Middlemarch. George Eliot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Eliot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752988956
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zu verstehen, und dann würde es sie auch interessiert haben. Sie denken doch hoffentlich nicht von mir, daß ich mich unartig und dumm benehmen werde.«

      »Ich denke von Ihnen, daß Sie den höchsten Erwartungen, welche man von einer ausgezeichneten jungen Dame hegen darf, in allen Verhältnissen des Lebens entsprechen werden. Ohne Zweifel würde es von großem Nutzen für mich sein, wenn Sie im Stande wären, griechische Lettern zu kopieren, und zu diesem Zwecke möchte es förderlich für Sie sein, wenn Sie sich zuerst ein wenig im Lesen übten.«

      Dorothea ergriff diese Äußerung sofort als ein köstliches Zugeständnis. Sie würde es nicht gewagt haben, Casaubon gleich zu bitten, sie die Sprache zu lehren; denn sie fürchtete nichts mehr, als lästig zu werden, anstatt sich nützlich zu machen. Indessen entsprang ihr Wunsch, griechisch und lateinisch zu wissen, nicht lediglich der hingebenden Beflissenheit für ihren Gatten; diese Gebiete männlichen Wissens erschienen ihr als ein fester Grund, von welchem aus alle Wahrheiten mit größerer Sicherheit erkannt werden könnten. Jetzt zog sie im Gefühle ihrer Unwissenheit fortwährend die Richtigkeit ihrer eigenen Schlüsse in Zweifel; wie konnte sie Vertrauen zu ihrer Ansicht haben, daß Arbeiterwohnungen, die aus einem einzigen Raume bestanden, nicht zur Ehre Gottes errichtet sein könnten, wenn Männer, welche in den klassischen Sprachen bewandert waren, jene Arbeiterwohnungen mit der Ehre Gottes verträglich zu finden schienen. Vielleicht, daß selbst Hebräisch notwendig wäre, wenigstens das Alphabet und einige Wurzeln, um in den Kern der Dinge eindringen und sich ein gesundes Urteil über die sozialen Pflichten eines Christen bilden zu können.

      Und sie war noch nicht auf dem Punkte der Entsagung angelangt, auf welchem es ihr genügt haben würde, einen weisen Gatten zu besitzen, das arme Kind wollte gern selbst weise sein. Dorothea war bei aller ihrer vielgerühmten Begabung und Bildung äußerst naiv. Celia, deren Geist man im Allgemeinen nicht für bedeutend hielt, hatte ein viel schärferes Auge für die Leere der Prätentionen anderer Menschen. Eine gewisse Kühle der Empfindung im Allgemeinen scheint die einzige sichere Waffe gegen die Gefahr zu sein, in einem gegebenen Falle zu lebhaft zu empfinden.

      Indessen erklärte sich Casaubon bereit, eine Stunde lang abwechselnd zuzuhören und zu unterrichten, wie ein Schulmeister in einer kleinen Knabenschule oder wie ein Verliebter, für welchen die elementare Unwissenheit seiner Geliebten und die Schwierigkeiten, mit welchen sie zu kämpfen hat, etwas Rührendes haben. Es gibt wohl wenige Gelehrte, welche nicht unter solchen Umständen gern das Alphabet lehren würden. Aber Dorothea selbst war über ihre eigene Borniertheit ein wenig erschrocken, und die Antworten, welche sie auf einige schüchterne Fragen in Betreff des Wertes der griechischen Akzente erhielt, ließen sie schmerzlich empfinden, daß es sich hier doch wohl um Geheimnisse handeln müsse, welche dem weiblichen Verstande nicht zugänglich seien.

      Herr Brooke war darüber gar nicht zweifelhaft und sprach seine Überzeugung eines Tages, als er grade während des Unterrichts in die Bibliothek trat, mit seiner gewöhnlichen Entschiedenheit aus.

      »Aber ich bitte Sie, Casaubon, so tiefe Studien, wie die klassischen Sprachen, Mathematik und dergleichen mehr, sind zu anstrengend für den weiblichen Verstand, – zu anstrengend, wissen Sie.«

      »Dorothea lernt nur die Lettern,« erwiderte Casaubon mit Umgehung der eigentlichen Frage. »Sie ist rücksichtsvoll genug gewesen, an die Schonung meiner Augen zu denken.«

      »Ah so, ohne zu verstehen, was sie liest, das ist vielleicht nicht so übel, wissen Sie. Aber der weibliche Geist ist doch nur für leichtere Dinge gemacht, für Dinge, die sich rasch erfassen und leicht behandeln lassen – Musik, die schönen Künste und dergleichen mehr – mit so etwas sollten sich Frauen bis zu einem gewissen Punkte befassen, – bis zu einem gewissen Punkte, in leichter Weise, wissen Sie. Eine Frau sollte immer im Stande sein, sich hinzusetzen und eine gute alte englische Melodie zu singen oder zu spielen. Das liebe ich, obgleich ich fast Alles gehört habe – ich war ja in der Oper in Wien – Gluck, Mozart, alle solche Musik. Aber in der Musik bin ich konservativ, da handelt es sich nicht um Ideen, wissen Sie. Ich lobe mir die guten, alten Melodien.«

      »Herr Casaubon ist kein Freund vom Klavierspiel, und das freut mich sehr,« bemerkte Dorothea, deren geringe Achtung für häusliche Musik und weibliche Beschäftigung mit den schönen Künsten man ihr verzeihen muß, wenn man bedenkt, in welcher Weise in jenen Tagen von Frauen geklimpert und gesudelt wurde. Sie lächelte und blickte dankbar zu ihrem Verlobten auf. Wenn er sie bei jeder Gelegenheit gebeten hätte, die »Letzte Rose« zu spielen, so würde die Gewährung dieser Bitte sie viel Überwindung gekostet haben. »Er sagt mir, daß es nur ein altes Klavier in Lowick gibt, und daß dieses ganz mit Büchern bedeckt ist.«

      »Darin tut es Dir Celia zuvor, liebes Kind. Siehst Du, Celia spielt sehr niedlich und ist immer bereit zu spielen. Indessen, wenn Casaubon kein Freund davon ist, hast Du ja ganz Recht. Aber es ist schade, Casaubon, daß Sie keinen Sinn für solche Erholungen haben. Den Bogen immer gespannt zu halten und so dergleichen, wissen Sie, tut nicht gut.«

      »Ich habe es nie als eine Erholung betrachten können, mir die Ohren mit taktmäßigen Geräuschen plagen zu lassen,« sagte Casaubon. »Die oft wiederholte Melodie eines Liedes macht auf mich einen lächerlichen Eindruck, als ob die Worte eine Art Menuett tanzten, um im Takte zu bleiben, – einen Eindruck, der, glaube ich, wenn man den Knabenjahren entwachsen ist, nicht mehr zu ertragen ist. Was größere Gattungen der Musik anlangt, welche sich zur Verherrlichung feierlicher Gelegenheiten eignen und der Auffassung der Alten gemäß selbst als ein Erziehungsmittel dienen können, so sage ich darüber jetzt nichts, da wir uns augenblicklich nicht mit dieser Seite der Sache beschäftigen.«

      »Nein; aber an solcher Musik würde ich Freude haben,« sagte Dorothea. »Als wir von Lausanne nach Hause reisten, ließ uns Onkel in Freiburg die große Orgel hören, und diese Töne rührten mich zu Tränen.«

      »Solche Rührungen sind nicht gesund, mein Kind,« entgegnete Herr Brooke; »Casaubon, sie kommt jetzt in Ihre Hände, Sie müssen meine Nichte lehren, die Dinge ruhiger zu nehmen, wie Dorothea?«

      Er brach lächelnd ab, denn er wollte seine Nichte nicht verletzen, dachte aber bei sich, daß es vielleicht wirklich besser für sie sei, sich früh mit einem so nüchternen Patron wie Casaubon zu verheiraten, da sie doch von Chettam nichts wissen wolle.

      »Aber es ist doch merkwürdig,« dachte er, als er zum Zimmer hinauswackelte, »es ist merkwürdig, daß er ihr gefällt. Indessen die Partie ist gut; ich würde meine vormundschaftlichen Befugnisse überschritten haben, wenn ich mich der Heirat widersetzt hätte, – Frau Cadwallader mag sagen, was sie will! Es ist so gut wie gewiß, daß Casaubon noch einmal Bischof wird, – so gut wie gewiß. Seine Flugschrift über die katholische Frage kam sehr zur rechten Zeit; eine Dechantenstelle ist das Wenigste, worauf er rechnen kann. Sie sind ihm eine Dechantenstelle schuldig.«

      Und hier muß ich mir von dem Leser die Erlaubnis zu einer philosophischen Reflexion erbitten, welche ich an die Bemerkung knüpfe, daß Herr Brooke bei dieser Gelegenheit noch nicht daran dachte, daß er später einmal eine radikale Rede gegen die Einnahmen der Bischöfe halten werde. Welcher gewandte Historiker würde sich eine so verlockende Gelegenheit entgehen lassen, darauf hinzuweisen, daß seine Helden weder die Weltgeschichte, noch selbst ihre eigenen Handlungen voraussahen. Zum Beispiel, daß Heinrich von Navarra, als protestantisches Kind, nicht daran dachte, einmal ein katholischer Monarch zu werden; oder daß Alfred der Große, als er die Stunden seiner arbeitsamen Nächte an brennenden Kerzen maß, keine Ahnung davon hatte, daß künftig einmal die Menschen die Stunden ihrer müßigen Tage an Uhren messen würden. Hier liegt eine Mine der Wahrheit, deren Schätze, selbst bei der emsigsten Ausbeutung doch wohl den Inhalt unserer Kohlengruben noch überdauern würden.

      In Bezug auf Herrn Brooke muß ich aber noch eine, vielleicht weniger durch Präzedenzfälle unterstützte Bemerkung hinzufügen, nämlich die, daß es bei ihm, auch wenn er den Inhalt seiner künftigen Rede vorausgewußt hätte, doch keinen großen Unterschied gemacht haben würde. Mit Vergnügen daran zu denken, daß der Gatte seiner Nichte sich einer großen geistlichen Einnahme erfreue, war Eines, – eine liberale Rede zu halten, war ein Anderes. Das wäre ja auch ein beschränkter Geist, der einen Gegenstand nicht aus verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten vermöchte.

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