Drittens: was ich von den Griechischen Göttern gesagt, gilt auch von ihren Helden. Weder ihre Heroen, noch Menschliche Helden haben zu ihrem Hauptzuge eine Klosterheiligkeit, eine verzückte Andacht, eine bußfertige Verzerrung, oder eine sich wegwerfende Demuth. Allein also, für sich selbst genommen, läßt der Held hoher Schönheit Platz, insonderheit wenn er als Hauptperson in seiner bleibenden Fassung erschiene. Setzet ihn aber auch in ein Medium der Hinderniß: seine Seele werde von Zorn, von Jammer, von Betrübniß erschüttert: freilich wird er nicht den stoischen Weisen machen; aber die empfindliche Natur seiner Menschheit, wird sie seiner höhern Natur wiedersprechen dörfen?
Hier stehe die Abschilderung Agamemnons in dem Opfer der Iphigenia. Timanthes verhüllte ihn: warum aber hat er ihn verhüllet? Er hat sich, sagt Plinius,16 in den traurigen Physiognomien erschöpft, so daß er dem Vater eine noch traurigere geben zu können verzweifelte. Dieß läßt Hr. L. den Plinius sagen,17 und – – wiederlegt also die von ihm gegebene Ursache mit Recht: denn es ist wahr, »daß mit dem Grade des Affekts sich auch die ihm entsprechenden Züge des Gesichts verstärken; daß der höchste Grad die allerentschiedensten Züge habe, und nichts sey der Kunst leichter, als diese auszudrücken.« Plinius hätte also Unrecht, und der Schriftsteller18 noch mehr Unrecht, der ohne diese von L. angegebne Ursache zu entkräften, Plinius glaubt, blos weil er idoneus auctor ist. Aber wie wenn Plinius dieß nicht gesagt hätte?
Plinius Stelle ist diese: Timanthes cum moestos pinxisset omnes, praecipue patruum & tristitiae omnem imaginem consumpsisset,patris ipsius vultum velavit, quem digne non poterat ostendere. Was sagt nun Plinius? daß Timanth sich an traurigen Physignomien erschöpft, daß er dem Vater keine traurigere hätte geben können? nicht! sondern daß diese noch traurigere seiner nicht würdig gewesen wäre, daß er ihn in derselben nicht würdig hätte zeigen können. Ich will dem Valerius Maximus19 folgen, wie er Timanths Gemälde angiebt: Kalchas erscheint betrübt, Ulysses traurig, Ajax stößt eben ein Ach! aus, Menelaus windet die Hände – wie nun Agamemnon? nicht anders als starr, sinnlos, betäubt, die Züge des Gesichts eisern angeheftet, oder – rasend: denn so äußert sich, dünkt mich, der höchste Affekt. Würde sich da nun Agamemnon würdig zeigen? der Anblick eines Starrsehenden, ist er würdig eines Vaters? kaum! und der die Hände windende Menelaus, der ächzende Ajax, der traurige Ulysses, der betrübte Kalchas würden gerührter scheinen, als der starre Vater selbst. So erscheine dieser rasend? ein unnütz rasender Held, ein knirschender Agamemnon ist ein unwürdiger Anblick. Wenn Menschen sein Kind ertödten: so rette ers: er winde Kalchas das Opfermesser aus der Hand, und mache sich nicht durch sein Geschrei, durch seinen vergeblichen Schmerz unnütz. Wollen aber Götter das Opfer, fodert es das Wohl der Griechen; ists einmal zugestanden; König, so wisse dich zu fassen: und wenn dein väterlich Herz bricht, so – wende dein Auge weg; verhülle dein Antlitz: so erscheinst du würdig des Vaters, und des Königes, und des empfindbaren Griechen und des Patriotischen Helden.
Auch würdig der Kunst des Malers? Mit dem vorigen zusammen; ob aber dieser letzte Zweck der Einige und Hauptzweck gewesen? ob die schönen Raisonnemens eintreffen, die Hr. L. dem Timanthes Schuld giebt,20 »daß er die Grenzen seiner Kunst gekannt, daß er das Häßliche, das Verzerrende im Gesicht Agamemnons gerne gelindert hätte; da es aber nicht angieng – so habe er ihn verhüllet. Die Verhüllung sey eben ein Opfer, das der Künstler der Schönheit gebracht habe;« weiß ich nicht; wenigstens konnte ihm das Opfer nicht schwer werden, denn er brachte es aus fremden Mitteln. Mehr als ein Dichter21 hatte schon im Schauspiele den Agamemnon verhüllet, und Timanth dorfte also nicht erst mit sich darüber vernünfteln. Er wäre frech gewesen, wenn er, was der Dichter verhüllt hatte, hätte entblössen wollen, zumal es auf seine Kunst so sehr zutraf. Warum ihn aber der Dichter verhüllt? ob etwa einem künftigen Timanthes zu gut? ob etwa eine Figur zu verhüten, die sich nicht malen ließe? ob um der Kunst ein Opfer zu bringen? Der Kunst freilich; aber kaum dem Pinsel des Timanthes, sondern seinem eigenen Schauspiel, und der Grazie desselben! Nicht, als wenn diese bei der Opferung eines Kindes einen stoischen Helden foderte; so unmenschlich ist die Griechische Grazie nicht. Nicht, als wenn sie einen betrübten ächzenden Vater nicht duldete; warum nicht, wenn es damit gethan wäre? Aber hier sollte er den höchsten Ton des väterlichen Schmerzes, und des entsetzlichsten Jammers: ihn sollte ein Held anstimmen, der zugleich König war, der dadurch die Griechen rettete, der ihnen die Opferung versprochen hatte: dieser also sein Wort brechen, sein Volk nicht lieben, dafür auch nicht etwas Saures thun wollen? Er lasse sie opfern, er rase nicht wie ein Klageweib vergebens umher: er wende sein Auge ab, und weine väterliche Thränen: so erscheint er – würdig dem Könige und dem Vater, mithin auch würdig der Theatralischen Grazie. Nur da diese einer andern Person, einer Clytemnestra, einer Hekuba und andern Helden noch wahrscheinlicher manches hätte erlauben können, was sie in dieser Situation, diesem Agamemnon nicht erlaubte: so sieht man, daß auch bei Euripides diese Verhüllung mehr ein Opfer für seinen Helden in dieser Situation, als für den Helden absolut, oder absolut für die Grazie der Schauspielkunst gewesen; und daß die Grazie einer fremden Kunst hier gewiß ganz beiseite trete.
Indessen, wie es sey: so bleibt Timanthes Gemälde, selbst bis auf den schreienden Ajax desselben,22 für Hrn. Leßing, und selbst der rasende Ajax, die fürchterliche Medea, der leidende Herkules, der seufzende Laokoon; und immer zehn Beispiele gegen ein gegenseitiges bestätigen seinen Satz, »wie sehr die griechischen Künstler das Häßliche vermieden, und wie sorgfältig auch in den schwersten Fällen Schönheit gesucht.« Sollte man aber in der neuern Zeit, mit Ausdehnung der Kunst auch über die Grenzen des Schönen, das Wesen derselben haben ändern, und ihr ein neues Obergesetz: »Wahrheit und Ausdruck« geben wollen?23 oder sollte diese Uebertragung über die Grenzen des Schönen nicht auch zu unsrer Zeit blos »Eigenschaft des Geschmacks in der und jener Schule« und also eine Kakozelie seyn, an der es den Griechen bei ihrem Pauson und Pyreicus auch nicht fehlte? die Frage wird sich im folgenden mehr ergeben. »Wenn man in einzelnen Fällen den Maler und Dichter« (und also auch die Kunst zwoer Zeiten) »mit einander vergleichen will, so muß man vor allen Dingen wohl zusehen, ob sie beide ihre völlige Freiheit gehabt haben, ob sie ohne allen Zwang auf die höchste Wirkung ihrer Kunst haben arbeiten können.«24 Und wer hat hier in einer freiern Luft geathmet?
1 Laok. p. 9–22.
2 Laok. p.16.
3 Laok. p. 11. not. b. wo Hr. L. die Worte Aristoteles anführet.
4 Hr. Klotz Geschichte der Münzen p. 41. 42.
5 Laok. p. 12. das Gesetz der Thebaner ις το χειρων iſt ist mir noch zweifelhaft.
6 Laok. p. 103.