clamores horrendos ad sidera tollit – –
freilich, »ein erhabener Zug für das Gehör« wie ich Hrn. L. gern zugebe;8 aber ein leerer Schall für die Seele. Der Dichter hat sich so sehr in die Windungen seiner Schlangen verschlungen, daß er eins, und zum Unglücke das Hauptstück, vergißt: Laokoon selbst, und seine Angst und den Zustand seiner Seele: Züge, die Homer so gar bei seiner jungen Sperlingsbrut, und bei ihrer armen Mutter nicht vergißt, und uns also ein Bild nicht fürs Auge, und noch minder bloß »erhabne Züge fürs Gehör,« sondern ein Bild in die Seele malet. Ich weiß nicht, wie Hr. L. sich im Lobe Virgils so lange9 bei den Nebenzügen, »Windungen der Schlangen« u.s.w. aufhält, die bei dem Maler und Bildhauer, gewiß aber nicht bei dem Dichter, weites Lob verdienen. Ja wenn Virgil zum Vorbilde eines Künstlers gearbeitet hätte! Ist das aber nicht wider den Zweck des ganzen Leßingschen Werkes?
Und was er gegen Virgil zu nachsehend ist: wird er gegen Petron zu strenge,10 da sich doch die meisten dieser Vorwürfe sicherer auf Virgil gegen Homer, als auf Petron gegen Virgil betrachtet, deuten ließen. Ich weiß Petrons gezwungene Art zu dichten, und gestehe gern zu, daß aus seiner Beschreibung Laokoons kein Funke Poetisches Genies hervorblitze: muß aber darum das Gemälde, das er beschreiben will, muß die ganze Gallerie von Gemälden zu Neapel nur in seiner Einbildungskraft exsistirt haben? Warum das? Etwa weil ein Romanschreiber kein Historikus seyn darf? seyn darf! freilich nicht; aber auch nicht, daß ers nicht seyn müßte; nicht seyn könnte? zumal die schlechten Romanschreiber. Sie ersetzen uns das durch eingeschaltete Geschichte, was ihre Phantasie brüchig läßt: sie liefern uns Halbhistorische Romane, oder Romanhafte Halbgeschichte: der Abt Terrasson, mit dem Diodor von Sicilien bei Hand, seinen Sethos, und andre einen Roman voll Geographie, oder wahrer Geschichte. Sollte sich nun nicht Petron auch zu dieser Klasse bekennen? Sehr wahrscheinlich, und eben von dieser Vermischung der Wahrheit und der Erdichtung, der Geschichte und Phantasie rührt auch die große Verschiedenheit des Urtheils, welches die Kunstrichter über Petron von jeher gefällt. Seine Einbildungskraft ist spielend, trocken, gezwungen; und die Kinder, die sie hervorbringt, haben den Charakter ihrer Mutter; aber sein Urtheil, die oft eingeschalteten Historischen Züge über den verderbten Zeitgeschmack, sind fein, sind lobwürdig. Mir wirds also sehr glaublich, daß Petron, der mit Gewalt ein Dichter seyn wollte, seine Beschreibung Laokoons, durch die Nachahmung eines wirklichen Gemäldes, wohl habe aufstützen wollen: daß das Gemälde von Laokoon wohl irgend wo anders, als in der Phantasie Petrons exsistirt habe. Und wenn es exsistirt hätte? – Nun! so treffen auch Hr. L. kritische Streiche auf Petron diesmal einen Unrechten, und sein Arkanum: den Styl eines Nachahmers zu entdecken, kann ihm diesmal unzuverläßig werden. Hat Petron ein Gemälde geschildert: was eher, als daß sein Auge an Nebenideen hangen blieb, daß er diese Nebenideen auch übertreiben konnte? Ists, daß er im Bilde das Geräusch der Schlangen gleichsam zu hören glaubte: ists, daß er ein Gemälde der Kinder Laokoons Leidens, und sich zu Tode ängstigend antraf: so waren ihm, dem Versificateur einer Malerischen Schilderung, dem Nachahmer des Gemäldes, diese Figuren Augenmerk gnug, um mit dem Pinsel zu wetteifern, um diese Nebenideen der Phantasie, aber Hauptideen des Auges im Gemälde, bestmöglichst zu verschönern. Die Größe der Schlangen wiederum, in deren Schilderung sich Virgil verliebt hat, war nicht sein Hauptaugenmerk: denn sie konnte es nicht im Gemälde seyn, wo man die Größe aus dem Geräusche in den Wellen gleichsam nur schließen mußte. Die ganze Schilderung Petrons ist eine Zusammenhäufung sichtbarer Ideen: warum also nicht die Nachahmung eines wirklichen Gemäldes? und alsdenn nicht so sicher ein Beispiel und eine Probe von der Schülerhaften Nachahmung eines andern Dichters, und noch unsichrer eine erste Probe, die auf alle gölte. So sklavisch sie ist: so bleibt doch gegen sie ein Quintus Calaber noch nicht eben der beßre11 Dichter und Kenner der Natur: und so unendlich sie hinter Virgil zurückbleibt, so ist doch auch dieser in seiner Schilderung gewiß nicht ganz Dichter; er ist Nachahmer Homers, und zeigt dies in den so weit verstärkten und verschönerten Nebenzügen, daß das Ganze verschwindet.
Was würde hieraus folgen? Dies, daß wenn Virgil nach Homer gearbeitet, er immer seine Geschichte, er habe sie aus Pisander, Euphormio, Sophokles geschöpft, nach seiner Art verändert habe, und daß also der Künstler neben ihm aus eben dieser Quelle habe schöpfen, und doch in der Vorstellung von ihm abgehen können, wenn er auch bloß dem Griechischen Buchstaben gefolget wäre.
Gesetzt also, er hätte den verlohrnen Laokoon des Sophokles vor sich gehabt: welche Idee hätte ihm die Sophokleische Muse geben müssen? Sophokles, ein so weiser Dichter des Theaters, der zuerst auf demselben gleichsam Sittlichkeit und Anstand vestsetzte, der hierinn vielleicht einzig und allein das rechte Maas traf; Sophokles, der bei seinem Philoktet die Leiden des Körpers so sehr in Leiden der Seele zu verwandeln wuste – wie wird er seinen Laokoon geschildert haben? Mit dem Hauptzuge des gräßlichen Geschreies? Ein vortrefliches Mittel, das Trommelfell des Ohres, aber nicht unser Herz, zu rühren. Gewiß wird er bessere Wege an unser Herz gesucht, und also auch Laokoons Schmerzen und Geschrei mit der Waage des Richterischen Genies zugewogen, mit der er sie dem Philoktet zuwiegt. Nun lasset einen weisen Griechischen Künstler von einem weisen Griechischen Dichter diesen Gegenstand geborgt: lasset ihn die Manier des Theatralischen Gemäldes genutzt, und von Sophokles Laokoon so gelernt haben, als Timanthes vom Euripides die weise Verhüllung Agamemnons lernte: so dünkt mich, ich sähe die Waage des Ausdrucks eben auf dem Punkt, auf dem sie bei dem Laokoon des Künstlers schwebet. Das Maas des Seufzers ist ihm zugewogen. »Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andre Theile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezognen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubt; dieser Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte, und in der ganzen Stellung. Er erhebt kein schreckliches Geschrei, wie Virgil von seinem Laokoon singt; die Oeffnung des Mundes gestattet es nicht: es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibt. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgetheilet, und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles Philoktet: sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser große Mann das Elend ertragen zu können.« Ich kenne nichts würdigers, als diese Worte, und der Römische Dichter, der Nachahmer Homers, kommt also gar nicht ins Spiel.
Ich sehe, daß ich bisher bloß in kritischen Materien, aufgeräumt habe, die Hr. L. seinem Laokoon hat zum Grunde legen wollen, füglich aber auch dem Hauptinhalt seines Buchs unbeschadet, hätte auslassen können. Es ist Zeit, meine Leser aus dem Mischen Schutte hinweg, zu diesem Hauptinhalte selbst näher hinan zu führen, und –
1 Laok. p. 50–67.
2 p. 51.