Sich außer Alizon, deren totenähnlicher Schlaf ihr keine Unruhe zu bereiten schien, niemandes Gegenwart bewusst, stellte Mrs. Nutter die Lampe auf den Tisch, verschloss die Tür und machte die Schachtel auf, wobei sie unverständliche Worte murmelte. Die Schachtel enthielt zwei eigenartig geformte Glasgefäße, das eine mit einer hellen, glitzernden Flüssigkeit, das andere mit einer grünlichen Salbe gefüllt. Einige Tropfen der Flüssigkeit in ein Glas schüttend, schluckte Mrs. Nutter sie, nahm dann etwas von der Salbe und begann, sich Gesicht und Hals damit einzureiben, wobei sie ausrief: »Emen hetan! Emen hetan!« - Worte, die sich ins Gedächtnis der Lauscherin einprägten.
Dorothy fragte sich, was nun wohl kommen würde, und schaute weiter zu, als sie Mrs. Nutter plötzlich nicht mehr sehen konnte, und nachdem sie ihr durch die Öffnung begrenztes Blickfeld abgesucht hatte, war sie überzeugt, Mrs. Nutter habe das Zimmer verlassen. Da alles ruhig blieb, wagte sie es nach einer Weile, ihr Versteck zu verlassen und versuchte, auf Alizon zufliegend, diese zu wecken, doch vergebens. Das arme Mädchen behielt dieselbe bewegungslose Haltung bei und schien in eine totenähnliche Starre versunken.
Überaus verängstigt beschloss Dorothy, das ganze Haus zu alarmieren, doch eine ungewisse Furcht vor Mrs. Nutter hielt sie davon ab, und sie schlich zum Kabinett, um zu sehen, ob die schreckliche Dame noch dort sein könnte. Alles war vollkommen still; und irgendwie ermutigt kehrte sie zum Tisch zurück, wo die Schachtel, immer noch geöffnet und mit unbewachtem Inhalt, ihre Aufmerksamkeit fesselte.
Welche Flüssigkeit befand sich in der Phiole? Was konnte sie tun? Das waren Fragen, die sie sich stellte, und mit dem Wunsch, die Wirkung auszuprobieren, wagte sie schließlich, ein paar Tropfen herauszuschütten und zu kosten. Es war wie ein kräftiger Extrakt, und sie wurde sich unverzüglich einer seltsamen, verwirrenden
Erregung bewusst. Dann drehte sich ihr der Kopf, und sie lachte wild auf. Noch niemals hatte sie sich so leicht und schwerelos gefühlt, und sie schien kaum noch Flügel zu brauchen, um fliegen zu können. Sie hatte einen Einfall. Die wundersame Flüssigkeit könnte Alizon wecken. Sie musste das Experiment sofort versuchen, und den Finger in die Phiole tauchend, berührte sie die Lippen der Schlafenden, die tief seufzte und die Augen öffnete. Noch ein Tropfen, und Alizon stand auf den Füßen, sie erstaunt betrachtend und genauso wild lachend wie sie.
Arme Mädchen! Wie wild und absonderlich sie aussahen - und wie anders als sonst!
»Wohin willst du?«, rief Alizon.
»Zum Mond! Zu den Sternen! Überall!«, erwiderte Dorothy mit einem Lachen rasender Fröhlichkeit.
»Ich begleite dich«, rief Alizon, in das Lachen einstimmend. »Hier und dort! Hier und dort!«, rief Dorothy, sie bei der Hand nehmend. »Emen hetan! Emen hetan!«
Während die geheimnisvollen Worte ausgesprochen wurden, entschwanden die beiden. Es schien, als könnte kein Hindernis sie aufhalten; wie sie das Kabinett durchquerten, durch ein zur Seite gleitendes Paneel in das Zimmer des Abtes schlüpften, die Kapelle betraten und auf einer Geheimtreppe in den Garten hinabschritten, wussten sie nicht - aber da waren sie, schnell, wie geflügelte Geister, im Mondlicht schwebend. Was sie zur Klosterkirche führte, sie konnten es nicht sagen. Doch es zog sie hin, wie es das Schiff unwiderstehlich zum Magnetberg zog, der im morgenländischen Märchen beschrieben wird. Nichts überraschte sie, denn sonst wären sie vielleicht zurückgeschreckt vor den undurchdringlichen Dämpfen, die die Ruinen des Klosters umhüllten und der Sicht verbargen; und erst als sie die entweihte Stätte betraten, wurde ihnen wieder bewusst, was um sie herum vorging.
Jetzt wurden ihre Ohren fast betäubt durch ein wildes Getöse dissonanter Klänge, Schreie und Krächzlaute wie von Eulen und Raben, schrille und misstönende Rufe wie von Nachtvögeln, Muhen wie von Rindern, durch Grunzen und schreckliche, mit geisterhaftem Gelächter vermischte Laute. Unbestimmte und außergewöhnliche Schatten, ob von Männern oder Frauen, von Wesen dieser oder einer anderen Welt, sie konnten es nicht erkennen, flogen mit wilden Schwüngen und durchdringenden Schreien an ihnen vorbei, schlugen die Luft wie mit großen, ledernen Fledermausflügeln, oder ritten auf schwarzen, ungeheuren, missgestalteten Rössern. Phantastisch und grotesk waren diese Geschöpfe, hässlich und abstoßend. Dann und wann sauste ein roter und flimmernder Stern knisternd durch die Luft, zerbarst in zahllose bleiche, phosphoreszierende Lichter, die eine Weile oben tanzten und dann zwischen den Ruinen verglommen. Die Erde schien unter den Fußtritten zu beben und zu zittern, als ob die Gräber sich öffneten, um die Toten freizugeben, während Kröten und zischende Reptilien davonkrochen.
Abgestoßen, doch durch dieses verworrene und scheußliche Getöse teilweise wieder bei Sinnen, blieb Alizon stehen und hielt Dorothy fest, die unter einem weit stärkeren Einfluss als sie zu stehen schien und zum östlichen Ende des Gotteshauses gezogen wurde, wo der Schein eines Feuers glänzte, ein starkes, rotes Licht auf das geborstene Dach des Chors und die Chorbögen geworfen wurde. Die Geräusche ließen plötzlich nach, und der gesamte Aufruhr schien sich an der Stelle zu konzentrieren, wo das Feuer brannte. Dorothy flehte die Freundin so eindringlich an, sie sehen zu lassen, was vor sich ging, dass Alizon widerstrebend und zitternd zustimmte, und langsam bewegten sie sich auf das Querschiff zu, immer darauf bedacht, sich im Schutz der Säulen zu halten.
Als sie den letzten Pfeiler erreicht hatten, hinter dem sie blieben, entfaltete sich vor ihren Augen ein fürchterliches Schauspiel. Wie sie vermutet hatten, brannte im Mittelpunkt des Chores ein großes Feuer, dessen Rauch in wirbelnden Kreisen hochstieg und oben einen düsteren Baldachin bildete, wo er sich mit dem Dampf vermischte, der aus einem großen schwarzen, brodelnden Kessel auf den glühenden Kohlen hochwallte. Um das Feuer standen und lagen in einem großen Kreis Männer und Frauen, vor allem aber letztere, und sie waren fast alle alt, hässlich und von bösem Aussehen, die finsteren und unheilvollen Züge im geisterhaften Licht gar schrecklich anzuschauen. Über ihnen, mitten im Rauch und Dampf, zogen Fledermäuse, Horneulen und Baumkäuze verworrene Kreise. Die grausige Gesellschaft schnatterte in einem wilden Kauderwelsch, murmelte und flüsterte Flüche und Zaubersprüche, sang mit rauen und heiseren Stimmen einen angsteinflößenden, wilden Chor und brach dann wieder in ein lautes und tosendes Lachen aus. Dann wieder Murmeln und Schnattern und Singen, und eine der Anwesenden humpelte, einen Lederbeutel hervorziehend, ans Feuer.
Es war eine schreckliche alte Vettel; bucklig, zahnlos, triefäugig, bärtig, lahm, mit großen, gichtigen, stoffumwickelten Füßen. Während sie die Ingredienzen eins nach dem anderen ins Feuer warf, sang sie folgendes:
Kopf des Affen, Hirn der Katz,
Wieselauge, Rattenschwanz,
Saft von Beifuß, Mastix, Myrrhe -
Alles in den Topf ich rühre.
»Gut gesungen, Mutter Hohlfuß«, rief ein kleiner alter Mann, dessen Wams und Beinkleid schmutzig schwarz waren und der sich einen kurzen Umhang von der gleichen Farbe über die Schultern geworfen hatte. »Gut gesungen, Mutter Hohlfuß«, rief er und kam näher, während sich die alte Hexe, begleitet von einer brüllenden Lachsalve der anderen, zurückzog, und sang, als er den Kessel füllte:
Hier ist der Schaum vom Maul eines tollwütigen Hundes,
Gesammelt bei einer Mondfinsternis,
Asche von verbrannten,
mit todesdämpfengeschwängerten Grabtüchern,
All das werf ich in den Trank - Rühr den Kessel, rühr ihn schnell.
Dann näherte sich eine rothaarige Hexe, entnahm ihrem Beutel eine kleine Figur aus Ton, die so angezogen war, dass sie einem Mann ähnelte, bohrte mehrere Nadeln tief in seine Brust und sang dabei folgendes:
So wie er ist es geformt,
Und es trägt auch sein Gewand,
Das tu ich euch kund und zu wissen!
Scharfe Nadeln bohre ich in seine Brust,
Treib sie schnell und tief hinein,
Sie sind drinnen - sie sind drinnen -
Und