Und wie oft hätte sie alsdenn Homer vergebens! In einem Nebel16 steigt Thetis aus dem Meere hervor, bis sie vor ihrem Sohn hinsaß, und sich ihm in Gestalt zu erkennen gab. In einer Wolke steigt sie zum Jupiter hinauf: eine dichte Wolke warf Jupiter17 um sich, da er auf Ida saß, die Schlacht übersehen, und nicht gesehen seyn wollte. Eine Wolke ist bei Homer mehr als einmal die Kleidung der Götter, wenn sie in einer Situation, die nicht auf andre würkt, in einer intransitiven Stellung erscheinen. Ihr Körper ist zwar nur, wie ein Körper, der Lebenssaft ihrer Adern ist nur gleichsam wie Blut,18 d.i. nichts so grob und irdisch, als ein Menschlicher Körper; doch aber immer Blut, das zu vergießen, ein Körper, der zu verwunden, wie weit mehr zu sehen ist. So wird Venus von Diomedes verwundet, ob er sie gleich als Göttin erkennet:19 und um sie zu trösten, erzählt ihre Mutter Dione,20 was schon von jeher die Himmlischen von den Sterblichen haben erleiden müssen, wie Mars von zween seiner tapferen Feinde gebunden, ins Gefängniß geworfen, dreizehen Monate lang gefangen gehalten, und mit genauer Noth vom Merkur heimlich gerettet sey: wie Juno verwundet, Pluto verwundet – – was darfs, die Mythologischen Geschichte her zu erzälen, die alle wenigstens so viel zeigen, daß nach der Homerischen Göttertheorie der Satz zu hoch klinge: Unsichtbar seyn, ist der Zustand der Götter: einer Erhöhung des Gesichts bedarfs, um nur von Menschen gesehen zu werden, nicht aber einer Abbrechung der Lichtstralen, um nicht gesehen zu seyn.« Brauchts dieses nicht einmal, wie unmöglich, daß ein Gott wider Willen erkannt, gebunden, verwundet werde? Wenn er den Menschlichen Augen seiner Natur nach nicht bloß entgeht, sondern dieselben durch ein Wunder erst erhöhet werden sollen, wie sinnlos alsdenn, seiner Natur nach, verwundbar, für den Helden überwindlich zu seyn? Man wird mir antworten: um einen Gott, um eine Göttin zu erkennen, mußten dem Diomedes erst von einer andern Göttin die Augen eröffnet werden; allein hier rede ich nur von dem Verwundbarseyn durch seine Natur,21 und schließe gerade hin: ein verwundbarer Körper muß auch ein durch seine Natur nicht unsichtbarer Körper seyn: wenn unser Auge ihn der Natur desselben nach nicht treffen könnte; wie könnte nach der Natur des Götterleibes meine Hand ihn treffen?
Warum aber Minerva dem Diomedes erst den Nebel von den Augen nehmen mußte, um Götter und Menschen in der Schlacht zu unterscheiden?22 Ich kann gerade weg sagen: weil er Poetisch einen Nebel vor den Augen hatte; allein ich will Homer Prosaisch erklären. Wenn die Homerischen Götter unmittelbar auf Menschen, und mit Menschen wirken; z.E. streiten, kämpfen, Pferde lenken, kurz, Menschliche Thaten thun wollen: so nehmen sie durchgängig bei Homer auch bloß Menschliche Gestalten an: es heißt alsdenn jedesmal bei Homer: »er gleichte sich diesem, oder jenem Helden.«23 Und freilich in dieser Gleichung war der Gott nicht zu erkennen: denn er war Menschlich eingekleidet: nur aus den übermenschlichen Thaten, aus völlig wunderbaren Begebenheiten schlossen die Helden, daß hie oder da ein Gott seine Hand mit im Spiele haben müsse. Sie fürchteten sich also, einem so verkleideten Gotte zu begegnen, weil es bei ihnen eine Maxime geworden: »keiner lebt lange, der einem Gotte widersteht, oder schadet.« Mit Griechischer Ehrlichkeit fragt ein Held den andern, so offen zu seyn, und zu sagen: ob er ein Gott, oder ein Sterblicher sey? damit er wisse, mit wem er zu thun habe. Und mit Himmlischer Offenherzigkeit entdeckt sich der Gott, wenn er ins Gedränge geräth, daß man ihm aus dem Wege weichen sollte. – – Kurzum! weil das ganze Homerische Treffen voll verkleidet wandelnder Götter ist, weil der Dichter diese Hypothese wissentlich allen Helden und Streitern voraus setzt: freilich so gehört eine Minerva dazu, um diese eingekörperten Wesen vor andern Menschen kennbar zu machen. Aber nicht also, daß sie das Gesicht Diomedes erhöhen dorfte, um Unsterbliche zu sehen: denn die Unsterblichen glichen hier Menschen; sondern, um ihm diese und jene, mordende Figur kennbar zu machen, daß sie etwas mehr sey, als wofür er sie ansehe, daß sie kein Mensch, sondern ein wandelnder Gott sey,24 u.s.f. kurz! hier erscheinen die Götter in einem hindernden Vehikulum gleichsam, und in diesem Vehikulum sollen sie kennbar, nicht sichtbar werden.
Nun aber falle das Vehikulum weg, lasset sie blos Götter seyn: die Wunde, der Schmerz bleibt ihnen, er ist nicht mit der Gestalt weggefallen, in der sie sich Menschlich verkörpert. Mars schreit auf – verläßt die Schlacht, und geht Himmelauf: die Gestalt des Acamas ist also weg, und sehet da! die Wolkenhülle ist um ihn: mit Wollen gehet er zum Himmel.25 Und noch in seiner Himmlischen Gestalt fühlt er den Schmerz, den ihm ein Mensch zufügen konnte? ist die Wunde nicht der Gestalt Acamas geblieben? sie gehört Mars: der Himmlische Arzt muß sie heilen; sein Göttlicher Körper war seiner Natur nach also verwundbar, wie also eben seiner Natur nach nicht sichtbar? oder gar nicht anders als unsichtbar?
Nein! mein Homer ist viel zu sinnlich, als daß er sein ganzes Gedicht durch von so geistigen Göttern, und von so seinen Allegorien, was die Wolke hie und da bedeutet? wissen sollte. Einem Persischen Epopöisten würde eine solche innere Unsichtbarkeit der Götter gefallen haben; allein ein Griechisches Auge will in der Epopee auch an Gottheiten schöne Körper und Himmlische Gestalten erblicken: es will sie schon ihrer Natur nach in dieser schönen Sichtbarkeit sehen, und nicht erst durch ein Wunder, oder durch die außerordentliche Gnade des Dichters, eine Erleuchtung, eine Erhöhung des sterblichen Gesichts nöthig haben, sie anzuschauen. Für solch ein Auge sind die Griechischen Götter geschaffen. Hat aber der Dichter es nöthig, sie nicht sehen zu lassen: so kleide er sie in eine Wolke; er werfe Nebel vor unsere Augen. Eine solche Wolke, in der sie erschienen, hat außerdem ja so manche hohe Nebenbegriffe: den Begriff des Himmlischen und Erhabenen, der einem Himmlischen Wesen zukommt: ist sie glänzend, so der prächtigste Thron eines überirdischen Regenten; dunkel, so das Gewand des Zornigen und Fürchterlichen; schön düftend, so die Verkündigerin einer lieblichen angenehmen Gottheit – alle diese Nebenideen liegen schon in unserm sinnlichen Verstande: sie haben den Dichtern aller Zeiten die vortreflichsten Bilder geschaffen: und Homer sollte diesen edlen Gebrauch der Wolke unterlassen, nicht eingesehen haben? Er allein hätte damit uns blos ein Hokuspokus einer Poetischen Redensart machen wollen, um hier eine Entrückung, dort eine innere Unsichtbarkeit, doch nicht so gerade heraus zu sagen – ich sage nochmals, so kenne ich Homer nicht.
Freilich in den spätern Zeiten, da man die Homerische Mythologie quintessenziirte, und aus ihr ein paar Tropfen Metaphysischen Geist abzog: da wußte man nicht gnug von der innern Unsichtbarkeit der Götter, von ihren mystischen Erscheinungen, von dem Ueberirdischen ihrer Epiphanien u.s.w. zu vernünfteln; allein solche Theophanien, solche seine Metaphysik über die Natur der Götter, gehört in den Kreis der spätern Platonisten und Pythagoräer, und in das heilige Murmeln ihrer Geheimnisse. Ich denke doch aber, daß wir hier nicht über Jamblichus, sondern Homer, reden.
– Kurz! ich bin mit der Ursache zufrieden, daß, wenn der Maler mit seiner Wolke nicht unsichtbar machen kann, er auch dem Dichter die Wolke nicht nachäffen darf: und was brauchts da weitere Allegorien und Deutungen über den Dichter, unter denen der Dichter verlohren geht? Nach meinem Gefühle gebührt den Griechischen Göttern die schönste Sichtbarkeit und Jugend als ein Prädikat ihres Wesens: und ohne solche sich einen Apollo, einen Bacchus, einen Jupiter denken zu sollen, sich die Unsichtbarkeit als den natürlichen Zustand der Götter vorstellen zu müssen – das kann keine Griechische Seele: kein Griechischer Dichter und Künstler, ja selbst kein weiser Epikur.