Möge jede schöne Leserin, welche etwa geneigt sein sollte, hart über Frau Cadwallader zu urteilen, gewissenhaft die Grenzen des Gebiets abstecken, welches ihre Lebensanschauungen umfassen, und sie wird finden, daß dieses Gebiet grade groß genug ist, um alle Diejenigen in sich aufzunehmen, welche die Ehre haben, ihr gesellschaftlich gleichzustehen.
Wie konnten bei einem so phosphorartig beweglichen Geiste, der jedem Gegenstande, welcher in sein Bereich kam, eine ihm zusagende Gestalt gab, die Fräulein Brooke's und ihre Heiratsaussichten Frau Cadwallader anders als lebhaft interessieren, besonders da es ihre langjährige Gewohnheit war, Herrn Brooke mit der freundschaftlichsten Offenheit zurecht zu setzen und ihm im Vertrauen zu sagen, daß sie ihn für einen armseligen Tropf halte.
Von dem Augenblicke an, wo die jungen Mädchen aus ihrer Schweizer Pension nach Tipton zurückgekommen waren, hatte sie in ihrem Sinne die Heirat Dorotheen's mit Sir James beschlossen und würde sich, wenn die Heirat zu Stande gekommen wäre, fest überzeugt gehalten haben, daß es ihr Werk sei; daß diese Heirat nun nicht zu Stande kommen sollte, nachdem sie dieselbe beschlossen hatte, das versetzte sie in eine Aufregung, für welche jeder Kenner des menschlichen Herzens Mitgefühl empfinden wird. Sie war der Diplomat von Tipton und Freshitt und betrachtete einen Fall, wo etwas ohne ihre Zutun geschah, als eine für sie beleidigende Abweichung von der gewohnten Ordnung. Für solche verrückte Einfälle wie dieser Schritt Dorotheen's einer war hatte Frau Cadwallader vollends keine Nachsicht und sah jetzt ein, daß sie sich in ihrem Urteile über dieses Mädchen von der schwachmütigen Milde ihres Mannes habe anstecken lassen. Jenen methodistischen Grillen, der Prätention noch religiöser sein zu wollen als der Pfarrer und der Vikar zusammen, lag ein so eng mit der ganzen Organisation des Mädchens zusammenhängender Mangel zu Grunde, wie sie sich es bisher nicht hatte eingestehen wollen.
»Laß sie,« sagte sich Frau Cadwallader und wiederholte es ihrem Manne, »ich gebe sie auf. Wenn sie Sir James geheiratet hätte, wäre möglicherweise noch eine verständige Frau aus ihr geworden. Er würde ihr nie widersprochen haben, und wenn eine Frau auf keinen Widerspruch stößt, so hat sie keinen Grund, auf ihren Absurditäten zu beharren. Aber jetzt wünsche ich ihr Glück zu ihrem härenen Gewande.«
Die ganz natürliche Folge dieses Ereignisses war, daß Frau Cadwallader nun auf eine andere Partie für Sir James bedacht sein mußte, und da sie entschlossen war, ihn jetzt mit der jüngeren Schwester zu verheiraten, hätte sie sich keiner geschickteren Wendung zur Erreichung ihres Zweckes bedienen können, als indem sie dem Baronet zu verstehen gab, daß er einen Eindruck auf Celien's Herz gemacht habe. Es konnte ihn nicht angenehm berühren, daß das Mädchen, welchem er den Vorzug gegeben hatte, ihm einen Andern vorzog, und so hatte die Nachricht, daß Dorothea Casaubon gewählt habe, seiner Neigung schon einen argen Stoß versetzt. Obgleich Sir James ein leidenschaftlicher Jagdliebhaber war, hatte er doch andere Empfindungen für Frauen als für Birkhühner und Füchse und betrachtete sein künftiges Weib nicht im Lichte einer Beute, deren vorzüglichster Wert in der durch sie hervorgerufenen Aufregung der Jagd bestehen würde. Im Gegenteil hatte er jene liebenswürdige Eitelkeit, welche uns mit denen verknüpft, die uns lieben und uns denen abgeneigt macht, die sich gleichgültig gegen uns verhalten, und hatte eine gute dankbare Natur; der bloße Gedanke, daß ein Weib ihm freundlich gesinnt sei, spann kleine Fäden der Zärtlichkeit zwischen seinem und ihrem Herzen.
So geschah es, daß Sir James, nachdem er eine halbe Stunde lang ziemlich rasch in einer dem Wege nach Tipton-Hof entgegengesetzten Richtung geritten war, langsamer zu reiten anfing und endlich in einen Weg einlenkte, der ihn in kürzerer Zeit wieder nach Hause zurückbringen sollte. Verschiedene Gefühle arbeiteten in ihm und brachten ihn endlich doch zu dem Entschluss, heute nach Tipton-Hof zu gehen, als ob nichts vorgefallen wäre. Er konnte nicht umhin, sich darüber zu freuen, daß er Dorotheen nie einen Antrag gemacht und daher auch keinen Korb von ihr erhalten habe; schon die bloße Höflichkeit verlangte es, daß er einen Besuch mache, um mit Dorotheen wegen der Arbeiterwohnungen zu sprechen, und nun war er ja auch glücklicher Weise durch Frau Cadwallader darauf vorbereitet, erforderlichenfalls ohne allzu große Verlegenheit seinen Glückwunsch darzubringen.
Die Sache tat ihm wirklich leid; Dorothea aufgeben zu müssen, war sehr schmerzlich für ihn, aber in dem Entschluss, alle seine Gefühle zu bezwingen und sofort diesen Besuch zu machen, lag für ihn eine Art von Beschwichtigungsmittel, und ohne daß er sich dieses Antriebes klar bewußt gewesen wäre, wirkte auf ihn unzweifelhaft auch die Vorstellung, daß Celia zugegen sein und daß er ihr mehr Aufmerksamkeit zuwenden werde, als er es bisher getan hatte.
Wir Sterblichen, Männer und Frauen, schlucken Alle manche bittere Enttäuschung zwischen Frühstück und Mittagessen herunter, drängen unsere Tränen zurück, sehen ein wenig bleich aus und antworten, wenn wir gefragt werden, was uns fehle: »O Nichts!« Stolz hilft uns, und der Stolz ist kein verächtlich Ding, so lange er uns nur antreibt, unsere eigenen Kränkungen, nicht die Kränkungen Anderer zu verbergen.
7
Piacer e popone
Vuol la sua stagione.
Italienisches Sprichwort
Casaubon brachte natürlich einen großen Teil seiner Zeit in diesen Wochen auf Tipton-Hof zu und die durch seinen Brautstand verursachten Störungen in dem Fortgang seiner großen Arbeit, des »Schlüssel zu allen Mythologien,« ließen ihn natürlich um so sehnlicher den Augenblick erwarten, wo dieser Brautstand sein Ende erreicht haben würde. Aber er hatte sich diese Störungen wohlüberlegter Weise bereitet, da er zu der Überzeugung gelangt war, daß jetzt die Zeit für ihn gekommen sei, sein Leben mit den Reizen einer weiblichen Umgebung zu schmücken; die trüben Momente, welche bei einem so arbeitsamen Leben in den Pausen der Ermüdung unausbleiblich waren, durch die Anmut weiblicher Unterhaltung zu erheitern und sich jetzt, auf der Höhe des Lebens, den Trost weiblicher Pflege für die Jahre des Alters zu sichern. Daher hatte er beschlossen, sich dem Strome seiner Empfindungen rückhaltlos hinzugeben, und wurde, vielleicht zu seiner großen Überraschung, inne, daß dieser Gefühlsstrom nur ein äußerst flaches Wässerchen sei. Gleich wie die ursprüngliche Taufe durch Untertauchen in wasserarmen Gegenden nur symbolisch vorgenommen werden konnte, so fand Casaubon, daß die tiefsten Stellen seines Gefühlsstromes doch nur so viel Wasser enthielten, um eine leichte Besprengung damit zu ermöglichen, und er schloss daraus, daß die Dichter doch die Gewalt männlicher Leidenschaft sehr übertrieben haben müßten. Gleichwohl beobachtete er mit Vergnügen, daß Dorothea ihm eine glühende Neigung und Hingebung bewies, in welcher er eine Gewähr der Erfüllung seiner angenehmsten Voraussichten für die Ehe erblickte. Ein paar Mal hatte er sich gefragt, ob vielleicht ein Mangel in Dorotheen's Wesen an der Kühle seiner Empfindungen Schuld sei; aber er vermochte weder einen solchen Mangel zu entdecken, noch sich überhaupt ein weibliches Wesen vorzustellen, welches ihm besser gefallen könnte als Dorothea, und so blieb nichts anderes übrig als wieder die menschlichen Übertreibungen für das, was ihn in seinem Gemütszustand anfänglich überrascht hatte, verantwortlich zu machen.
»Könnte ich mich nicht schon jetzt darauf vorbereiten, mich Ihnen später nützlich zu machen?« fragte Dorothea eines Morgens kurz nach ihrer Verlobung, »könnten Sie mich nicht lehren, Ihnen griechisch und lateinisch laut vorzulesen, wie Milton's Töchter ihrem Vater vorlasen, ohne das Gelesene zu verstehen?«
»Ich fürchte, das würde zu langweilig für Sie sein,« erwiderte Casaubon lächelnd, »und wenn ich mich recht erinnere, betrachteten die von Ihnen erwähnten jungen Damen jenes Exerzitium in für sie unverständlichen Sprachen als einen Grund zur Auflehnung gegen den Dichter.«
»Das ist wohl wahr; aber erstens