Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066398903
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Hr. Leßings Grundsatze müßte man ihn im Bilde anreden: Philosoph, wirst du bald deine Aesthetik ausgedacht haben? stirbt dir nicht dein gesenkter Kopf, und dein erhabner Finger? Seufzender Laokoon, wie lange wirst du seufzen? So oft ich dich sehe, ist dir noch die Brust beklemmt, der Unterleib eingezogen? ein transitorischer Augenblick, ein Seufzer, ist bei dir widernatürlich verlängert. Der Donnerwerfende Jupiter, und die schreitende Diana, der den Atlas tragende Herkules, und jede Figur in der mindsten Handlung und Bewegung, ja auch nur in jedem Zustande des Körpers ist alsdenn widernatürlich verlängert: denn keine derselben dauret ja ewig. So wird also, wenn die vorstehende Meinung Grundsatz würde, das Wesen der Kunst zerstört.

      Es kann also auch nicht als Ursache gelten, warum die Kunst keine Höhe des Affekts ausdrücken müßte: es ist nicht Delikatesse, sondern Ekel des Geschmacks.

      Jedes Werk der bildenden Kunst ist, wenn wir uns die Eintheilung Aristoteles gefallen lassen, ein Werk und keine Energie: es ist in allen seinen Theilen auf einmal da: sein Wesen besteht nicht in der Veränderung, in der Folge auf einander, sondern im Coexsistiren neben einander. Hat also der Künstler es dem ersten aber ganzen und genauesten Anblicke, der eine vollständige Idee liefern muß, vollkommen gemacht; so hat er seinen Zweck erreicht, die Wirkung bleibet ewig: es ist ein Werk. Es steht auf einmal da, und so werde es auch betrachtet: der erste Anblick sey permanent, erschöpfend, ewig, und blos die Menschliche Schwachheit, die Schlaffheit unsrer Sinne, und das Unangenehme des langen Anstrengens macht, bei tief zu erforschenden Werken, vielleicht das zweite, vielleicht hundertste Mal des Anblicks nöthig; darum aber sind alle diese Male doch nur Ein Anblick. Was ich gesehen habe, muß ich nicht wieder sehen, und was mir nicht durch das vollständige Eine des Anblicks, sondern nur die Abwechselung, durch die Wiederholung desselben widerlich wird, liegt nicht in der Kunst, sondern in dem Ueberdruß meines Geschmacks. Kann dieser nun einen Grundsatz der Kunst bilden? kann er auch nur eine tüchtige Ursache eines andern Satzes abgeben?

      So räume ich also bei Hrn. L. diese Ursache, als Ursache, als Gesetz weg, und denke damit gnug zu haben, daß der höchste Affekt dem ersten Anblicke widerlich, und der Einbildungskraft gleichsam zu enge sey, folglich in der Kunst müsse wenigstens als Hauptanblick vermieden werden. Wenn die Wirkung der Kunst ein Werk ist, zu Einem, aber gleichsam ewigen Anschauen gebildet: so muß dieser Eine Anblick auch so viel Schönes für das Auge, und so viel Fruchtbares für die Einbildungskraft enthalten, als er enthalten kann. Daher kommt das Unendliche und Unermäßliche in dieser bildenden Kunst, das sie vor allen andern Künsten des Schönen voraus hat: nämlich ein höchstes Ideal der Schönheit für das Auge, und für die Phantasie die stille Ruhe des Griechischen Ausdrucks: denn beide sind die Mittel, uns in den Armen einer ewigen Entzückung, und in dem Abgrunde eines langen seligen Anblicks zu erhalten.

      Ich glaube, von zweien Problemen, den Grund in dem Wesen der Kunst gefunden zu haben. Warum ist bei der bildenden Kunst das höchste Gesetz Schönheit? Weil sie neben einander wirket, ihre Wirkung also in einen Augenblick einschließet, und ihr Werk für einen ewigen Anblick erschaffet. Dieser einzige Anblick liefere also das Höchste, was ewig vest hält in seinen Armen – die Schönheit. – Körperliche Schönheit ist indessen noch nicht befriedigend: durch unser Auge blickt eine Seele, und durch die uns vorgestellte Schönheit blicke also auch eine Seele durch. In welchem Zustande diese? Ohne Zweifel in dem, der meinen Anblick ewig erhalten, der mir das längste Anschauen verschaffen kann. Und welches ist der? Kein Zustand der faulen Ruhe, der giebt mir nichts zu denken: kein Uebertriebnes im Ausdrucke: dieß schneidet meiner Einbildungskraft die Flügel: sondern die sich gleichsam ankündigende Bewegung, die aufgehende Morgenröthe: die uns zu beiden Seiten hinschauen läßt, und also einzig und allein ewigen Anblick gewähret.

      Es ist nicht mein Zweck, dies bei Virgil zu untersuchen. Ich habe Winkelmann gerechtfertigt, der (vielleicht nur gar historisch) sagen kann: »der Laokoon des Künstlers schreiet nicht, wie der Laokoon des Virgils.« Ich habe die Ursache, die Hr. L. giebt vom Unterschiede beider Künste, geprüft, und auf das Eine des