Und wie kam Horaz zu der todten Figur? Wahrscheinlich, daß er sie von einem solchen Gemälde kopirte, daß er sie mit den Zügen kopirte, mit denen sie vielleicht im Tempel zu Antium anzutreffen war. Was also in einer Ode Horaz auf den locus communis des Glücks ein befremdender Fehler seyn würde, das findet in einer Ode auf die Fortune von Anzo wenigstens eine entschuldigende Deutung. Es verewigte ein Gemälde, ein schönes Symbolisches Gemälde, das ein Schatz des Tempels seyn konnte, in welchen diese Ode, als ein Schatz, auch hingehörte. Man kritisire Horazen nicht als Dichter, sondern hier als Dichter für Anzo.
Ich glaube hiemit auch den folgenden Moralischen Wesen Licht und Deutung gegeben zu haben, die man so sehr verkannt hat:
Te Spes & albo rara Fides colit
Velata panno –
Spence hat Unrecht, daß er in dieser Stelle eine dünngekleidete Figur findet:11 allein er hat Recht, daß es eine Malerische Figur sey, wie aus dem Zusätze weiß gekleidet erhellet, und die Ursache weiß gekleidet darf ich nicht erst mit dem Scholiasten, in der alten Gewohnheit suchen, daß die Priester der Treue ihr Opfer mit weißverhülltem Haupte brachten; ich habe sie näher: welche Kleidung käme in einem Gemälde der Treue zu, als die Kleidung der Unschuld? Ist aber die Figur aus einem Gemälde: wie unnütz zerbricht sich Bentley den Kopf darüber, daß Hoffnung und Treue dem Glücke als Begleiterinnen beigegeben werden? Wenn dieß Gemälde des Glücks in Anzo war: wie reich und schön wäre die Vorstellung desselben!
Nun fängt Horaz an, über diese reiche Deutung zu Allegorisiren: Hoffnung und Treue sind dem Glücke zu Begleiterinnen gegeben – zu Begleiterinnen? »so werden sie dasselbe auch immer begleiten! auch wenn es sein Kleid ändern, auch wenn es die Palläste der Großen feindlich verlassen sollte. Das ist nur der treulose Pöbel, das ist nur eine meineidige Hure, die alsdenn zurück tritt: nur hinterlistige Freunde zerstieben, wenn die Weinbecher leer sind: so sind nicht Hoffnung und Treue.« Ich sehe hier so wenig Wiederspruch,12 als bei einer erbaulichen Allegorischen Deutung, und zwar einer Figur, die ihrem Namen nach doppelsinnig ist, nur immer seyn kann.
Und mit dieser Deutung eben bahnet sich Horaz den Weg, seinen August, und den damaligen Zustand des Römischen Reichs der Glücksgöttin zu empfehlen – eine Materie, die seine Ode schließet. Ich finde also nichts minder, als ein Abstraktum, das Glück, in ihr abgehandelt: wie man etwa, wenn man sich die Ueberschrift aus einem Wörterbuche erklärt, meinen könnte; es ist die Glücksgöttin in Anzo, eine Römischgesinnte Glücksgöttin, die auch nach den damaligen Umständen sich Roms annehmen soll. Aus Antium also, aus Rom, und aus der damaligen Zeit müssen auch die personifirten Ideen dieser Ode Licht nehmen; oder man schielet. Auch Hr. Klotz scheint mit seinen Erläuterungen aus Steinen und Münzen13 wohl nicht den Endzweck gehabt zu haben, sich selbst von dem Poetischen Baue dieser Horazischen Ode Rechenschaft zu geben: wie es doch bei ihr vorzüglich angienge. Wenn überhaupt der Gebrauch personifirter Geschöpfe aus einem Lyrischen Dichter erklärt werden sollte; so ist der Erste dazu – Horaz, Er, der diese schönen Gespenster ungemein liebt, und in Einführung derselben sehr charakteristisch ist; ein Kenner Horaz zeige uns diese Seite!
Aber auch der Epische Dichter hat personifirte Ideen nöthig, die man gemeiniglich Maschinen zu nennen gewohnt ist – wie soll er sie erschaffen? Als symbolische Wesen des Künstlers, als Allegorien, oder als handelnde Subjekte? Wenn ein Dichter es nöthig hat, sich vom Künstler zu unterscheiden, so ists der Dichter der Epopee, insonderheit in seinen Maschinen – ich wollte, daß Hr. L. darauf gekommen wäre!
Ich weiß, daß manche sich Leidenschaften, Tugenden und Laster und ein ganzes Heer Moralischer Personen zu Maschinen personifirt haben: allein, ich weiß auch, wie frostig, wie überflüssig diese Maschinen oft ganze Gedichte herunter erschienen sind, blos weil sie als personifirte Abstrakta erschienen, weil ihnen Individualität fehlte. Ein wirkliches Abstraktum in Person zu malen, ihm äußere Gestalt zu geben, um es Dichterisch bekannt zu machen, geht ohne Symbole nicht an; denn im Innern, im Wesen eines Abstrakten Begriffes liegen nicht Farben und Gestalten. Der Dichter läuft also Gefahr, daß, wenn er uns eine lange Seite herab, die Unschuld, den Neid, die Naturlehre u.s.w. symbolisch gemalt hat, wir hinterher fragen: wie sah das Ding aus? Alle einzelne charakterisirende Züge sind vergessen: wie kann ich sie zusammen nehmen, daß ein ganzes Bild vor mir stehe? Er hat die Arbeit der Danaiden gehabt, immer neue Züge zu schöpfen, die aber augenblicklich wieder wegschlüpfen, und jetzt stehe ich, und habe in meinem löcherichten Siebe – nichts.
Nun soll diese Abstrakte Person als Maschine handeln; natürlich nicht anders, als aus ihrem Wesen, wie die Unschuld, der Neid, der Zorn handeln muß. So sehe ich ja jeden ihrer Tritte voraus: jede ihrer Reden verrathe ich schon aus ihrem Namen; nur diesen brauche ich, nur die Idee selbst, und das Uebrige wird Poetische Einkleidung, ein Redezierrath. Das ganze Wesen ist aus einem Begriffe geschaffen, und in ein Wort eingehüllt: kann es mich also rühren? Epische Bewunderung in mir erregen? mir einen ungewohnten großen Anblick gewähren? Eine solche Schöpfung durch ein Wort, das jeder nachsagen, das jeder voraus ausdenken kann, ist – Spielwerk.
Nein!