Im goldenen Käfig. Aicha Laoula. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aicha Laoula
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783906287041
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wie man es bei uns machte. Außerdem genügte es, den Wasserhahn aufzudrehen, um angenehm warmes Wasser fließen zu lassen und das Geschirr zu spülen. Um sich zu waschen, stieg man einfach in die Dusche und ließ warmes Wasser über den Körper fließen, anstatt es erst auf dem Gasofen erhitzen zu müssen oder in den Hammam zu gehen, wie es bei uns üblich war, um sich zu waschen. Es war eine Freude, als ich zum ersten Mal sah, wie der Staubsauger und die Waschmaschine alle Aufgaben wie von selbst erledigten. Ich setzte mich oft vor die Waschmaschine und beobachtete, wie die Wäsche gewaschen wurde. In solchen Momente war ich von einer tiefen Dankbarkeit erfüllt, dass ich diese harten Arbeiten nicht mehr erledigen musste, wie ich es während meiner ganzen Kindheit hatte machen müssen. Das Schönste für mich war allerdings, dass ich keine Herrin mehr hatte, und auch keine Schwiegermutter und keine Schwägerinnen, die mich herumkommandieren oder mich von früh bis spät quälen konnten. Endlich frei! Frei! Frei! Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich als freier Mensch. Ein Lebewesen, das als Mensch zählte und der gleichen Welt angehörte, wenn auch nur teilweise, da ich mich tief im Inneren noch immer nicht vollständig frei und auch nicht als Mensch fühlte. Ich war aus der Sklaverei befreit, ja, aber doch nur, um am Ende in einer Ehe gegen meinen Willen in einem freien Land wie der Schweiz gefangen zu sein. Doch trotz alledem war ich dankbar, all das zu haben, was ich für ein würdevolles Leben benötigte. Das bequeme Leben war mir fremd und um mich nicht zu langweilen begann ich, den Flur weiß zu streichen, der wegen des Rauchs, der aus der Kaminklappe kam, grau geworden war. Ich wusch die Wände der Küche und des Badezimmers und putzte das ganze Haus, bis es glänzte. Ich brachte den Keller und den Dachboden in Ordnung, doch am Ende gab es nichts mehr zu tun. So begann ich damit, von Hand Vorhänge für die Fenster zu nähen. Ich besaß weder eine Nähmaschine, noch wusste ich damit umzugehen. Aber auch diese Arbeit war irgendwann erledigt. Zum Glück gab mir ein Freund von Bilal, Hans, der Gewürze in einem Geschäft in der Stadt verkaufte, Arbeit. Er brachte mir Dutzende Säcke voller Gewürze, die ich in kleine Säckchen füllen, wiegen und mit einem Preisetikett versehen musste. Diese Arbeiten erledigte ich zu Hause, im Zimmer über der Treppe. Ich räumte das Zimmer leer, putzte es und verwandelte es in ein kleines Geschäft. Zumindest hatte ich Beschäftigung und konnte ein wenig Geld verdienen. Hans zahlte mir 10 Schweizer Frankencent pro Säckchen und ich bemühte mich, so viele Säckchen wie möglich zu füllen, um noch etwas mehr Geld zu verdienen, während ich schon davon träumte, einen Teil davon zur Unterstützung meiner Familie nach Marokko zu schicken.

      Der Frühling

      Die weißen und violetten Blüten, Schneeglöckchen und Krokusse sprießten wie von Zauberhand aus dem noch halb gefrorenen Boden. An den Ästen der Bäume wuchsen hellgrüne Blätter mit den ersten zurückhaltenden Strahlen der Sonne, die das Land erwärmte. Alles schien neues Leben zurückzugewinnen, auch die Leute waren fröhlicher, jetzt wo es einige Sonnentage gab. Für mich war das nicht genug, ich brauchte die Sonne jeden Tag. Ich brauchte Platz. Obwohl die Natur in der Schweiz wunderbar ist, mit den vielen grünen, ordentlichen Flächen, fühlte ich mich von den Wäldern, die die Stadt und das ganze Land umgaben, und dabei jeden Blick darüber hinaus verhinderten, eingeengt. Mir fehlte dieser endlose Raum über die kahlen Hügel meines Landes hinweg. Mir fehlte die Aussicht auf weite Ebenen, die steinige Wüste und die warmen Felsen, der grüne Teppich der blühenden Wiesen, die wie von Zauberhand nach den ersten Regenfällen des Frühlings entstanden. Diese wilden Blumen machten mein Land zu einer wundervollen Oase.

      Bald verwandelte sich der Garten um das Haus in ein kleines Paradies voller Blumen, über die Insekten flogen und wo die Vögel bereits im Morgengrauen ihre Lieder trällerten. Der Apfelbaum, der Birnen- und der Pflaumenbaum blühten bereits und würden bald saftige Früchte tragen. Doch der schönste Baum, der in der Mitte des Gartens üppig wuchs, war die Kirsche, die uns große, saftige und süße Kirschen schenkte. Auch die Rosen würden bald Blüten tragen, in rosa, rot und weiß.

      Endlich war auch der Sommer da. Es schien, als würde mit der Ankunft der Wärme auch das Leben in der Stadt und im ganzen Land neu erwachen. Die Leute hatten wesentlich bessere Laune. Überall sah man Menschen auf den Bänken oder Wiesen sitzen, ein Buch lesen, picknicken oder während der Mittagspause Brötchen essen und die Sonne genießen. Auch Bilal und ich machten an den Wochenenden oft ein Picknick in der Natur und legten uns auf der Wiese in die Sonne. Im Sommer ist die Schweiz wahrlich ein Paradies auf Erden. Während der Woche hatte ich viel Freude daran, am Fluss entlangzuspazieren und den herrlichen Ausblick auf die üppigen Bäume und die Vielzahl der schönsten Blumen zu genießen, und vor allem genoss ich die wundervollen Wasserfälle des Rheinfalls, den ich so sehr liebte.

      Ich ging zur Promenade hinauf, um den wundervollen Ausblick zu genießen oder setzte mich auf eine Bank in der Mitte des Spielplatzes. Der Park war im Sommer ein grüner Teppich, mit grünen Bäumen und den schönsten Blumenbeeten, die hier und da verstreut lagen. Während ich auf der Bank saß, beobachtete ich, wie die Eltern mit ihren Kindern spielten. Ich streichelte meinen Bauch und verspürte eine große Freude darüber, Mutter zu werden. Doch gleichzeitig verspürte ich auch eine gewisse Sehnsucht, da ich doch als Kind nie hatte spielen können und weder richtig bei meinen Eltern noch mit meinen Brüdern und Schwestern aufwachsen konnte. In mir gab es eine tiefe Leere, die ich teilweise noch immer verspüre. Ich beobachtete die Hunde, wie sie über die Wiese rannten und glücklich mit ihren Besitzern spielten. Bei diesem Anblick dachte ich: »Lieber Gott, wenn du mich doch nur als Hund in diesem Land in die Welt gesetzt hättest, dann hätte ich wenigstens Herren gehabt, die mich lieben und mich streicheln. Ich hätte glücklich und frei mit den anderen Hunden auf den Wiesen gespielt. Ich hätte genug zu Essen und einen warmen Schlafplatz gehabt und hätte jederzeit schlafen können, wenn ich gewollt hätte, statt immer dieses Gefühl der Müdigkeit zu haben, das meine Seele meine gesamte Kindheit zerrissen hat.«

      Ich war überrascht, als ich erfuhr, dass hier ein Hund zum Tierarzt gebracht wurde, wenn er krank war. Man gab hier mehr Geld für einen Hund aus, als bei uns für ein Kind. Hier beschützte man Hunde sogar vor kleineren Infektionen an der Pfote, wohingegen bei uns auf dem Land immer noch viele Kinder an Masern und anderen Kinderkrankheiten starben, die man mit wenigen Eurocent hätte heilen können. Ich liebe Tiere und ich bin der Ansicht, dass sie diese besondere Behandlung verdienen, aber ich dachte auch an den schlimmen Zustand, der zu dieser Zeit in meinem Dorf herrschte.

      Freunde

      Wenn Freunde von Bilal zu uns nach Hause kamen, wurde die Luft erfüllt von einer Mischung aus Haschisch- und Zigarettenrauch. Sie rauchten und tranken Bier und vergnügten sich, mir jedoch gefielen diese Abende überhaupt nicht. Ich konnte mittlerweile den ganzen Lärm und den Rauch nicht mehr ertragen, daher musste ich oft das Haus verlassen. Ich konnte ihren Atem, getränkt von Rauch und Alkohol, nicht mehr ertragen, genauso wenig wie ihre Blicke, verloren in der Leere, als stünden sie unter Schock. Ihr Sprechen wurde schleppend und ihre Augen rot und glänzend, als hätte sie hohes Fieber. Ihre blasse Haut wurde noch blasser und war von Müdigkeit gezeichnet. Geistig schienen sie auf einem ganz anderen Planeten zu sein. Wenn sie sich in diesem Zustand befanden, lachten sie hemmungslos und am Tag danach waren sie völlig antriebslos. Die Freude der vergangenen Nacht war am nächsten Morgen verschwunden. Aber sie wiederholten alles am nächsten Abend. Sie forderten mich auf zu trinken und mit ihnen Joints zu rauchen, doch ich dachte noch nicht einmal daran. Das war gegen meine Moral und gegen meine Kultur. Wenn wir uns in der Bar trafen, blieb ich abseits sitzen und trank Tee, litt unter dem Rauch und der lauten Musik und dem deutschen Geschwätz, das ich nicht verstand. Es wurde oft spät und wegen der Schwangerschaft war ich oft müde. Ich bat Bilal, mit mir nach Hause zu gehen, doch er zog es vor, sich mit seinen Freunden zu amüsieren. Oft war ich gezwungen, um zwölf oder ein Uhr nachts zu Fuß nach Hause zu gehen. Gott sei Dank ist mir auf diesem Weg niemals etwas zugestoßen. Nur einmal wurde ich von einem Betrunkenen belästigt. Ich saß vor der Bar, um etwas frische Luft zu schnappen, in der Hoffnung, dass Bilal herauskäme und mich nach Hause brachte. Ein Mann kam torkelnd auf mich zu, blieb stehen und sah mich an. Er sagte etwas zu mir, das ich nicht verstand. Er kam auf mich zu, zog mich fest in seine Richtung und gab mir einen Kuss. Ich war erschrocken, da mich dies vollkommen überraschte. Ich stieß ihn voller Entsetzen weg, spuckte auf den Boden und wischte mir über den Mund. Ich begann, ihn