Im goldenen Käfig. Aicha Laoula. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aicha Laoula
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783906287041
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sagt er etwas zu mir, was ich nicht verstand. Bilal übersetzte, dass Tobias mit mir tanzen wollte. Ich wandte mich Bilal zu und sagte: »Nein, ich kann nicht, ich schäme mich zu Tode! Sag ihm bitte, ich kann nicht tanzen.« Bilal übersetzte meine Worte und Tobias antwortete, dass er es mir gern beibringen würde. Ich drehte mich nicht rechtzeitig zu Bilal um und so schnappte mich Tobias an der Hand und zog mich in die tanzende Menge in die Mitte des Lokals und begann zu tanzen, er ermutigte mich, es ihm nachzutun. Vor lauter Scham wäre ich am liebsten im Boden versunken. Mit einem Mann tanzen, der nicht mein Ehemann war? Und auch noch vor anderen Leuten? Nein! Über so etwas sprach man noch nicht einmal! Und dann auch noch diese seltsame Art zu tanzen! Doch Tobias schien mein Unwohlsein und meine große Verlegenheit nicht zu bemerken. Er zog mich sanft vor und zurück und drehte mich im Kreis. Mein Blick suchte Bilal, in der Hoffnung, dass er kommen würde, um mich zu befreien. Plötzlich spürte ich einen starken Krampf im Nacken. Der Schmerz war so stark, dass ich glaube, ohnmächtig zu werden. Ich fühlte mich so schlecht, dass ich entschied, mich von der Hand des armen Tobias zu befreien, der glaubte, ich würde mich amüsieren. Ich war wütend auf Bilal, der mich nicht gerettet hatte. Ich sagte ihm, ich wollte sofort weg von hier, doch er wollte sich weiter amüsieren. Kurz darauf bemerkte er, dass es mir hier überhaupt nicht gefiel und brachte mich nach Hause.

      Trotz der Bräuche, die sich so von den mir vertrauten unterschieden, wusste ich die Tatsache zu schätzen, dass die Menschen höflich und sehr nett zu mir waren. Sie respektierten und akzeptierten mich so wie ich war, was mir die Integration in der Schweiz ungemein erleichterte. Das einzige Problem war mein mangelndes Selbstwertgefühl. Ich fühlte mich nicht richtig wie ein Mensch, geschweige denn wie jemand, der es verdient hatte, geliebt und geschätzt zu werden. Tief in meinem Inneren herrschte noch immer die Stimme meiner ehemaligen Herren, die all die Jahre täglich nichts anderes zu sagen wussten, als dass ich ein Niemand sei, ein Nichts, dumm und unwissend. Und diese Denkmuster hatten meine Selbstachtung zerstört. Nun fand ich mich jeden Tag mit diesen inneren Stimmen konfrontiert, und zugleich mit der Realität, die das komplette Gegenteil davon war. Ich war innerlich zerrissen und wusste nicht, an welche Realität ich glauben sollte.

      Zu Beginn meines Aufenthalts in der Schweiz war ich vollständig von Bilal abhängig, der mir stets übersetzte, was die anderen sagten, da ich keine europäische Sprache sprach. Ich fühlte mich ziemlich orientierungslos und verloren in dieser Welt, die ich vielleicht etwas zu perfekt für mich hielt. Ich fühlte mich minderwertig und dumm. Alle dachten, ich als Marokkanerin müsse Französisch beherrschen, wo doch Marokko einst französische Kolonie war – eine Tatsache, von der ich erst hier in der Schweiz erfuhr, da ich weder etwas von der Geschichte meines Landes noch vom Rest der Welt wusste, schließlich war ich niemals zur Schule gegangen. Wenn Bilal mich seinen Freunden vorstellte, begrüßten sie mich und sagten: »Parlez-vous français?« Ich blieb wortlos stehen und sah sie an wie eine Idiotin, da ich kein einziges Wort verstand. Glücklicherweise rettete mich Bilal aus meiner Verlegenheit und ergriff für mich das Wort. Aufgrund meiner mangelnden Bildung schien ich aus einer Art Unterwelt zu kommen, wofür ich mich zu Tode schämte.

      Bilals Ex

      Ein paar Tage nach meiner Ankunft in der Schweiz stürzte eine Frau, die ein Stockwerk unter uns wohnte, ohne anzuklopfen in die Wohnung. Ich starrte sie völlig verdutzt an und versuchte herauszufinden, wer sie war. Sie war etwa dreißig Jahre alt, hatte kurzes kastanienbraunes Haar und helle Haut und Augen. Sie hatte ein erzwungenes Lächeln aufgesetzt, als sie eintrat und mit herrischer Stimme nach Bilal rief. Ich bemerkte ihre Vertrautheit, mit dem Haus und mit Bilal. Sie traf im Schlafzimmer auf ihn und begann sofort, in einem streitlustigen Tonfall mit ihm zu diskutieren. Ich stand wie angewurzelt im Flur, als Bilal mit bleichem Gesicht auftauchte und mir die Frau vorstellte: »Ich möchte dir Heidi vorstellen.« Dann wandte er sich ihr zu. »Das ist Aicha« Heidi? Sie wohnte im selben Wohnhaus? Mir wurde schlecht. Die Worte meiner Schwiegermutter und meiner Schwägerinnen schossen mir durch den Kopf. Sollten sie tatsächlich Recht behalten? Heidi war die ehemalige Lebensgefährtin von Bilal. Nachdem er sie verlassen hatte, war er nach Marokko gekommen und hatte mich zur Frau genommen. Er war 32 und ich 15 Jahre alt gewesen, als mich meine Familie gezwungen hatte, gegen meinen Willen zu heiraten. Ich war damals in Samir verliebt, einem 19 Jahre alten Jungen, doch obwohl ich sehr in Samir verliebt war, hatte ich nicht vorgehabt, so bald zu heiraten. Ich fühlte mich viel zu jung zum Heiraten, doch meine Mutter und mein älterer Bruder zwangen mich zur Ehe mit Bilal. Laut ihnen versprach Bilal eine große Aussteuer, außerdem würde er mich mit nach Europa nehmen, wodurch sie sich finanzielle Unterstützung von mir versprachen. Bilal war zu uns nach Hause gekommen, um mich zu sehen und ich gefiel ihm sofort als seine zukünftige Frau. Er war ein attraktiver Mann und auch sehr sympathisch, doch trotz alledem hatte mein Herz Samir gehört, und wenn ich eines Tages beschlossen hätte zu heiraten, dann hätte ich nur Samir heiraten wollen. So sagte ich meiner Mutter, dass ich Bilal nicht heiraten wollte, aber es war nichts zu machen. Im Gegenteil, meine Mutter sagte Bilal, dass ich damit einverstanden war, ihn zu heiraten. So heiratete mich Bilal in gutem Glauben und in der Annahme, dass ich einverstanden war. Zwei Wochen später war ich die Ehefrau eines Mannes, den ich nur drei Mal in meinem Leben gesehen und noch nie gesprochen hatte. Wobei ich noch Glück hatte, den Mann, den ich heiraten würde, vor der Hochzeit gesehen zu haben. Viele junge Mädchen sahen ihren zukünftigen Ehemann zum ersten Mal erst bei der Eheschließung. Wie im Falle meiner älteren Schwester. In meinem ersten Buch (Verkauft!: Meine verbrannte Kindheit in Sklaverei) habe ich alle Einzelheiten meines Sklavendienstes sowie meiner erzwungenen Verlobung und Ehe und die meiner älteren Schwester dargelegt. Zwei Wochen nach der Hochzeit kehrte Bilal in die Schweiz zurück und ließ mich ein Jahr lang im Haus meiner Schwiegereltern zurück. Meine Schwiegermutter und Schwägerinnen waren davon überzeugt, dass Bilal Heidi noch nicht verlassen hatte und dass er mich zurückgelassen hatte, um weiterhin mit ihr zusammenzuleben. Er jedoch behauptete das Gegenteil.

      Ich war hin- und hergerissen: ein Unwohlsein schlang sich um mein Herz, wie der graue Nebel, der das ganze Land einhüllte, doch ich versuchte verzweifelt, meine Gefühle nicht preiszugeben. Ich schwieg und schluckte meine Eifersucht hinunter, die mein Herz wie lodernde Flammen zu verbrennen drohte, während ich die beiden beobachtete und herauszufinden versuchte, welche Art von Beziehung zwischen ihnen bestand. Sie hatte einen wütenden Gesichtsausdruck und nach einem Wortwechsel mit Bilal drehte sie sich um und verließ die Wohnung. Ich hatte nicht verstanden, was sie auf Deutsch zueinander gesagt hatten. Ich sah Bilal an, der sehr wütend war, schloss die Tür und sagte nichts, ich fragte auch nicht, worum es ging. Ich wollte mir ein Bild von der Situation machen, bevor ich sie beurteilte. Bilal hatte mir gebeichtet, dass Heidi, als ich noch in Marokko gewesen war, ihn gedrängt hatte, sich von mir scheiden zu lassen, aber er hatte ihr gesagt, dass ich die Frau war, mit der er leben und eine Familie gründen wollte.

      Bald versuchte Heidi, mit mir Freundschaft zu schließen, sie lud mich oft zu sich nach Hause ein und wollte, dass ich ihre beiden Kinder kennenlernte, die sie mit ihrem ersten Mann hatte. Ich wollte weder ihre Freundschaft noch wollte ich mit ihr zusammen sein, Bilal jedoch nahm ihre Einladungen an und ich wollte ihn nicht allein zu ihr gehen lassen. Ich konnte mich Bilal nicht widersetzen, schließlich war ich noch auf ihn angewiesen. Was alles noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass er nach der Arbeit oft erst zu ihr ging, bevor er nach Hause kam. Dieses Verhalten war wie eine Beleidigung für mich und weckte weiteres Misstrauen in mir. Ich spürte, dass ihre Beziehung noch nicht vorbei war. Ich fühlte mich in Gegenwart dieser Frau unwohl, da ich bemerkte, dass die beiden weiterhin sehr vertraut miteinander waren, gleichzeitig verspürte ich Wut. Ich verstand, dass sie ihn nach wie vor liebte und doch auch wütend auf ihn war. Vielleicht weil er sie verlassen hatte, um mich zu heiraten. Wir waren oft bei ihr eingeladen, doch irgendwann weigerte ich mich, sie zu besuchen. Bilal hingegen war glücklich, die Abende mit seinen Freunden zu verbringen, die sich in ihrer Wohnung trafen. Ich zog es vor, allein zu bleiben. Ich war es leid, gegen dieses Gefühl der Eifersucht anzukämpfen und erreichte einen Punkt, an dem es mich nicht mehr kümmerte, dass die beiden viel Zeit miteinander verbrachten und dass sie ihn zurück wollte. Erst zwei Jahre später gestand mir Bilal, was zwischen ihm und Heidi vorgefallen war, nachdem er mich geheiratet hatte. Es war genau das, was ich immer im Gefühl gehabt hatte, seit ich Heidi zum ersten Mal gesehen hatte. Leider war der Großteil des Vertrauens in meinen Ehemann damit zerstört