Petrarca geht zuviel in der Luft; doch entzückt nicht selten lauter und rein sein himmlischer Geist, in guter Gesellschaft gebildet. Allein Boccaccio hat am mehrsten Natur und war am mehrsten unter seinen Menschen: und hat deswegen auch am mehrsten gewirkt. Was an ihm zu tadeln ist, muß man billig auf Rechnung seines Zeitalters setzen.«
Ich würde einen Mann wegen dieser Urteile nicht bewundert haben; aber sie bezauberten mich von so schönen Lippen aus zwei Perlenreihen Zähnen hervor. Was für innrer Gehalt gehörte nicht dazu, dieselben in Beisein eines Kardinals auszusprechen!
Es ist ein Glück für mich, daß ich sie so fand; mit ihr hätt ich die Torheit begehen können, zu heuraten und alle meine brennenden Begierden und Hoffnungen in ihrer Liebe dämpfen zu wollen. Bei den Grundsätzen, die sie wenigstens auszudenken imstande war, wenn sie dieselben auch nicht ausüben sollte, würde mir dieses eine ersprießliche Ehe geworden sein! Inzwischen ist wieder wahr, mit Verstand kann man alles anfangen; sie würd es schon so gemacht haben, daß auf beiden Seiten nichts Böses erfolgt wäre. Jedoch nur der fernste Gedanke, in einen gewissen Orden hineinzugeraten, treibt mich auf und von dannen.
Aber ich weiß selbst nicht recht, woran ich bin, und die Heillose foppt mich. Noch einen Hauptpunkt hab ich vergessen, Dir zu erzählen: Sie macht und singt aus dem Stegreif vortreffliche Verse, mit einer so tonvollen silbernen Stimme, daß sie alle Augenblick eine Muse auf dem Parnaß oder eine Sirene in den Fluten vorstellen kann. Dies bringt zwischen uns große Ergötzlichkeit hervor in Einsamkeit und Gesellschaft; und sie sagt im Scherz, wir wären so füreinander geschaffen, um die erste Ehe stiften zu können, wenn nicht schon ein ander Paar den Fluch aller Unglücklichen, die an diesem Joche ziehn, auf sich geladen hätte.
Ach, wer weiß, wie dies enden wird! Mir ist so warm in der Brust, daß mich's wie auf einen Punkt brennt, und dabei zuweilen bange. Eine Glut scheint mein innerstes Leben anzugreifen und davon zu zehren; ich gehe herum wie ein Tier, das an einem Schusse blutet. In Augenblicken fahr ich vor Schrecken zusammen wie ein junges Rind, dem der Löwe brüllt. Ich habe meine Freiheit verloren und kann mich nicht ermannen. Aber wenn ich meine Kräfte anspanne, kann ich noch einen Strick zerreißen. Ist sie eine Semiramis, daß ich weit und breit vor ihr in Süden und Norden keine Freistatt finde? Gott im Himmel, daß sie so allen Reiz haben muß, wornach mir je gelüstete! Sie hat einen Blitz in den Augen, womit sie alles niederschmettert.
Doch was rase ich? Bin ich nicht glücklich, emporgehoben zu den Sternen?
Der Wahnsinn muß Dir in Deiner Lage gefallen.
Ich sitze noch im Vatikan, weil ich hier am bequemsten zu ihr komme. Von der Villa Medicis ist es zu weit, und ich befürchte, man möchte über mein Ausbleiben Verdacht schöpfen und mich beobachten. Der Kardinal ist ein Schalk; o ich merke, daß er seinen Bogen auch auf dieses Ziel spannt und seinen Pfeil dahin richtet.
Mein Petrus ist eine junge hübsche Mohrin vom Senegal, die noch wenig Italienisch versteht. Fiordimona hält sie so in der Zucht, daß sie bei der geringsten Untreue befürchten muß, auf der Stelle niedergestoßen zu werden.
Die noch immer schönen und heitern Morgen bring ich im Belvedere zu, lästerlich! bloß um mich zu zerstreuen und auf andre Gedanken zu kommen. Aber Apollonios und Agesander verstehen ihre Kunst doch auch so, daß sie mich allemal früh oder spät mit ihrer Schönheit und Wahrheit an sich locken und einnehmen. O wie erhebt dies meinen Geist, daß er solche Brüder hat! Wir sind ewig, unsterblich, bewegen uns selbst und schaffen; nichts kann uns Schranken setzen! Die Materie, die meinen freien Vogelflug hemmt, werf ich ab, sobald ich will.
Ich bin für heut ins Schwärmen hineingeraten; morgen mehr.
Rom, Dezember.
Nach einigen Tagen Scirocco, der Regen in Wolkenbrüchen ergoß, hat sich heute wieder eine klare Tramontana eingestellt; Hügel und Täler und Gebirge schweben weit und breit in lauter erquickendem Himmel, und ein leichter Äther hebt von der Erd empor und von dannen. Dies sind meine letzten Stunden im Vatikan; ich will, ich muß nun scheiden. Ach, scheiden von der Kunst überhaupt! Sie ist meine Bestimmung nicht; ich habe mich nur jugendlich getäuscht. Nach dem geheimen Gefühl, daß der Endzweck aller Existenz ist, gut zu sein und Schönheit zu genießen, und daß Gott selbst keine andre Glückseligkeit habe, wähnt ich, am ersten meine Beruhigung in der Malerei zu finden, und arbeitete mich herum mit Traum und Schatten. Mein Herz und Geist trachtet nach einer kräftigern Nahrung und findet diese allein in der lebendigen Natur und Gesellschaft der Menschen, in wirklichem Kampf und Krieg und Liebe und Friede mit denselben. Wir sind die Quintessenz der Schöpfung füreinander, allein unsre Freunde und Feinde und einer des andern Beute, sind füreinander die höchste Sphäre zu handeln.
Aber ach, Scheiden ist der eigentliche Tod, vor dem die Natur schaudert! Mein Leben blutet, und ich kann mich noch nicht ganz losreißen. Wär ich Künstler und Mitgenoß einer alten Republik, so könnt ich vielleicht ausharren, bis mich der Schlangenstrom der Ewigkeit wieder in seine klare Flut aufnimmt oder als neuen Schaum an ein ander Ufer im Weltall setzt. Goldne Zeiten von Athen, wo seid ihr hin? Werd ich keinen Schatten von euch auf diesem Erdenrunde wieder finden?
Doch was sag ich: Mitgenoß einer alten Republik?
Hätt ich in dem glänzenden Zeitalter gelebt, worin Sokrates aufwuchs, so hätt ich meine Malerei gewiß noch eher als er seine Bildhauerei verlassen, und sie wäre nicht einmal Spiel für mich gewesen. Plutarch lallte freilich kindisch, wie manches, nach, in ganz andern Umständen: »Welcher gutartige Jüngling wird Phidias oder Polyklet sein wollen!« Noch brennt mich der Pfeil, den mir Demetri tief ins Leben abdrückte.
Nach der Schlacht bei Plataia bis in den Peloponnesischen Krieg hinein war Athen ein halbes Jahrhundert das Rom von Griechenland, jeder Bürger über die Inseln und Kleinasien schier Fürst und Herr, und alle Kunst ihm unanständig, die nicht zum Helden und Staatsmann bildete.
Überhaupt aber hatte schon vorher Solon mit seinen Fünfhundertschefflern, Reitern und Halbreitern und s. f., obgleich von der Lage der Sachen vielleicht dazu genötigt, doch ärgerliches Maß und Gewicht für das Verdienst eingeführt: jeder war unedel, der nicht von seinen Renten lebte, er mochte mit göttlicher Wissenschaft und Kunst sich seinen Unterhalt erwerben.
Die erhabnen Sieger über den großen König hatten recht, sich diesen verwünschten Maßstab vom Halse zu schaffen; wäre hernach nur ihr Senat und Areopag bei seiner Würde geblieben. Doch ich will hiervon nichts weiter reden; Lukian hat es, mit dem treffendsten Witze in seinem Meisterstücke, dem Zeus Tragikos, genug lächerlich gemacht.
Der Lehrer des Weltbezwingers wies alsdenn nach der reinen Vernunft den Künsten im Staat ihren Rang an und sagt: alle Kunst ist unedel, die Leib und Seele der Gewandtheit beraubt, sich frei zu regen und zu bewegen; folglich jede, wobei man sitzen oder in einer gezwungnen Stellung und Lage sein muß.
Die bildenden Künste möchten freilich nach dieser Regel übel wegkommen, besonders die Malerei, wenn die Arbeit dabei, wie Michelangelo behauptet, kinder- und weibermäßig ist. Jedoch auch selbst die Philosophie: wenn man so viel lesen und schreiben müßte, als der Stagirit gelesen und geschrieben hat; und noch mehr, um soweit Freiheit der Seele die des Leibes übersteigt, die ehrwürdigsten Ämter. Mein Nachbar hier mit seiner dreifachen Krone wäre der Hauptsklav; gebunden wie ein Wickelkind, der alle Welt löst!
Aber das beste ist, man weiß sich bei diesem allen schon schadlos zu halten und versteht dies nur auf wenige Tage und Stunden.
Kapitel 30
Übrigens hatten die Griechen darin recht, daß derjenige sich