Haily. Roberta C. Keil. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roberta C. Keil
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742732897
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interessieren würde.

      Mit einer Jeans und T-Shirt bekleidet, die ich im Kleiderschrank fand, trat ich aus meiner Wohnung und schloss die Tür sorgfältig ab. Jacky hatte vorhin den Schlüssel demonstrativ auf den Küchentisch gelegt. Meine Wohnung sollte niemand betreten, der nicht von mir eingeladen war. Und wie es schien, war es hier üblich, die Privatsphäre des anderen zu achten.

      „Komm!“, sagte Sandy einfach und ich folgte ihr, wie ein junger Hund, der nicht wusste, wo er hingehört. Noch nicht. Heute war das okay. Morgen würde ich niemandem hinterherlaufen, nicht mehr.

      „Also, wir züchten hier Rinder und Mustangs. Die Cowboys kümmern sich um die Tiere, die Zäune und um das Weizenfeld im Norden. Die Jungs wohnen entweder dort hinten in dem Gebäude“, sie zeigte auf einen langgestreckten Holzbau mit vielen Türen und Fenstern, „oder in Camp Verde. Andy ist der Vorarbeiter. Je nachdem, wo du eingesetzt wirst, ist er dafür zuständig, dass du Anleitung bekommst.“

      Zäune reparieren. Ah! Wir gingen jetzt in einen großen Stall.

      „Hier stehen die Prachtstücke“, erklärte Sandy unermüdlich. Ich rümpfte die Nase. Der Geruch war schwer und süßlich. Dann sah ich die großen Köpfe der Tiere, die sie neugierig über die Gatter reckten. Prachtstücke! Sie meinte wohl die Pferde.

      „Das ist Twin! Ich darf sie reiten.“ Sandy ging zu einem braunen Tier und liebkoste den Kopf. „Kannst du reiten?“

       Ich schüttelte den Kopf. Dass ich Tiere nicht mochte, behielt ich für mich. Ich brachte als Kind mal eine Katze mit nach Hause. Meine Mutter packte sie, warf sie aus dem Küchenfenster und drohte mir: „Mach das nie wieder! Diese Viecher bringen nur Dreck und Flöhe in die Wohnung! Das zerstört mein Geschäft!“ Sagte ich schon, dass wir im dritten Stock wohnten? So schnell ich die Treppen auf die Straße hinunterstürzte, das Kätzchen war weg und ich erfuhr nie, ob es den Sturz aus dem Fenster überlebte oder nicht.

      „Magst du Pferde nicht?“, fragt Sandy mich und ich musste jetzt etwas sagen.

      Ich zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Ich habe noch nie eins so aus der Nähe gesehen.“

      In unserem Viertel in Las Vegas gab es keine Pferde.

      „Oh je!“ Sandy lachte. „Das tut mir wirklich leid. Aber ich denke, du wirst sie mögen.“

      So, wie Aiden? Ich streckte vorsichtig meine Hand nach dem Tier aus, dass mir neugierig seine Nase entgegenreckte und berührte sie. Samtweich fühlte es sich an. Ich wich etwas zurück, als das Pferd Luft durch die Nüstern prustete.

      „Komm, weiter!“

      Ich lernte die Paddocks hinter dem Stall kennen, den Reitplatz, bekam Richtungsangaben über Orte wie Gillyard Trees und Seven Hills. Erfuhr in welcher Richtung das Weizenfeld lag, und dass dort der Zaun häufig ausgebessert werden musste, weil die wilden Mustangs sonst den frischen Weizen fraßen. Im Süden gab es Nachbarn, die waren uns nicht wohlgesonnen und beschwerten sich ständig über Lappalien. Uns? Ich war nicht mit ihnen im Streit.

      Das kleine Wohnhaus am Fluss gefiel mir. Es wirkte so heimelig. Dort wohnten Jack und Waleah, erklärte mir Sandy. Er war der Vater von Jacklyn und sie die Mutter von Aiden. Ich nahm das zur Kenntnis.

      „Waleah ist eine indianische Schamanin“, erfuhr ich als Nächstes und wusste nun, warum Aiden indianisch aussah. „Außerdem ist sie die beste Köchin, die ich je kennengelernt habe.“

      „Ah!“ Ich kannte nicht viele Köchinnen oder Köche. Meine Mutter machte es sich immer einfach. Es gab Fertiggerichte aus dem Supermarkt. Oder Suppen aus Konservendosen. Und in dem Hotel, in dem ich zuletzt residierte… Ich bevorzugte mittlerweile diese Umschreibung für die Zeit, die ich im Gefängnis verbrachte.

      „Du wirst sehen! Wenn du zwei Wochen hier das Essen genossen hast, wirst du dich an das Essen in Tent City nicht mehr erinnern.“ Sie sprach ja aus Erfahrung. „So, nun sollten wir aber zusehen, dass wir an den Tisch kommen. Waleah mag es nicht, wenn man sich verspätet.“

      Die Menge an Menschen, die mich im Esszimmer erwarteten, schockte mich. Bisher war ich nur drei Personen begegnet, von zwei weiteren hörte ich, und der Rest? Nun, den lernte ich jetzt kennen. Ich lächelte mich durch die Begrüßungsrunde und bemühte mich, mir die Namen zu merken.

      Es gab außer Aiden einen weiteren Mann im Haus. Das war Jack. Er war schon alt, in meinen Augen. Er mochte auf die siebzig zugehen, schwer zu schätzen. Sein Gesicht war faltig und von der Sonne gebräunt. Sein Haar schlohweiß und im Nacken länger. Er war also Jacklyns Vater. Wie einfallsreich, Jack, Jacklyn. Und dann gab es die Frau im Rollstuhl, die mich betroffen machte. Ab den Schultern gelähmt zu sein und sein Leben in einem Rollstuhl wie diesem zu verbringen, musste einfach schrecklich sein. Sie hieß Marilyn und glich Jacklyn im Gesicht, wie eine Zwillingsschwester. Ich musste mich sehr bemühen, sie nicht ständig anzustarren. Der Name ihrer Pflegerin konnte ich mir schon nicht mehr merken. Irgendein spanisch klingender Name.

      Die nächste Person, die mich beeindruckte, war die Indianerin, Aidens Mutter. Ihre dunklen Augen durchdrangen mich bis in meine Seele und ich bekam das Gefühl, dass sie alles über mich wusste. Es war unheimlich. Ihr Gesicht war die Güte selbst und ihr Name unaussprechbar. Sandy hatte ihn vorhin mehrfach genannt. Aber ich konnte ihn mir einfach nicht merken. Wenn ich das richtig verstand, war sie die Frau von Jack. Aidens Mutter war mit Jacklyns Vater verheiratet. Das klang spannend. Die drei Kinder beachtete ich kaum. Sie gehörten alle zu Jacklyn und Aiden und das Vierte war unterwegs. Der Mann stieg in meiner Achtung.

      Wir setzten uns. Mein Platz lag gegenüber von Jacky, dem Kleinen, dessen Namen ich nicht wusste, weil ich nicht mehr zuhören konnte, als er genannt wurde und auf der anderen Seite neben dem Kind saß Aiden. Neben mir saß auf der einen Seite Sandy, und auf der anderen die Pflegerin, die neben Marilyn, der Frau im Rollstuhl saß. Vor Kopf saßen auf der einen Seite Jack und auf der anderen Seite seine Frau, die Indianerin. Die beiden ältesten Kinder saßen neben dem Vater. Sie sahen ebenfalls aus wie Zwillinge. Ein Junge und ein Mädchen. Während sie so blond gelockt wie ihre Mutter waren, hatten sie vom Vater die dunklen Augen geerbt. Es waren die gleichen Augen, wie die der Indianerin. Durchdringende Augen, die mich anstarrten und wortlos ausfragten. Ich hielt einen Moment lang ihren Blicken stand. Es reizte mich, ihnen die Zunge heraus zu strecken. Aber ich wusste, das gehörte sich nicht. Also presste ich die Lippen zusammen. Ich hatte Black Yvi versprochen, mich zu benehmen. Keine Ahnung, warum mir das jetzt wichtig war. Das Mädchen war niedlich, aber der Junge wirkte etwas verloren mit seinen langen Locken.

      Bevor das Essen verteilt wurde, sprach Jack ein Tischgebet. Das kannte ich in der Form nicht, fand es jedoch nicht schlimm. Schließlich war ich sehr dankbar für das, was auf dem Tisch stand. Es sah sehr köstlich aus. Ich hoffte nur, dass sonntags nicht ein Gottesdienstbesuch erwartet wurde. Das war in Maricopa üblich gewesen. Zwang. Sonntags war für alle Häftlinge Gottesdienst. Jeder musste dorthin gehen. Das war mir für mein Leben genug. Ich fand Gott nicht gerecht. Ich war sehr wütend auf ihn. Er schien alles Schlechte in mein Leben geschüttet und nur an mich verteilt zu haben. Dieses Gefühl ließ mich nicht los. Das, was ich zu spüren bekam, konnte nicht die allseits gepriesene Gottesliebe sein. Ich wollte nichts mit ihm zu tun haben, dann konnte ich mich mit allem, was ich erlebte, besser abfinden.

      Wie sagte Jacky heute Morgen zu mir? Ich solle nicht vergessen, ich sei ein freier Mensch. Niemand konnte mich dazu zwingen, eine Kirche zu besuchen. Mein Blick fiel auf Marilyn. War ich undankbar?

      Ich bekam jetzt Essen auf den Teller geladen. Sandy und die Indianerin meinten es gut mit mir. Es roch so gut und sah lecker aus. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.

      „Lass es dir schmecken!“, forderte Jacky mich lächelnd auf. Ich lächelte zurück. Die Menschen hier schienen sehr glücklich zu sein. Jeder lächelte, es flogen Scherze hin und her, die Kinder lachten. Nur Marilyn war still. Und ich sagte nichts. Was hätte ich beitragen können? Es ging um die Ranch um Erlebnisse und Alltägliches, von dem ich keinen Plan hatte. Hoffentlich wurde ich nicht nach meiner Vergangenheit gefragt. Aber wenn Sandy auch im Gefängnis gewesen war, konnten die Menschen hier damit umgehen.

      Ich beobachtete Sandy heimlich.