4. Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV)
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Besonders deutlich kann die Wirkung der Verkehrsfreiheiten und Freiheitsrechte des Unionsrechts, hier insb. der Niederlassungsfreiheit,[1] auf die straffreie Berufsausübung an der Entscheidung Gebhardt illustriert werden: Gegenstand dieses Urteils des EuGH war der Fall eines deutschen Rechtsanwalts mit Zulassung in Stuttgart, der in Italien tätig war. Er war zunächst als angestellter Anwalt beschäftigt, eröffnete dann aber eine eigene Kanzlei in Mailand. Dort war er als außergerichtlicher Beistand tätig und beriet deutschsprachige Personen in Italien sowie italienischsprachige Deutsche und Österreicher. Einen kleinen Anteil seiner Tätigkeit machte die Beratung italienischer Kollegen im deutschen Recht aus. Aufgrund einer Beschwerde der Sozietät, in der er zunächst angestellt gewesen war, kam es zu einem berufsrechtlichen Disziplinarverfahren. In diesem Verfahren wurde gegen ihn eine Sanktion verhängt, weil Gebhardt ohne italienische Anwaltszulassung praktizierte.[2]
Der EuGH hat diese Sanktion als unzulässige Diskriminierung und als Verstoß gegen Art. 52 Abs. 2 EGV unter Berücksichtigung der Richtlinie zur Anerkennung von Diplomen, die als Ausprägung der Niederlassungsfreiheit anzusehen ist, qualifiziert. Ähnlich hat der EuGH im Fall Auer[3] entschieden, in dem einem Tierarzt in Frankreich die Zulassung verweigert worden war, weil er nicht über ein französisches Diplom verfügte.
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Der Gerichtshof führte in der Entscheidung zur Rechtssache Gebhardt aus: Das Gericht des Mitgliedstaates hätte überprüfen müssen, ob Gebhardt für die konkrete, von ihm ausgeübte Beratungstätigkeit aufgrund seiner Berufserfahrung und Zulassung in Deutschland fachlich hinreichend qualifiziert war. Nur wenn ein Dienstleister, der nicht über eine Zulassung verfügt, Beratungsleistungen ohne die Gewähr der notwendigen Fachkenntnisse anbietet, sei eine Sanktion zulässig. Ein hinreichender Grund für eine Andersbehandlung liege aber nicht bereits darin, dass der Betroffene in dem Staat, in dem er tätig ist, über keine Anwaltszulassung verfügt. Strafvorschriften, die eine Ausübung bestimmter Berufe als unerlaubt sanktionieren, seien nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Sie dürfen zu keiner Diskriminierung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten führen, müssen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden sowie geeignet und verhältnismäßig sein.[4]
Anmerkungen
Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 230.
EuGH NJW 1996, 579 ff. – Gebhard; vgl. auch Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 271.
EuGH NJW 1984, 2022; Rengeling/Middeke/Gellermann/Dannecker/Müller § 39 Rn. 33.
EuGH NJW 1996, 579, 581, Rn. 39 f. – Gebhard.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH › 5. Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV)
5. Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV)
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Ähnlich hat der EuGH in der Sache Arblade/Leloup[1] entschieden: Werden Arbeitnehmer in einen anderen Mitgliedstaat entsandt, so stelle die Anforderung, auch in diesem Zielstaat die Dokumentationspflichten zu erfüllen, eine unzulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit[2] nach Art. 56 ff. AEUV dar, soweit im Ausgangsstaat vergleichbare Dokumentationspflichten bereits erfüllt werden. Eine Strafbarkeit dürfe auf die Verletzung solcher Dokumentationspflichten nicht gestützt werden.
Anmerkungen
EuGH EuZW 2000, 88 – Arblade/Leloup.
Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 233 ff.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH › 6. Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV)
6. Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 ff. AEUV)
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Ebenfalls auf die Dienstleistungsfreiheit und zusätzlich auf die Kapitalverkehrsfreiheit[1] (Art. 63 ff. AEUV) hat der EuGH in der Entscheidung Luisi/Carbone das Recht eines Unionsbürgers gestützt, wirtschaftliche Dienstleistungen in der gesamten Union frei in Anspruch zu nehmen.[2] Der Gerichtshof hatte einer italienischen Staatsbürgerin das Recht zuerkannt, auch unter Verletzung italienischer Ausfuhrbestimmungen einen ausreichenden Bargeldbetrag mit sich zu führen, um sich in Deutschland medizinisch behandeln zu lassen. Die Verhängung einer Geldbuße wegen eines Devisenvergehens verletze in einem solchen Fall die Dienstleistungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit. Die Mitgliedstaaten seien zwar zur Kontrolle von Devisen berechtigt; diese dürfe aber nicht zur willkürlichen Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit führen.
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Aus dieser Entscheidung folgt etwa für Bankdienstleistungen, dass Bankkunden und Kreditinstitute sich im Rahmen von Bankgeschäften, die Transfers innerhalb der Europäischen Union beinhalten, auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen können. Aus solchen Bankgeschäften dürfen grundsätzlich keine negativen steuerlichen Schlüsse gezogen werden und sie dürfen nicht unverhältnismäßig erschwert werden.[3]
Anmerkungen
Hierzu Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 236 f.
EuGH NJW 1984, 1288 – Luisi/Carbone.
Vgl. hierzu auch Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 256 ff.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH › 7. Freizügigkeit (Art. 21 AEUV)
7. Freizügigkeit (Art. 21 AEUV)
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Ebenfalls