Die Toten der Familie Peabody lagen in ihren Särgen - siebenunddreißig, einige in Nischen, andere freistehend. Einige der Nischen, in denen die ältesten Peabodys gelegen hatten, enthielten nur noch die Reste von Särgen, während die für Jedediah reservierte Nische völlig leer und noch nicht einmal mit dem Staub bedeckt war, der anzeigte, dass hier einst Sarg und sterbliche Überreste geruht hatten. Sonst schien aber alles in Ordnung mit Ausnahme des Sarges, der den Körper meines Urgroßvaters Asaph Peabody enthielt; er schien auf eigenartige Weise verrückt worden zu sein und stand nicht mehr in einer Reihe mit den anderen, den neueren, den von meinem Großvater und einem meiner Onkel, die keine eigenen Nischen hatten, sondern einfach auf einem steinernen Sims ruhten, das man von der Nischenwand in das Innere der Gruft gebaut hatte. Außerdem machte er den Eindruck, als habe jemand den Deckel geöffnet oder zu öffnen versucht, denn eines der Scharniere war gebrochen und das andere gelockert.
Mein Versuch, den Sarg meines Urgroßvaters wieder zurechtzurücken, war instinktiv, doch während ich es tat, verrutschte der Deckel noch mehr und glitt teilweise hinunter, meinem erschreckten Blick alles freigebend, was von Asaph Peabody übriggeblieben war. Ich sah, dass er aufgrund eines schrecklichen Irrtums mit dem Gesicht nach unten bestattet worden war - ich wollte einfach nicht daran denken, auch nicht nach so langer Zeit, dass man den alten Mann vielleicht im Starrkrampf beerdigt hatte und er deshalb in jenem engen, luftleeren Behältnis einen qualvollen Tod gestorben war. Nichts als Knochen war übrig, Knochen und Teile seiner Kleidung. Trotzdem fühlte ich mich gezwungen, das Resultat von Irrtum oder Unglücksfall, was immer es sein mochte, zu ändern, und drehte Schädel und Knochen so herum, dass das Skelett meines Urgroßvaters wieder in der richtigen Position lag. Dieser Vorgang, der unter anderen Umständen vielleicht schaurig gewesen wäre, schien nur natürlich, da die Gruft durch den Schein der Sonne und die auf ihrem Boden tanzenden Schatten belebt war, und zu dieser Stunde war sie kein düsterer Ort. Aber ich war schließlich hergekommen, um mich zu vergewissern, wieviel Platz es noch in der Gruft gab, und ich war erfreut festzustellen, dass genügend Raum für meine Eltern, meinen Onkel - wenn man seine Überbleibsel in Frankreich finden und von dort hierher bringen könnte - und dann noch für mich vorhanden war.
Ich bereitete mich also darauf vor, meine Pläne weiter auszuführen, schloss die Tür der Gruft sorgfältig hinter mir ab und kehrte ins Haus zurück, wobei ich über Mittel und Wege nachsann, die Überreste meines Onkels wieder ins Land seiner Väter zu bringen. Ohne Zeit zu verlieren, schrieb ich an die zuständigen Behörden in Boston wegen der Überführung meiner Eltern und an die des Bezirks, in dem ich jetzt wohnte, wegen der Erlaubnis, meine Eltern in der Familiengruft neu zu bestatten.
Die einzigartige Kette der Ereignisse, die sich auf das alte Peabody-Haus zu konzentrieren schienen, begann, soweit ich mich erinnern kann, genau in jener Nacht. Sicher, man hatte mich irgendwie dunkel gewarnt, mit dem alten Gebäude könne etwas nicht in Ordnung sein, denn der alte Hopkins hatte mich bei der Schlüsselübergabe und als ich gerade wieder Besitz vom Haus ergreifen wollte, eindringlich gefragt, ob ich sicher sei, dass ich diesen Schritt unternehmen wolle, und bei seinem Hinweis, das Haus sei irgendwie ein sehr einsamer Ort, die benachbarten Farmer seien den Peabodys niemals freundlich gesonnen gewesen und es sei immer irgendwie schwierig gewesen, die Mieter zu halten, war er ähnlich beharrlich gewesen. Es sei einer jener Plätze, sagte er und schreckte fast davor zurück, sich bestimmt auszudrücken, die niemand für ein Picknick aussucht. Dort werden Sie niemals Pappteller oder Servietten finden! - lauter vage Äußerungen, die der alte Mann auf keinen Fall auf Tatsachen reduzieren wollte, da es offensichtlich keine Tatsachen gab, außer dass den Farmern ein Besitz von solcher Größe, der andernfalls gutes Farmland abgegeben hätte, ein Dom im Auge war. Es stimmt, das Farmland erstreckte sich rund um meinen Besitz von knapp vierzig Morgen, das meiste davon Wald - eine Landschaft sauberer Felder, Steinwälle, Zäune, an denen Bäume wuchsen und Gesträuch den Vögeln Unterschlupf bot. Altmännergeschwätz, dachte ich, veranlasst durch seine Verwandtschaft mit den Farmern, die mein Land umgaben; solide, kräftige Yankees, keinen Deut anders als die Peabodys, nur dass sie schwerer und vielleicht länger arbeiteten.
Doch in dieser Nacht, als die Märzwinde in den Bäumen um das Gebäude heulten und sangen, wurde ich irgendwie von der Vorstellung gepackt, ich sei nicht allein im Haus. Es erklang ein Geräusch nicht so sehr von Fußschritten wie von einer Bewegung irgendwo oben, die sich nicht beschreiben ließ, nur dass sie an jemanden erinnerte, der in einem kleinen Raum umhergeht, hin und her, hin und her. Ich weiß noch, dass ich hinausschritt in den großen dunklen Raum, in den die freischwebende Treppe hinabführte, und in die Dunkelheit oben lauschte; das Geräusch schien nämlich über den Stufen zu schweben, manchmal deutlich, manchmal nur ein Huschen; während ich dort stand und lauschte, lauschte, lauschte und versuchte, seine Quelle zu identifizieren, versuchte, mir eine vernünftige Erklärung dafür zurechtzulegen, da ich es vorher nie gehört hatte, kam ich endlich zu dem Schluss, ein Baumzweig müsse so vom Wind gegen das Haus gedrückt werden, dass er es immer wieder streife, hin und her. Damit zufrieden, kehrte ich in meine Zimmer zurück und wurde nicht mehr dadurch gestört - nicht, dass es aufgehört hätte, denn das tat es nicht, aber ich hatte eine vernünftige Erklärung für seine Existenz gefunden.
Für die Träume, die ich in jener Nacht hatte, eine vernünftige Erklärung zu finden, war weit schwieriger. Obgleich gewöhnlich nicht von Träumen verfolgt, war ich buchstäblich besessen von den phantastischsten Trugbildern des Schlafes, in denen ich eine passive Rolle spielte und allen möglichen Verzerrungen der Zeit und des Raumes, Sinnestäuschungen und dem wiederholten furchterregenden Anblick einer schattenhaften Gestalt mit spitzem schwarzen Hut und einer gleichfalls schattenhaften Kreatur an ihrer Seite ausgesetzt war. Diese erblickte ich dunkel, wie durch ein Glas, und die dämmrige Landschaft wie durch ein Prisma. Ich litt übrigens nicht so sehr unter Träumen, als unter Traumbruchstücken, die alle weder Anfang noch Ende hatten, sondern mich in eine unendlich bizarre und fremdartige Welt einluden, wie durch eine andere Dimension, die mir in der irdischen Welt jenseits des Schlafes nicht bewusst war. Aber ich überstand diese ruhelose Nacht, wenn auch etwas mitgenommen.
Bereits am folgenden Tage erfuhr ich eine außerordentlich interessante Tatsache von dem Architekten, der herkam, um mit mir meine Pläne zur weiteren Renovierung zu besprechen, einem jungen Mann, der nichts auf die absonderlichen Ansichten über alte Häuser gab, die in abgelegenen ländlichen Gegenden so verbreitet sind. »Werdas Haus so betrachtet, würde nie auf die Idee kommen«, sagte er, »dass es ein Geheimzimmer hat - sehr gut versteckt - oder?«, erklärte er, seine Zeichnungen vor mir ausbreitend.
»Und hat es das?«, fragte ich.
»Vielleicht ein Priesterloch«, vermutete er. »Oder für entlaufene Sklaven.«
»Ich habe es nicht gesehen.«
»Ich auch nicht. Aber sehen Sie...« Und er zeigte mir an den Plänen, die er nach den Fundamenten und den Zimmern, wie wir sie kannten, rekonstruiert hatte, dass es oben an der Nordmauer, im ältesten Teil des Hauses, einen geheimen Raum geben musste. Bestimmt kein Priesterloch; unter den Peabodys gab es keine Papisten. Aber entlaufene Sklaven - vielleicht. Doch wenn das der Fall war, wieso war es so früh entstanden, bevor es genug Sklaven gab, die nach Kanada flüchteten, um die Existenz des Raumes zu rechtfertigen? Nein, das war es auch nicht.
»Glauben Sie, dass Sie es finden?«, fragte ich.
»Es muss dort sein.«
Und so war es in der Tat. Geschickt versteckt, obwohl das Fehlen eines Fensters in der Nordwand des Schlafzimmers schon früher zu einer Untersuchung hätte geführt haben müssen. Die Tür zu ihm war in dem feinen Schnitzwerk verborgen, das die gesamte betreffende Wand schmückte, die aus rotem Zedernholz bestand; hätte man nicht gewusst, dass der Raum dahinter sein musste, würde man die Tür nicht gefunden haben, die keinen Griff besaß und nur durch Druck auf eine der Schnitzereien zu betätigen war, die der Architekt fand, nicht ich, denn ich hatte nie ein Talent für derartige Dinge gehabt. Es gehörte jedoch mehr zur Domäne eines Architekten als zu meiner, und ich blieb lange