Auch die kleinen Wesen der Einbildung, welche die Bahn des Homerischen Gedichts gleichsam nur einmal querüber durchgehen, Furcht, Schrecken, und die unersättlich wütende Zwietracht erscheinen bei ihm14 persönlicher, als Allegorien erscheinen: die letzte z.E. als die Schwester und Gesellin Mars, des Menschenwürgers, mit ihm in Gesellschaft, mitten im Schlachtgetümmel. Dieß alles dämpfet das Allegorische in der hohen Idee, »daß sie, anfangs klein, sich erhebe, und, indem sie auf dem Boden der Erde einhergeht, ihr Haupt in den Wolken habe,« wir sehen immer doch mehr eine Person, als einen Begriff, unter einer Person vorgestellt.
Für personifirte Abstrakta, für Allegorische Maschinen, als solche betrachtet, hat Homer keinen Platz; nur den Reden seiner Helden15 läßt ers, die Gebete u.s.w. zu Allegorisiren, die also aus ihrem Munde, nicht aber eigentlich aus seiner Schöpferhand kamen, die also gesprochen und gedacht, nicht aber Dichterisch gebildet, gleichsam im Gedichte gesehen werden sollten. Aber auch selbst da sucht er sie, wo er kann, in das Licht eines bestehenden Wesens zu kleiden; er flicht sie in die Genealogie der Götter; er giebt ihnen einen Historischen Zug zu: er malt das Allegorische nicht aus mit Prädikaten, sondern läßt es kaum durch den Namen, durch die Historischen Züge, durch die Dichterischen Attribute durchblicken. So wenig ists bei Homer Hauptzweck zu Allegorisiren, und am mindesten zu Allegorisiren für Künstler. – –
Hier Winkelmanns Werk von der Allegorie: ich bleibe aber bei zween andern Gefährten auf dem Wege: wie der Künstler den Dichter, insonderheit der griechische Künstler Homer nachahmen könne? Diese Gefährten sind Caylus und Leßing.
1 p. 116.
2 Lib. I. Od. 35.
3 Horat. ed. Baxt. p. 49.
4 Eclog. Horat. edit. Gessner. p. 71.
5 Vindic. Horat. p. 152.
6 Baxt. Horat. p. 50.
7 Addisons Dialog. upon the Usefullness of ancient Medals, p. 47.
8 Klotz. Vindic. Horat. p. 154.
9 Laok. p. 118.
10 Vindic. Horat. p. 154. 155.
11 Dialog. X.
12 Den größten hat Bentlei gefunden. S. seinen Horaz über diese Ode.
13 Vindic. Horat.
14 Iliad. ∆. v. 441–42. Iliad. I.v. 2.
15 Z.E. Agamemnons Rede von der Göttin Ate T. 78. Phönix Rede von den Gebeten Iliad. I.v. 498.
XIII.
Und dünke mich jetzt im besten Theile1 des Leßingschen Werks, wo es die Vorschriften des Grafen einschränkt, wo es die Art der Vorstellung Homers, und eines Künstlers unterscheidet, wo es ein Muster von praktischem Scharfsinne ist. Mit Verwunderung also muß jeder Leser, der Leßingen verstehet, die verwirrenden Widersprüche2 gelesen haben, die – – doch hierüber darf ich die Vertheidigung des Verfassers selbst3 als bekannt voraus setzen.
Ich gehe also ins Detail. »Homer bearbeitet sichtbare und unsichtbare Wesen; diesen Unterschied kann die Malerei nicht angeben, bei ihr ist alles sichtbar; und auf einerlei Art sichtbar.«4
»Das Mittel also, dessen sich die Malerei bedienet, uns zu verstehen zu geben, daß in ihren Kompositionen dieses oder jenes als unsichtbar betrachtet werden müsse, ist eine dünne Wolke.5
Diese Wolke scheint aus Homer selbst entlehnt zu seyn.6
Wer sieht aber nicht, daß bei dem Dichter das Einhüllen in Nebel und Nacht weiter nichts, als eine poetische Redensart, für unsichtbar machen, seyn soll? Es hat mich daher jederzeit befremdet, diesen poetischen Ausdruck realisirt, und eine wirkliche Wolke in dem Gemälde angebracht zu finden.«7
Mit dem Unterschiede, den Hr. L. angiebt, bin ich zufrieden; nur der Grund des Unterschiedes, den er angiebt, ist nicht der meine.
Wozu soll die Wolke bei dem Dichter und Maler? zur Verhüllung. Wo sie also nicht verhüllen kann, da ist sie nicht Wolke mehr, da bleibe sie weg. So bei dem Maler. Sie soll verhüllen, und verhüllet nicht: sie läßt den verhüllten Helden noch sichtbar: er steht hinter einer spanischen Wand, und rufft uns zu: »ich bin unsichtbar, ich soll nicht gesehen werden: ich bin nicht zu Hause.« Diese Ursache, dünkt mich, ist die wahre.
Aber die, daß die Wolke aus einem Dichter entlehnt, bei ihm nichts als eine Poetische Redensart, bei dem Künstler hingegen eine wirkliche Wolke, und also ein Poetischer Ausdruck auf eine befremdende Weise realisirt sey; die Ursache scheint minder Stich zu halten.
Homers Nebel ist ein Poetischer Nebel; ist er aber damit eine Poetische Redensart, ein künstlicher Ausdruck, statt »unsichtbar werden?«8 Wenn Achilles nach dem in die Wolke verborgnen und schnell entrücken Hektor noch dreimal mit der Lanze zustößt: soll dieß »in der Sprache des Dichters weiter nichts heißen, als daß Achilles so wütend gewesen, daß er noch dreimal gestoßen, ehe er gemerkt, daß er keinen Feind vor sich habe?« Ich