Meine letzte Menstruation war schon etwas länger her, aber ich war nicht allzu besorgt darüber, ich wusste nicht wirklich, wie eine Schwangerschaft vermieden wurde. Im Grunde wusste ich kaum etwas über die Sexualität im Allgemeinen. Ich war in jeder Hinsicht ungebildet. Eines Morgens wachte ich mit Übelkeit auf und fühlte mich nicht gut. Bilal brachte mich zum Arzt. Nach ein paar Fragen, die mir Bilal übersetzte, forderte mich der Arzt auf, mich unterhalb der Taille freizumachen und mich auf seine Behandlungsliege zu legen. »Ich soll mich vor einem Mann nackt zeigen? Nein! Das kommt nicht in Frage!« »Aber er muss dich untersuchen, Aicha. Vielleicht bist du schwanger.« »Und was hat schwanger sein mit der Tatsache zu tun, mich nackt vor einem Mann zu zeigen?« Ich hatte solche Angst davor und verstand den Grund nicht. Die Frauen bei uns auf dem Land brachten Dutzende von Kindern zur Welt, nur mithilfe einer erfahrenen Frau und ganz sicher ohne einen Mann. Vielleicht wäre ein weiblicher Arzt weniger dramatisch für mich gewesen. Der Arzt saß hinter seinem Schreibtisch und hatte einen ernsten und verärgerten Blick aufgesetzt, er klopfte mit dem Stift auf seinen Block, während er darauf wartete, dass ich mich entkleidete. Da er sah, wie ich mich weigerte, rief er eine Arzthelferin, die mich in einen anderen Raum führte. Dort sollte ich mich ebenfalls ab der Taille abwärts entkleiden und auf eine Liege legen. Wenige Minuten später kam der Arzt herein und begann, meinen Intimbereich zu untersuchen und tastete sogar meine Brüste ab, während ich nur dalag und hoffte, die Liege würde mit mir im Boden versinken. Ich glaubte, vor Scham sterben zu müssen. Am Ende sagt er, dass ich im dritten Monat schwanger sei. Diese Nachricht jagte mir Furcht ein. Ich konnte es gar nicht glauben: »Ich, schwanger? Das kann gar nicht sein. Hilfe!« Ich war doch noch ein Kind. Ich hatte Angst vor der Schwangerschaft und der Entbindung und davor, keine gute Mutter zu sein und ein Kind nicht großziehen zu können. Außerdem fühlte ich mich bei Bilal keinesfalls sicher, ich kannte ihn noch nicht gut und in der Schweiz war ich noch nicht integriert. Ich wollte mich nur noch ausruhen, von all dem Stress, den ich in meiner Vergangenheit als Sklavin und bei der Familie von Bilal erfahren hatte, die mir die Hölle auf Erden bereitet hatte. Nach einem Moment dachte ich: Ich sollte Mutter werden? Ich? Ich sollte ein eigenes Kind haben? Trotz aller Ängste und Unsicherheiten gewöhnte ich mich schnell an diesen Gedanken. Von da an gab es keinen Tag mehr, an dem ich mich nicht auf mein Kind freute, ein Kind, das ganz zu mir gehören und mich seine Mutter nennen würde. Was für ein tolles Gefühl! Einzigartig auf der Welt.
Leider wurde unsere Freude über die Schwangerschaft bald durch ein Schreiben der Ausländerbehörde getrübt. »Da Ihr Touristenvisum mit einer Dauer von drei Monaten abgelaufen ist, müssen Sie die Schweiz sofort verlassen.« Diese Nachricht ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich bekam keine Luft mehr und glaubte, ohnmächtig zu werden. »Zurück zu meiner Schwiegermutter und meinen Schwägerinnen? Das kann doch nicht wahr sein! Lieber sterbe ich, als dorthin zurückzukehren. Oh mein Gott, hilf mir, damit ich nicht zu diesen Hexen zurückkehren muss.« Bilal musste sofort zur Ausländerbehörde und meine Anwesenheit in der Schweiz erklären, indem er das Dokument vorlegte, das bestätigte, dass wir in Marokko rechtmäßig verheiratet waren. Erst dann würde ich eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Ich zermarterte mir den Kopf und betete zu Gott um eine Lösung. Doch welche Lösung gab es, wo ich doch mit niemandem sprechen konnte und nicht wusste, wie ich meine Rechte kennen oder durchsetzen sollte? Bilal ging zum Amt, um die Behörden davon zu überzeugen, mir weitere drei Monate zu bewilligen, bis meine Aufenthaltsgenehmigung ausgestellt wäre, doch die Antwort blieb gleich: Ich müsse die Schweiz verlassen, könne aber drei Monate später erneut einreisen, um einen neuen Antrag zu stellen. Ich wollte nicht nach Marokko zurückkehren, auch nicht für nur drei Monate, denn die Tradition verlangte, dass ich bei meinen Schwiegereltern und nicht bei meiner Mutter leben müsste. So war ich voller Angst, dass meine Schwiegermutter mir etwas Böses antun würde und ich mein Kind verlieren könnte. Sie würde die letzte Chance nutzen, mich von ihrem Sohn fernzuhalten und dafür zu sorgen, dass ich nicht mehr in die Schweiz zurückkehren könnte. Sie war nicht damit einverstanden, dass ihr Sohn eine ehemalige Sklavin geheiratet hatte, die auch noch arm und Analphabetin war. Bei uns bleiben ehemaligen Sklaven in den Köpfen der Menschen immer Sklaven, auch wenn sie lange keine mehr sind. Sie sind häufig Zielscheibe von Demütigung und Missbrauch aller Art. Andere Menschen lassen gern ihre Boshaftigkeit, ihren Frust und ihre Wut an ihnen ab. Eine Sklavin verliert für den Rest ihres Lebens die Ehre und den Respekt, den ein Mensch verdient hat, denn ihr Leben ist nichts wert. Für meine Schwiegermutter war ich die größte Schande und Demütigung gegenüber den sogenannten normalen Leuten. Sie hatte alles daran gesetzt, mich von ihrem Sohn fernzuhalten und würde dies auch weiterhin tun.
Zwei Tage später kamen zwei italienische Freundinnen zu Besuch, die ich von Bilal kannte, Pina und Carla. Bilal fungierte wieder als mein Übersetzer, und ich erzählte unter Tränen, dass ich die Schweiz verlassen müsse. Pina und Carla versicherten mir, dass sich eine Lösung finden würde. Und tatsächlich kam ein Paar, mit denen sie befreundet waren und die an der Grenze bei Schaffhausen in Deutschland lebten, sofort zu uns zu Besuch, als sie von meinem Fall hörten. Giorgio und Nadia boten mir ihre Gastfreundschaft an, ich sollte als Touristin drei Monate bei ihnen zu Hause wohnen. Für Deutschland würde ich kein Visum benötigen. Giorgio und Nadia luden auch Bilal ein, sodass er die Wochenenden mit mir verbringen könnte. Diese Nachricht ließ mich vor Freude weinen. Ich war aus meiner Vergangenheit nicht gewohnt, dass sich jemand um mein Wohlergehen kümmerte, wie diese lieben Freunde, die erst seit Kurzem kannte. Vor meiner Abreise nach Deutschland ging ich mit Bilal zu einer Kontrolluntersuchung beim Frauenarzt. Wir erzählten ihm alles und er sah uns verdutzt an und fragte: »Wenn diese Freunde sie nicht aufgenommen hätten, dann hätte sie nach Marokko zurückkehren müssen?« Bilal antwortete: »Sicher, Herr Doktor, so ist es. Und seitdem wir diese Nachricht erhalten haben, weint meine Frau nur noch den ganzen Tag. Sie fühlt sich nicht stark genug, allein zu reisen und ich kann nicht von der Arbeit zu Hause bleiben, um sie zu begleiten.« Bilal wusste nicht, dass meine wirkliche Angst die vor seiner Mutter und seinen Schwestern war. Er wusste auch nicht, was mir seine Familie angetan hatte, und ich hatte schreckliche Angst davor, es ihm zu erzählen. Seine Mutter hatte mir geschworen, mich umzubringen, wenn ich ihrem Sohn auch nur ein einziges Wort erzählen würde. Ich musste über alles schweigen. Daher hatte ich meine Angst vor der Reise erfunden. Der Arzt versicherte uns: »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, ich werde ein Schreiben an die Behörde aufsetzen. Ich werde angeben, dass sich Ihre Frau aufgrund der Schwangerschaft nicht in der Verfassung befindet zu reisen, daher muss sie bis zur Geburt unter meiner Beobachtung bleiben. Sie kann erst drei Monate nach der Geburt reisen. Ist das in Ordnung?«
Bilal und ich sahen uns überrascht an und stießen einen Seufzer der Erleichterung aus. Das war ein großer Tag für uns. Mit Tränen in den Augen dankte ich diesem heiligen Arzt. Einige Tage später kam ein Schreiben von der Behörde, es besagte, dass ich auf Anordnung des Arztes bis drei Monate nach der Geburt bleiben durfte. Wir benachrichtigen Nadia und Giorgio sofort, um ihnen zu sagen, dass ich nicht mehr zu ihnen kommen müsste. Alle freuten sich für mich. Giorgio und Nadia organisierten aus diesem Anlass ein wundervolles Abendessen. Auch Carla, ihr Ehemann und ihre Tochter und Pina und ihr Mann waren eingeladen. Wir aßen und freuten uns gemeinsam für mich. Wenige Monate später erhielt ich meine Aufenthaltserlaubnis.
Lisa, die Ex-Frau von Bilal, kam oft zu uns, um ihre Tochter Miriam abzuholen, die jedes zweite Wochenende bei uns verbrachte. Lisa war ursprünglich Italienerin, war aber in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Sie und Bilal sprachen miteinander, ohne dass ich auch nur ein Wort verstand. Manchmal lachten sie miteinander, dann stritten sie wieder. Bisweilen übersetzte mir Bilal, über was sie sprachen, um dann das Gespräch fortzusetzen. Ich bot ihr Tee und Kekse an und setzte mich dann neben Miriam, ein entzückendes Mädchen, liebenswert und hübsch. Sie war sechs Jahre alt, hatte braunes, lockiges Haar und eine Haut glatt wie Samt. Ich mochte sie vom ersten Moment an, und sie mochte mich. Sie setzte sich oft auf meinen Schoß, ihr Gesicht zu meinem gewandt. Sie legte ihren Finger auf meine Nase und sagte: »Das ist die Nase. Das ist das Auge. Das hier ist das Ohr, das Kinn, die Zähne und die Augenbrauen.« Dann malte sie mit ihrem kleinen Händchen einen Kreis in die Luft und sagte: »Das ist das Gesicht.« Sie blickte nach oben. »Das ist der Kopf, die Haare, die Hand, der Finger, der Bauch, die Beine und die Füße.« Nachdem sie alle meine Gliedmaßen im Singular aufgezählt hatte, wiederholte sie sie im Plural. So lehrte sie mir Italienisch,