Nacktgespräche. Wilfried Heinrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfried Heinrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991079316
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eine ungeheure Schärfe.

      „Gutes Persisch können nur die Perser und deine Sprache in Gut können wirklich nur Deutsche? Wie dumm ist das gedacht?“

      „Bitte?“ Es sollte ein ehrliches Kompliment mit direktem Bezug zu mir sein, sage ich ihm, da mein eigenes Fremdsprachentalent eher kärglich ausgeprägt ist und mich seine Satzkonstruktionen sprachästhetisch umso mehr begeistern. Dass es spürbar sei, wie er die deutsche Semantik innerlich lebe.

      „Akzeptiert, aber dann akzeptiere auch meine Verärgerung“, äußert er mit einem selbstbejahenden Nicken und will schnell wieder zu seinem eigentlichen Diskussionspunkt zurück, zur fremdenfreundlichen Liberalität als Lippenbekenntnis. Mich lässt er wieder beiseite und bezieht mich nicht mal mehr im Augenwinkel ein, der Grauhaarige ist ihm wichtiger.

      „Scharenweise Menschen laufen mit falschen Ideen und Motiven hinter ihren freundlich gesonnenen Gesichtern herum.“

      Sein Satz wird von den plötzlichen Geräuschen in der Sauna fast geschluckt, einige Leute geben sich gerade die Klinke in die Hand, ein unruhiges Hinein und Heraus. Der Perser wartet geduldig, bis wieder mehr Ruhe herrscht.

      „Mit den falschen Gesichtern meine ich Menschen, die ihre eigene Kultur grundsätzlich als am wertvollsten darstellen und dies Menschen anderer Herkunft deutlich spüren lassen, statt die Verbindung zueinander zu suchen.“

      Es klingt nach tiefen Verletzungen, dass seine Aussagen sich in neu formulierten Sätzen zunehmend wiederholen. Der grauhaarige Mitfünfziger, der gerade noch eine entspannte Körperhaltung eingenommen hatte, aus der ich ableitete, er wolle keinen weiteren Clinch führen, findet darin ein Stichwort, das nun seine Energie neu entfacht.

      „Das ist Heimatstolz, was gibt es gegen Heimatstolz einzuwenden? Hast du den nicht auch? Dann wärst du zu bedauern.“

      Meine Klischee-Schubladen in mir machen sich wieder bemerkbar. Das Wort Heimatstolz höre ich nicht gerne in diesem Kontext von Toleranz, es klingt sehr abgrenzend, umso mehr, wenn das Wort extra wiederholt wird. Entweder sieht der Perser die kleine Zündschnur nicht oder er will sich davon nicht irritieren lassen.

      „Heimatstolz kritisiere ich gar nicht, ja natürlich gibt es ihn auch bei mir. Er ist sogar ganz groß, aber nicht überbetont. Dadurch führen die verschiedenen Kulturen zu sehr ein Parallelleben und versuchen zu wenig wie Zahnräder ineinanderzugreifen. Das macht das Miteinander so fürchterlich schwierig und verführt Menschen zu unnötigen Konfrontationen, sehen wir doch jeden Tag.“

      Sinnierend fixiert er den Mitfünfziger. Für mich wird nicht erkennbar, ob er ihn mit seinem Blick missionieren oder auf die Anklagebank setzen will, eben schon und jetzt immer noch nicht.

      „Es entstehen Missverständnisse und daraus wird Kapital geschlagen. Und weil das so einfach geht, werden gerne klar beabsichtigt Missverständnisse gesät, das funktioniert als Methode immer.“

      Sein Gegenpart wuschelt mit der rechten Hand durch die Haare und präsentiert auf seiner hochgezogenen Stirn eine überpointierte Verwunderung.

      „Gehört es nicht auch zur Neigung des Menschen, sich gegenseitig Noten zu geben? Überall wird gewertet, also darf ich doch auch zu der Meinung kommen, dass ich meine Lebensgrundsätze besser finde als die von anderen. Steht mir dieses Recht nicht zu?“

      Einige auf den Holzbänken beobachten den Dialog, niemand zeigt sonderliches Interesse, sich einzubringen. Schade, etwas Gegenwind würde die Atmosphäre farbiger machen, vielleicht liegt’s am Iraner, an seiner dozierenden Kritik.

      Und dem stellt sich die Frage nach besseren oder schlechteren Kulturen gar nicht. Die Verschiedenartigkeiten gegenseitig als positive Ergänzung zu verstehen und Brücken zueinander zu bauen, das wäre eine hervorragende Aufgabe, argumentiert er nun.

      „Die Vielfalt dieses Planeten von ihren Grenzen befreien, das ist ein spannenderer Gedanke als sich gegenseitig Noten zu geben. Dann verfeinden wir uns auch nicht mehr wegen völliger Nebensächlichkeiten, ob hier jemand mit oder ohne Handtuch am Leib sitzt.“

      Mir fallen direkt Menschen ein, die solche Sätze als feuergewaltigen migrantischen Angriff bezeichnen würden. Auch ein Onkel väterlicherseits. Muslime sind für ihn VW-Käfer mit lahmen 34 PS, ganz ohne Elektronik. Für Europäer und Amerikaner hat er das Bild der BMWs und Porsches, vielfach mehr PS, da quietschen die Reifen beim Anfahren und intelligente Assistenzsysteme sowieso. Das hatte er als witzigen Vergleich auf der Hochzeit seiner Tochter Melani von sich gegeben. „Wer so spricht, hat ein Alkoholproblem“, flüsterte mir damals sein Sohn zu und schob mich vorsichtshalber beiseite, um mich vor weiterem zu schonen. Und ja, es war Alkohol im Spiel.

      Der Perser atmet jetzt deutlich hörbarer. Seine Gedanken scheinen seinen ganzen Körper erfasst zu haben, manche Sätze klingen nun herausgepresst. Er denkt beim Sprechen in sich hinein, es könnte böser herauskommen, wenn er äußern würde, was er empfindet.

      „Was hilft es uns, wenn jeder dem Nachbarn am Gartenzaun seiner eigenen Kultur abschätzig zuruft, seine Äste würden herüber ragen? Wir müssen die Gartenzäune gegenseitig öffnen, allein das kann der Weg sein.“

      Er nickt selbstbestätigend vor sich hin. Mehrmals, auch wir sollen damit gemeint sein.

      Schnelle Reaktion des Liegestuhlreservierers. Er fühlt sich, war zu erwarten, an die Wand gestellt und kontert mit einer Liste Wohltaten der Kultur seiner Gesellschaft. Der persönliche Einsatz vieler Menschen während der Flüchtlingskrise zum Beispiel, große Integrationsbemühungen in der Politik, mutige Bürger würden für ihre Selbstlosigkeit öffentlich ausgezeichnet, die Meinungsfreiheit nennt er auch.

      „Ist alles in den Verfassungen verbrieft, darauf werden Eide geleistet.“ Und mit dem Mienenspiel eines Menschen, der kein Interesse an langen Diskussionen hat, sondern seine Meinung widerspruchslos respektiert sehen will: „Aber wie sieht es in Wirklichkeit woanders aus?“

      Auf der obersten Sitzbank erzeugt jemand Unruhe. Ein älterer Herr verliert beim Heruntersteigen etwas seine Koordination, muss sich an fremden Schultern auffangen, ihm sind die ungewollten Körperberührungen peinlich. Der Perser beobachtet ihn unbeteiligt, er sucht Argumente für seinen Widerspruch zusammen, er nennt sie in ruhiger und mindestens ebenso selbstsicherer Stimme wie sein Meinungskontrahent.

      „Du siehst nur, was du sehen möchtest, öffne mal ein bisschen deine Augen. Nimm die Zerrissenheit zwischen den Völkerstämmen in den arabischen Ländern, nimm die Reibereien der verschiedenen Ethnien. In den USA werden Schwarze schneller abgeurteilt als Weiße, und das, obwohl Amerika der moralische Sheriff auf diesem Planeten sein will. Bei uns knöpft man sich die Juden wieder vor. Sowas ist für dich eine tolerante Welt?“

      Wieder unterbricht er sich selbst, zeigt sich nachdenklich und setzt dann mit einem fragenden Gesichtsausdruck fort.

      „Wir müssen, glaube ich, mal einen ganz anderen Blick entwickeln, uns wohl zu dem Mut aufraffen, anzuerkennen, dass Selbstlosigkeit und die Freude an sozialer Harmonie nicht zu den zentralen Wesenszügen der Menschen gehören, sie sind nicht automatisch da, wir müssen sie mit großer Anstrengung entwickeln. Und dafür müssen wir erkennen lernen, dass in jedem von uns auch eine egoistische Gestalt steckt, die uns zu ihrer Marionette machen will.“

      In dem Migrantengesicht würde ich jetzt gerne sehen, dass seine Skepsis nur stimmungsgeleitet und weniger seine Überzeugung ist. Denn so einfach im Vorbeigehen möchte ich mir meinen Glauben an die Toleranz nicht zerfleddern lassen. Ich werde enttäuscht, er denkt genauso, wie ich es lieber nicht hören möchte.

      Sein Oberkörper senkt sich etwas nach hinten, er legt den Hinterkopf auf der höher gelegenen Sitzbank auf. Wirkt unbequem. Er sinniert, streckt dann den Kopf wieder empor, will nochmal für seine Meinung werben, lässt es aber erst mal doch.

      Auch der Vorschriftsmeckerer beschränkt sich auf ein distanziertes Schmunzeln, seine Blicke geistern ziellos in dem Saunaraum herum. Ich würde mich gerne entziehen, zu grundsätzlich und zu abstrakt wirkt die Diskussion auf mich.

      So schwitzen wir eine Zeitlang unbeteiligt vor uns hin.

      Doch dann: Attacke,