Doch nicht zu weit vom Laokoon. Wenn bei den Griechen Schönheit das höchste Gesetz der Kunst war: so mußten gewaltsame Stellungen, häßliche Verzerrungen vom Künstler entweder gemieden, oder herabgesetzt werden: und L. giebt davon die besten Exempel. Indessen hat er Wiederspruch gefunden, und einer seiner Wiedersprecher10 ist, wenn er jetzt einen Stein findet, der dafür, jetzt einen, der dawider zu seyn scheinet, auch im Wechselfieber bald für, bald gegen den Satz, daß der geneigte Leser endlich nicht weiß, wie ihm ist. Ob sich hier nicht ein fester Faden ziehen ließe?
Zuerst also: der Mythische Cirkel der alten Griechen war ohne Wiederspruch der Schönheit gebildet: ihre Götter und Göttinnen waren nicht, wie die Aegyptischen, Allegorische Ungeheuer: noch, wie die Persischen und Indischen, beinahe ohne Bild: noch, wie die Hetrurischen, traurige und unanständige Figuren; sondern an Bildung reizend dem Auge. In der ganzen Natur der Dinge fanden die Griechen keine bessere Vorstellung der Göttlichen Natur, wie eines Inbegrifs der Vollkommenheiten, als die Menschliche Gestalt; und wiederum, welches zu beweisen wäre, keine der Gottheiten war so charakterisirt, daß sie immer häßlich hätte gebildet werden müssen, um das zu seyn, was sie seyn sollte. Die Götterbegriffe der Griechen waren von Dichtern bestimmet, und diese Dichter waren Dichter der Schönheit.
Die Griechen hatten z.E. einen Jupiter, der freilich nicht immer μειλιχιος, der auch oft der Zornige, der Grimmige war: und der Dichter konnte ihn seinem Zwecke gemäß schildern. Wie aber der Künstler? Wer will denn immer gern einen zornigen Jupiter sehen, da sein Zorn doch mit dem Ungewitter übergeht? Was also natürlicher, als daß er zu dem ewigen Anblicke seines Kunststückes den Anblick einer schönen Größe lieber wählte, und ihm nur hohen Ernst in sein Gesicht schuf? – Nun kann es freilich, und insonderheit in der ältern Zeit der Religion, auch Abbildungen des Zorns gegeben haben: allein, was thut dieß? der Hauptbegriff bei Jupiter, selbst wenn er den Donner wirft, bleibt doch – hoher Ernst, schöne Größe; dieß ist seine bleibende Gestalt, jene geht vorüber.
Venus, wenn sie um den Adonis trauret, raset bei Moschus fürchterlich: auch Juno kann königlich zanken, und Apollo tapfer zürnen – allein ist diese Raserei, dieß zänkische Gesicht, dieser Zorn im Antlitze denn wohl ihre beständige Mine, ihr nothwendiger Charakterzug? Nicht! er ist übergehend, er ist eine vorbeiziehende Wolke: nun soll der Künstler Venus, Apollo, Juno bilden; – will er nicht Unsinn, oder Eigensinn beweisen, so wird er die Mine nehmen, die Venus, Apollo, Juno eigen ist: in der sie sich zeigen würden, wenn sie ihm zur Bildung erschienen, und dieß ist – eine Gestalt der Schönheit.
Doch immer aber gab es ja auch im Mythischen Zirkel der Griechen Figuren, denen die Häßlichkeit ein Charakterzug war: z.E. Medusenköpfe, Bacchanten, Giganten, Silenen, Furien u.s.w. Medusa gehe voraus, denn Pallas trägt sie auf ihrem mächtigen Schilde. Meduse, ist sie eine Gestalt, die nothwendig häßlich gebildet werden muß, von der man nur eine Gestalt wüßte, die im höchsten Grade fürchterliche? Die so viel über die himmlische Bildung der Meduse, als von einem Ich weiß nicht, warum? und einer Paradoxie reden,11 sollten wissen, daß Medusen diese Bildung eigenthümlich, daß sie eine Reizende gewesen, die Neptun zur Liebe beweget, und darüber von der jungfräulichen Minerve verwandelt worden.12 Nun sollte sie der Künstler bilden: zwo Gestalten lagen vor ihm und er wählte – die schöne vor ihrer Verwandlung: aber um sie als Meduse zu bezeichnen, flocht er Schlangen in ihre Haare.
Um diese Schlangen zu erklären, weiß ich da keinen andern Rückweg, als mich »auf das besondere Gefühl der Griechen und Römer für die Schlangen« zu beruffen?13 ein besonderer Appetit, der – hier aber nichts erklärt. Eine schöne Meduse ohne Schlangen wäre nicht mehr känntlich, nicht mehr Meduse – ein bloß schönes Gesicht gewesen; so und aus keinem Schlangenappetit mußte also der Künstler diesen Charakterzug brauchen. Und warum sollte ers nicht? Wann er die Schlangen in die Haare versteckt, so können sie zieren; und was an ihnen hervorblickt, ist das was häßliches? Schrecklich, und nicht häßlich; aber dieß Schreckliche gemäßigt, mit einem schönen Antlitze contrastirt, ist angenehm; es erweckt den Begriff des Außerordentlichen, von der Macht der Göttin, ist also hier als Charakterzug nöthig, und zum viel fassenden Eindrucke tauglich: es erhebt die Schönheit. Meduse also dorfte nicht nothwendig ein Bild der Häßlichkeit seyn.
Und die Furien eben so wenig. Die Ehrwürdigen: so nannten die Athenienser sie, und so konnten sie die Künstler bilden: »weder an ihren Bildnissen, sagt Pausanias,14 noch an den Abbildungen der unterirdischen Götter, die im Areopagus stehen, ist was fürchterliches wahrzunehmen.« Und wenn nicht an den Furien; an den eigentlichen Rach- und Plagegöttinnen: wenn nicht an den unterirdischen Göttern; wenn nicht selbst im Areopagus, dem ernsthaftesten Orte zu Athen – wo und an welchen Bildungen hätte denn das Gräuliche der Hauptcharakter seyn müssen?
Ich darf also behaupten, daß alle Mythische Figuren des Zirkels, die als Hauptfiguren, einzeln, ihrem innern und beständigen Charakter gemäß, haben erscheinen sollen, das Widerliche und Gräßliche nie zur nothwendigen Bildung haben dorften. Selbst bis auf den Schlaf und den Tod15 erstreckt sich dieß, die beide als Knaben in den Armen der Nacht ruhend vorgestellt wurden, und so gar bis auf die höllischen Götter – schönes Feld von Vorstellungen für den Künstler, dem also seine Religion es wenigstens nicht auflegte, zur Schande des Geschmacks, und zum Ekel der Empfindung arbeiten zu müssen. Da waren keine Bilder des Abscheues, wie in der skandinavischen und andern Nordischen Religionen: keine Fratzenvorstellungen, wie in den Mythologien der heidnischen Mittagländer: kein Knochenmann, der den Tod, kein Ungeheuer, das den Teufel vorstellen sollte, wie nach den Idolen unseres Pöbels; unter allen Völkern der Erde haben die Griechen, was den sinnlichen, den bildsamen Theil der Religion anbetrift, die beste Mythologie gehabt: selbst die Kolonien ihrer Religion, nicht ausgenommen.
Zweitens: doch aber gab es ja so häufige Vorstellungsarten, Situationen, und Geschichte ihrer Religion, die immer auch für den Künstler widerliche Gestalten liefern mußten, wenn nicht als Haupt- so als Nebenideen: wie nun? Als Nebenideen freilich, und eine Mythologie, die nichts als Gestalten in seliger Ruhe lieferte, wäre für den Dichter gewiß eine todte, einförmige Mythologie gewesen, und hätte keine Griechen an Poesie hervorbringen können. Gnug aber, daß dieß Nebenideen, untergeordnete Begriffe, wandelbare Vorstellungen waren; bei solchen befand sich der Dichter recht wohl und der Künstler auch noch so unbequem nicht.
Ein Jupiter z.E. der die Giganten unter seinem Wagen hat, kann und soll auf sie, als auf Ungeheuer, als auf widrige Gestalten seinen Blitz schleudern; aber diese Gestalten sind ja nicht der Hauptanblick: sie sind mit ihrem Gräßlichen dem Jupiter untergeordnet, und also da, das Majestätische in ihm zu vermehren; nicht also wider das Hauptgesetz der Kunst. Ein schöner