Middlemarch. George Eliot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Eliot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752988956
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für Casaubon sein könne.

      Bevor er Tipton-Hof am nächsten Tage verließ, war es ausgemacht worden, daß die Hochzeit in sechs Wochen stattfinden solle. Warum auch nicht? Casaubon's Haus stand bereit; Es war kein einfaches Pfarrhaus, sondern ein herrschaftliches Wohnhaus von beträchtlichem Umfange mit einem bedeutenden Stücke dazu gehörigen Landes. Das Pfarrhaus wurde von dem Pfarrvikar bewohnt, welcher mit Ausnahme der Morgenpredigten den ganzen Dienst versah.

      6

      My lady's tongue is like the meadow blades,

      That cut you stroking them with idle hand.

      Nice cutting is her function: she divides

      With spiritual edge the millet seed,

      And makes intangible savings.

      Als Casaubon's Wagen zur Pforte von Tipton-Hof hinausfuhr, war eben ein von einer Dame gelenkter Ponywagen, auf dessen Rücksitz ein Diener saß, im Begriff, hineinzufahren. Es blieb zweifelhaft, ob die Insassen der beiden Wagen sich gegenseitig erkannt hatten, denn Casaubon blickte abwesend vor sich hin; aber die Dame hatte ein scharfes Auge und benutzte den Moment des Vorüberfahrens, um Casaubon nickend ein »Wie geht es Ihnen?« zuzurufen. Trotz ihres abgetragenen Hutes und sehr alten indischen Schals betrachtete die Pförtnerin, wie ihr tiefer Knicks vor dem kleinen Ponywagen bewies, die Dame als eine bedeutende Persönlichkeit.

      »Nun, Frau Fitchett, legen Ihre Hühner jetzt fleißig Eier?« fragte die lebhaft aussehende, dunkeläugige Dame mit einer wie gemeißelten Klarheit der Aussprache.

      »Mit dem Legen geht es ganz gut, Madame; aber sie haben angefangen, ihre eigenen Eier zu fressen. Sie machen mir darum viel Sorge.«

      »O die Kannibalen! Da tun Sie ja besser, sie gleich zu verkaufen. Was wollen Sie für ein Paar davon haben? Man kann keine Hühner von so schlechtem Charakter essen, wenn sie teuer sind.«

      »Nun, Madame, eine halbe Krone; darunter kann ich sie nicht lassen.«

      »Eine halbe Krone bei diesen Zeiten für des Herrn Pfarrers Hühnersuppe am Sonntag! Gehen Sie! Er hat von unseren Hühnern schon alle, die ich nur irgend entbehren kann, verzehrt. Vergessen Sie nicht, Frau Fitchett, daß Sie schon durch die Predigt halb bezahlt werden. Nehmen Sie ein Paar Purzeltauben dafür, reizende kleine Tiere. Sie müssen hinkommen und sie sich ansehen; Sie haben noch keine Purzeltauben.«

      »Gut, Madame; mein Mann soll sie sich nach der Arbeit ansehen. Er ist sehr erpicht auf neue Sorten und wird Ihnen gern zu Willen sein.«

      »Mir zu Willen! Er hat noch nie einen besseren Handel gemacht. Ein Paar geistliche Tauben für ein Paar nichtswürdige spanische Hühner, die ihre eigenen Eier fressen! Seien Sie nur nicht zu stolz, Sie und Ihr Mann!«

      Mit diesen Worten fuhr die Dame dem Hause zu, während Frau Fitchett lachte und mit dem Ausruf »Ja wohl, ja wohl!« langsam den Kopf schüttelte, woraus man vielleicht hätte schließen können, daß sie das Landleben noch eintöniger gefunden haben würde, wenn die Frau Pfarrerin weniger geradeheraus mit ihrer Sprache und weniger knauserig gewesen wäre. In der Tat würden sowohl die Pächter als die Tagelöhner in den Kirchspielen Freshitt und Tipton einen sehr willkommenen Unterhaltungsstoff entbehrt haben, wenn sie sich nicht immer Geschichten über das, was Frau Cadwallader sagte und tat, zu erzählen gehabt hätten. Diese Dame von unermeßlich hoher Herkunft, welche gleichsam von unbekannten, gleich einer Menge heroischer Schatten in nebelhafter Ferne verschwindenden Grafen abstammte, welche gern von ihrer Armut sprach, die Preise drückte und in der vertraulichsten Weise Späße machte, wiewohl immer mit einer Wendung, welche keinen Zweifel darüber lassen sollte, wer sie sei, – eine solche Dame brachte Rang und Religion in ein freundnachbarliches Verhältnis zu den kleinen Leuten ihrer Umgebung und milderte die Bitterkeit unabgelöster Zehnten. Ein viel exemplarischerer Charakter mit einer Beigabe von finsterblickender Würde wäre unzweifelhaft im Verkehr mit den kleinen Leuten weniger familiär gewesen und würde ihnen das Verständnis der neun und dreißig Artikel nicht näher gebracht haben.

      Herr Brooke, welcher über die Verdienste der Frau Cadwallader etwas anders dachte, konnte einen leisen Seufzer nicht unterdrücken, als sie ihm in der Bibliothek, wo er allein saß, gemeldet wurde.

      »Ich sehe, Sie haben unseren Cicero von Lowick hier gehabt,« sagte sie, indem sie sich's auf einem Stuhle bequem machte, ihren Schal abwarf und damit eine magere, aber wohlgebaute Gestalt zeigte. »Ich habe Sie im Verdacht, daß er und Sie zusammen an einem schlechten Wahlplane arbeiten, sonst würden Sie diesen Mann wohl nicht so viel bei sich sehen. Ich werde Sie denunzieren; vergessen Sie nicht, daß Sie Beide verdächtige Charaktere sind, seit Sie sich bei der Katholiken-Emanzipationsfrage auf Peel's Seite gestellt haben. Ich werde allen Leuten erzählen, daß Sie sich von den Whigs als Kandidat für Middlemarch aufstellen lassen wollen, wenn der alte Pinkerton sich zurückzieht, und daß Casaubon Ihnen dabei unter der Hand behilflich sein, die Wähler durch Flugschriften bestechen und die Wirtshäuser zur Verteilung derselben offen halten wird. Kommen Sie, bekennen Sie!«

      »Nichts derart,« erwiderte Herr Brooke, indem er lächelnd die Gläser seiner Lorgnette wischte, dabei aber doch über die Beschuldigung ein wenig errötete. »Casaubon und ich reden nicht viel über Politik mit einander. Er interessiert sich nicht sehr für die philanthropische Seite der Dinge. Er interessiert sich nur für kirchliche Fragen, und das ist wieder nicht mein Gebiet, wissen Sie!«

      »Nur zu sehr, lieber Freund; ich weiß sehr gut, was Sie getan haben. Wer hat sein Stückchen Land an die Papisten in Middlemarch verkauft? Ich glaube, Sie hatten es eigens zu dem Zwecke gekauft. Sie sind ja ein wahrer Guy Faux. Nehmen Sie sich nur in Acht, daß Sie nächsten 5. November nicht in effigie verbrannt werden. Humphrey wollte nicht zu Ihnen gehen, um Sie darüber zur Rede zu stellen, so bin ich statt seiner gekommen.«

      »Sehr gut! Ich war darauf gefaßt, dafür verfolgt zu werden, daß ich nicht zu den Verfolgern gehöre – nicht zu den Verfolgern gehöre, wissen Sie.«

      »Gehen Sie mir, das ist so eine Phrase, mit der Sie in Ihren Wahlreden Effekt machen wollen Lassen Sie sich nicht zu Wahlreden verleiten, mein lieber Herr Brooke. Ein Mann macht sich immer zum Narren, wenn er sich auf's Redenhalten legt. Es gibt keine andere Entschuldigung dafür, als wenn Sie zur konservativen Partei gehören und sich den göttlichen Segen für Ihr Gestotter erbitten können. Sie werden sich selbst dabei verlieren, ich warne Sie im Voraus. Sie werden ein schlechtes Ragout von Ansichten aller Parteien auftischen und von allen Parteien gesteinigt werden.«

      »Darauf bin ich gefaßt, wissen Sie,« entgegnete Herr Brooke, welcher die Frau Pfarrerin nicht gern merken lassen wollte, wie wenig angenehm ihm diese Prophezeiung war, »gefaßt als ein unabhängiger Mann. Und was Ihre Behauptung in Betreff der Whigs anlangt, so hat ein Mann, der auf der Seite der Denker steht, wenig Aussicht, von irgend einer Partei in Beschlag genommen zu werden. Er kann darum doch mit einer oder der anderen Partei bis zu einem gewissen Punkte zusammen gehen –, bis zu einem gewissen Punkte, wissen Sie; aber das könnt Ihr Frauen nie verstehen.«

      »Wo Ihr gewisser Punkt anfängt? Nein! Ich möchte mir wohl von Ihnen erklären lassen, wie ein Mann irgend einen gewissen Punkt haben kann, wenn er keiner Partei angehört, also ein Nomadenleben führt und seinen Freunden nie seine Adresse mitteilt. ›Kein Mensch weiß, auf welche Seite Brooke sich stellt‹ – ›Auf Brooke ist nicht zu zählen‹ –, so reden, offen gestanden, die Leute von Ihnen. Ich bitte Sie um Alles in der Welt, werden Sie doch respektabel. Wie wird es Ihnen nachher gefallen, in die Gerichtssitzungen zu gehen, wenn alle Leute Sie scheel ansehen und Sie mit einem bösen Gewissen und leeren Taschen dasitzen müssen?«

      »Ich habe gar nicht die Prätention, mich mit einer Dame in eine politische Diskussion einzulassen,« entgegnete Herr Brooke mit einer indifferent lächelnden Miene; aber mit einem recht unbehaglichen Gefühl, welches in ihm durch das Bewusstsein erregt wurde, daß mit diesem Angriffe von Frau Cadwallader für ihn der Defensiv-Feldzug eröffnet sei, welchen er durch einige unvorsichtige Schritte heraufbeschworen hatte. »In Ihrem Geschlecht finden sich keine Denker, wissen Sie – › varium et mutabile semper‹ – und was dahin gehört. Sie kennen Virgil nicht, ich kannte«