Es kann also auch nicht als Ursache gelten, warum die Kunst keine Höhe des Affekts ausdrücken müßte: es ist nicht Delikatesse, sondern Ekel des Geschmacks.
Jedes Werk der bildenden Kunst ist, wenn wir uns die Eintheilung Aristoteles gefallen lassen, ein Werk und keine Energie: es ist in allen seinen Theilen auf einmal da: sein Wesen besteht nicht in der Veränderung, in der Folge auf einander, sondern im Coexsistiren neben einander. Hat also der Künstler es dem ersten aber ganzen und genauesten Anblicke, der eine vollständige Idee liefern muß, vollkommen gemacht; so hat er seinen Zweck erreicht, die Wirkung bleibet ewig: es ist ein Werk. Es steht auf einmal da, und so werde es auch betrachtet: der erste Anblick sey permanent, erschöpfend, ewig, und blos die Menschliche Schwachheit, die Schlaffheit unsrer Sinne, und das Unangenehme des langen Anstrengens macht, bei tief zu erforschenden Werken, vielleicht das zweite, vielleicht hundertste Mal des Anblicks nöthig; darum aber sind alle diese Male doch nur Ein Anblick. Was ich gesehen habe, muß ich nicht wieder sehen, und was mir nicht durch das vollständige Eine des Anblicks, sondern nur die Abwechselung, durch die Wiederholung desselben widerlich wird, liegt nicht in der Kunst, sondern in dem Ueberdruß meines Geschmacks. Kann dieser nun einen Grundsatz der Kunst bilden? kann er auch nur eine tüchtige Ursache eines andern Satzes abgeben?
So räume ich also bei Hrn. L. diese Ursache, als Ursache, als Gesetz weg, und denke damit gnug zu haben, daß der höchste Affekt dem ersten Anblicke widerlich, und der Einbildungskraft gleichsam zu enge sey, folglich in der Kunst müsse wenigstens als Hauptanblick vermieden werden. Wenn die Wirkung der Kunst ein Werk ist, zu Einem, aber gleichsam ewigen Anschauen gebildet: so muß dieser Eine Anblick auch so viel Schönes für das Auge, und so viel Fruchtbares für die Einbildungskraft enthalten, als er enthalten kann. Daher kommt das Unendliche und Unermäßliche in dieser bildenden Kunst, das sie vor allen andern Künsten des Schönen voraus hat: nämlich ein höchstes Ideal der Schönheit für das Auge, und für die Phantasie die stille Ruhe des Griechischen Ausdrucks: denn beide sind die Mittel, uns in den Armen einer ewigen Entzückung, und in dem Abgrunde eines langen seligen Anblicks zu erhalten.
»Wie kommts, fragt ein Philosoph des Schönen,6 daß es nur in der Malerei und Bildhauerkunst eine Idealschönheit, ein aliquid immensum infinitumque giebt, daß sich die Künstler in der Einbildung zum Muster vorstellen, und in der Dichtkunst nicht?« Ich glaube nicht, daß er sich diese Frage von Seiten der Kunst durch die Bemerkung aufgelöset, »daß in den schönen Künsten das Idealschöne am schwersten zu erreichen sey;« denn die Frage bleibt dieselbe: »warum muß denn ein so schweres Ziel erreichet sein?« Aus keiner Ursache glaube ich, als weil die Kunst nur Werke liefert, die Einen Augenblick vorstellen, und zu einem großen Anblicke gebildet sind: die also ihren Augenblick so annehmlich, so schön machen müssen, daß nichts drüber, daß die Seele in Betrachtung desselben versunken, gleichsam ruhe, und das Maas der vorübergehenden Zeit verliere. Die schönen Künste und Wissenschaften dagegen, die durch die Zeit und Abwechselung der Augenblicke wirken, die Energie zum Wesen haben, müssen keinen einzelnen Augenblick ein Höchstes liefern, nie auch unsere Seele in dieß augenblickliche Höchste verschlingen wollen; denn sonst wird eben die Annehmlichkeit gestört, die in der Folge, in der Verbindung und Abwechselung dieser Augenblicke und Handlungen beruhet, und jeden Augenblick nur also als ein Glied der Kette, nicht weiter nutzet. Wird einer dieser Augenblicke, Zustände und Handlungen, eine Insel, ein abgetrenntes Höchstes, so geht das Wesen der energischen Kunst verlohren. Ist aber wiederum der eine ewige Augenblick der bildenden Kunst nicht so, daß er auch einen ewigen Anblick, gewähren könnte, so ist ihr Wesen auch nicht erreicht. Bei Körpern ist dieser einige ewige Anblick die vollkommene Schönheit; und sofern die Seele, durch den Körper wirken soll, ists die hohe Griechische Ruhe. Diese ist zwischen der todten Unthätigkeit, und zwischen der aufgebrachten übertriebnen Wirkung mitten inne; die Einbildungskraft kann auf beide Seiten weiter hinschweben, und hat also in diesem Anblicke der Seele die längste Unterhaltung. Todte Unthätigkeit schneidet den Faden der Gedanken mit einem Schnitte ab; die Figur ist todt, wer will sie erwecken? Das Uebertriebne im Ausdrucke kürzet wieder auf der andern Seite den Flug der Phantasie; denn wer kann sich über das Höchste noch etwas Höheres gedenken? Aber die selige Ruhe des Griechischen Ausdrucks wieget unsre Seele nach beiden Seiten hin: und in ihrem Anblicke stellen wir uns zugleich das stille Meer vor, aus dem sich diese sanfte Welle der Bewegung und Leidenschaft erhoben; zugleich auch: Wie wenn die Welle sich mehr hübe? wie wenn aus diesem hauchenden Zephyr ein reißender Sturm der Leidenschaft würde? wie würden sich alsdenn die Fluthen thürmen, und der Ausdruck aufschwellen! – Welch weites Feld der Gedanken liegt also in dem Anblicke der sanften Ruhe des Griechischen Ausdrucks!
Ich glaube, von zweien Problemen, den Grund in dem Wesen der Kunst gefunden zu haben. Warum ist bei der bildenden Kunst das höchste Gesetz Schönheit? Weil sie neben einander wirket, ihre Wirkung also in einen Augenblick einschließet, und ihr Werk für einen ewigen Anblick erschaffet. Dieser einzige Anblick liefere also das Höchste, was ewig vest hält in seinen Armen – die Schönheit. – Körperliche Schönheit ist indessen noch nicht befriedigend: durch unser Auge blickt eine Seele, und durch die uns vorgestellte Schönheit blicke also auch eine Seele durch. In welchem Zustande diese? Ohne Zweifel in dem, der meinen Anblick ewig erhalten, der mir das längste Anschauen verschaffen kann. Und welches ist der? Kein Zustand der faulen Ruhe, der giebt mir nichts zu denken: kein Uebertriebnes im Ausdrucke: dieß schneidet meiner Einbildungskraft die Flügel: sondern die sich gleichsam ankündigende Bewegung, die aufgehende Morgenröthe: die uns zu beiden Seiten hinschauen läßt, und also einzig und allein ewigen Anblick gewähret.
Auf die Art generalisiren sich die Begriffe des Unterschiedes von selbst, und wir reden nicht mehr, von Bildhauerei und Poesie, sondern von Künsten überhaupt, die Werke liefern, oder durch eine ununterbrochne Energie wirken. Was von der Poesie gilt, wird, in diesem Betrachte, auch von Musik und Tanze gelten; denn auch diese wirken nicht für einen Anblick, sondern für eine Folge von Augenblicken, deren Verbindung eben die Wirkung der Kunst macht: sie haben also durchaus andre Gesetze. Es heißt also auch nicht, den Römischen Dichter Laokoons erklärt; wenn ich anführe,7 daß sein clamores horrendos ad sidera tollit kein schiefes schreiendes Maul, und keinen häßlichen Anblick vorweise: denn freilich arbeitete er nicht fürs Auge, und noch minder ward dieser Zug seines Gemäldes ewiger Anblick, im Malerischen Verstande. Aber wie? wenn seine ganze Schilderung, die ich als ein Gemälde für meine Seele betrachte, mir keinen andern innern Zustand des Laokoon zeigte, als der in diesem Schreie liegt: bleibt alsdenn nicht auch im Gemälde des Dichters dieser Zug Hauptfigur? Wenn ich mich an den Virgilianischen Laokoon erinnere, erinnere ich mich nicht jedesmal an einen Schreienden? denn auf andre Art hat er bei seinem Schmerze seine Seele nicht gezeigt. Nun ändert sich der Gesichtspunkt. Es muß aus dem Wesen der Poesie, aus dem energischen Zwecke des Dichters erklärt werden, ob dieser Zug von Laokoon, diese einzige Aeußerung seiner Empfindung, in meiner Einbildungskraft Hauptfigur, bleibender Eindruck werden sollte? Nicht gnug, daß clamores horrendos ad sidera tollit ein erhabner Zug für das Gehör sey; (wenn ich einen Zug für das Gehör verstehe) es muß auch dem Dichter daran gelegen seyn, ihn zum Hauptzuge Laokoons in meiner Phantasie zu machen. Ist dies nicht, so hat der Dichter, wenn ich gleich kein schönes Bild verlange, doch auf mich seinen ganzen Eindruck verfehlt –
Es ist nicht mein Zweck, dies bei Virgil zu untersuchen. Ich habe Winkelmann gerechtfertigt, der (vielleicht nur gar historisch) sagen kann: »der Laokoon des Künstlers schreiet nicht, wie der Laokoon des Virgils.« Ich habe die Ursache, die Hr. L. giebt vom Unterschiede beider Künste, geprüft, und auf das Eine des