißt du etwas über ihre Ausbildung?“

      Jacky schüttelte den Kopf. „Sie hat keine. Ich meine, Yvi hätte gesagt, dass sie sich mit Botengängen für die Mafia über Wasser gehalten hat.“

      Aiden