Noch minder thut mir die verbesserte Lesart Leßings zu dieser Stelle Gnüge: – – sie ist gesuchter und Metaphysischer,7 als alle vorige Lesarten; und kurz! sollte in Spence nicht mehr Vorrath zu Erläuterung der Alten seyn, insonderheit wenn ein besserer Kopf die Spencischen Compilationen von Parallelstellen nutzte? Aber freilich bleibe ihm die Grille, daß die Dichter bei jeder kleinen Aehnlichkeit ein Kunstwerk kopiret haben müssen. Hr. L. widerlegt sie in einigen Beispielen,8 und bei manchen hätte auch aus dem innern Baue der Dichterischen Schilderungen erwiesen werden können, daß sie aus der Phantasie des Dichters, und nicht von der Arbeit des Künstlers, geflossen, weil sie sich sonst dem Dichter anders hätten vorstellen müssen.
1 p. 78. 79.
2 p. 80.
3 p. 83.
4 p. 83.
5 Laok. p. 54.
6 p. 85.
7 p. 87.
8 p. 90. 91.
XI.
Es können kritische Betrachtungen nicht leicht nutzbarer seyn, als wenn L. gegen Spence über den Unterschied disputirt,1 in welchem dem Künstler und Dichter Götter, geistige und Moralische Wesen erscheinen: hiegegen wird in und außerhalb der Mauern von Troja, ich meine in Poesie und Kunst, gesündigt.
Götter und geistige Wesen. »Dem Künstler sind sie nichts als personifirte Abstrakta, die beständig die ähnliche Charakterisirung behalten müssen, wenn sie erkenntlich seyn sollen: dem Dichter sind sie handelnde Wesen.2« Ich weiß nicht, ob dieser Unterschied so vest, und beiden Künsten so wesentlich wäre, als er hier angegeben wird – und mich dünkt, daß ein Ich weiß nicht von dieser Art, das nichts minder, als den Gebrauch der ganzen Mythologie in allen schönen Künsten und Wissenschaften, betrift, wohl eine kleine Aufmerksamkeit verdiene.
Also sind die Götter und geistigen Wesen dem Künstler nichts als personifirte Abstrakte? Freilich so lange eine einzelne Figur nichts als ein känntliches Bild eines himmlischen Wesens seyn soll, so sind die dasselbe charakterisirenden Kennzeichen das Augenmerk. Nun aber trete diese Figur z.E. bei einem Gemälde in Handlung, gesetzt die Handlung flösse auch nicht aus ihrem Charakter: so bald tritt die Historische Mythologie in die Stelle der Emblematischen: und die Gestalt ist nicht mehr durch das, was sie ist, sondern was sie thut, känntlich. Hr. L. giebt dies zu;3 nur meint er, die Handlungen müssen nicht ihrem Charakter wiedersprechen; und aus dem Beispiele, das er giebt, sehe ich, daß er in Untersuchung dieses Wiederspruchs sehr fein ist. Eine Venus, meint er, die ihrem Sohne die Waffen giebt, könne freilich gebildet werden: denn hier bliebe sie noch eine Göttin der Liebe: ihr könne noch alle Anmuth und Schönheit gegeben werden, die ihr als Göttin der Liebe zukomme: sie werde vielmehr als solche, durch diese Handlung noch kennbarer; aber eine zürnende, eine verachtende Venus ganz und gar nicht. – Ich bin in der Ausdehnung dieses Unterschiedes nicht Hr. Leßings Meinung.
Götter und geistige Wesen sind dem Künstler freilich personifirte Abstrakta, und Charakterfiguren, so lange er sie allein, blos in einem ihnen gemäßen Anstande, oder höchstens in einer intransitiven Handlung bilden soll; aber alsdenn sind sie es nur aus Noth, aus Muß, um känntlich zu seyn. Venus, Juno, Minerva haben diese und keine andre Bildung der Schönheit, nicht als wenn diese immer ein innerer Charakterzug ihres Abstrakten Wesens wäre; gnug, daß sie ein von Dichtern einmal beliebtes und vestgesetztes äußeres Kennzeichen dieser Gottheit ist. Ich verstehe mich nicht gnug auf den Abstrakten Begriff der Liebe, als daß ich wissen könnte, ob jede Kleinigkeit bei der Bildung der Venus, und keiner andern Göttlichen Schönheit, da sey, weil sie nothwenig das Abstraktum der Liebe charakterisire? ob z.E. das υγρον ihrer Augen, und das Lächeln ihrer Wangen, und das Grübchen ihres Kinnes zu diesem Begriffe so unentbehrlich sey, als auf der andern Seite die majestätische Brust der Juno, und die schlanke Taille der Diana, und die unschuldige Mine der Hebe, zu diesem Begriffe eben hinderlich sein müste. Ich habe nie die Mythologie, als ein solch Register allgemeiner Begriffe studirt, und bin allemal in die Enge gerathen, wenn ich gesehen, wie andre sie am liebsten auf solche Art angesehen.
So viel ist einmal gewiß, daß Dichter, und kein anderer, die Mythologie erfunden und bestimmt, und da wette ich, fürwahr nicht als eine Gallerie Abstrakter Ideen, die sie etwa in Figuren zeigten. Wo bleibe ich mit den allerdichterischten Geschichten Homers, wenn ich mir seine Götter, nach Damms Lehrart, nur als handelnde Abstrakte betrachten wollte? Es sind himmlische Individua, die freilich durch ihre Handlungen sich einen Charakter vestsetzen, aber nicht da sind, diese und jene Idee in Figur zu zeigen: ein ausnehmender Unterschied. Venus kann immer die Göttin der Liebe seyn; nicht aber alles, was sie bei Homer thut, geschieht deßwegen, um die Idee der Liebe in Figur zu repräsentiren: Vulkan mag seyn, was er will; wenn er den Göttern ihren Nektarbecher umreicht, ist er nichts als – ihr Mundschenke.
Ich schließe also: daß Götter und geistige Wesen »bei dem Dichter nicht blos handelnde Wesen sind, die über ihren allgemeinen Charakter noch andre Eigenschaften und Affekten haben, welche nach Gelegenheit der Umstände vor jenen vorstechen können,« wie Hr. L. sagt;4 sondern daß diese andre Eigenschaften und Affekten, kurz! eine gewisse eigne Individualität ihr wahres Wesen, und der allgemeine Charakter, der etwa aus dieser Individualität abgezogen, nur ein späterer, unvollkommener Begriff sey, der immer untergeordnet bleiben mußte, ja bei Dichtern oft in gar keinen Betracht komme.
Nun schließe ich weiter. Wenn also in der Mythologie und Geisterlehre der ältesten Dichter der Individuelle oder Historisch handelnde Theil vor dem Charakteristisch handelnden das Uebergewicht behält: und eben diese Dichter doch die ursprünglichen Stifter und Väter dieser Mythologie und Geisterlehre gewesen; so sei die bildende Kunst, so fern sie Mythologisch ist, blos ihre Dienerin. Sie entlehnt ihre Geschöpfe und Vorstellungen, so fern sie sie brauchen und ausdrucken kann.
Bei jeder einzelnen Figur also, und mithin meistens bei den Werken der Bildhauer, die einzelne Gestalten bilden, fodert es der Mangel, die Gränzen, nicht aber das Wesen der Kunst, die Personen mehr Charakteristisch, als Individuell, auszudrücken: denn sonst verirren sie sich in die Menge Historischer Personen, und laufen Gefahr, unkänntlich zu werden.
So bald es aber dem Künstler die Grenzen seiner Kunst verstatten,