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Dass die Europäische Kommission die Betrugsbekämpfung zum Nachteil der EU als eine Kernaufgabe der Union ansieht, wird durch die zum 17.8.2017 in Kraft getretene Richtlinie (EU) 2017/1371 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.7.2017 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug[13] deutlich. Hier werden den Mitgliedstaaten für die Bestrafung der Hinterziehung von Unionssteuern ebenso Vorgaben in Form von Mindesthöchstfreiheitsstrafen gemacht wie für die Sanktionierung von Subventionsbetrug, Haushaltsuntreue, Korruptionstaten oder Geldwäsche (vgl. 2. Kap. Rn. 16). Zudem wurde mit der Europäischen Staatsanwaltschaft eine neue europäische Institution der Strafverfolgung geschaffen (VO [EU] 2017/1939),[14] die in grenzüberschreitenden und schwerwiegenden Fällen solcher Delikte tätig werden und eine effektive und einheitliche Strafverfolgung garantieren soll.
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Zum anderen darf nicht vergessen werden, dass Steuerhinterziehung nach vorsichtigen Schätzungen allein in Deutschland jährlich einen Schaden von 30 Mrd. € verursacht.[15] Eine Schätzung der NGO Tax Justice Network aus dem Jahr 2011 geht sogar von Schäden durch Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit von ca. 215 Mrd. $ aus.[16] Selbst wenn die tatsächlichen Schäden zwischen diesen beiden Werten liegen dürften, wird deutlich, dass bislang die Verfolgung von Steuerumgehungen und Steuerbetrug nicht hinreichend effektiv gewesen ist. Daher ist kaum zu bestreiten, dass sich die Europäische Union ebenso wie die Mitgliedstaaten weiterhin vermehrt bemühen müssen Steuerstraftaten intensiver zu verfolgen. Die Forderung nach einem effektiveren, vielleicht auch schärferen Steuerstrafrecht ist damit plausibel, um das Stigma des Rechtsbruchs deutlich zu machen und gegen die Fehleinschätzung der Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt anzugehen.[17] Dem US-Bundesrichter Oliver Wendell Holmes (1841-1935) wird der Satz zugeschrieben, der am Gebäude der US-Steuerbehörde in Washington DC prangt: Taxes are the price we pay for a civilized society. Diesen Ansatz spiegelt auch eine Aussage Abdirashid Hussein Shires, eines Hoteliers, aus Mogadishu wider: 70 % meiner Einkünfte gebe ich für Sicherheit aus, ich würde gerne Steuern zahlen, wenn ich dafür eine handlungsfähige Regierung bekäme.[18]
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In den letzten Jahren wurden durch die Presse einige schwerwiegende Fälle von Steuerhinterziehung oder Steuervermeidung von bislang unbekanntem Ausmaß aufgedeckt. Die sog. Panama-Papers, Bahamas-Liste und Paradise-Papers haben deutlich gemacht, dass nicht nur Wirtschaftsgrößen und Sportler ihre hohen Vermögen durch Auslandstransfers vor einer Besteuerung in ihren Heimatstaaten zu schützen versucht haben.[19] Folge waren in Deutschland nicht nur Änderungen im Strafrecht und die Einführung des Transparenzregisters im Geldwäschegesetz, auch zur Bekämpfung von Briefkastenfirmen, sondern auch global eine erhöhte Bereitschaft zum Datenaustausch.[20] Wie viel von diesen Maßnahmen Aktionismus ist und welche gesetzgeberischen Maßnahmen sinnvoll und angemessen sind, wird sich erst in Zukunft zeigen und voraussichtlich sehr unterschiedlich bewertet werden.
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Ein staatlich mitverursachtes und durch das Bundesfinanzministerium wohl auch geduldetes Problem waren und sind dagegen die massiven Steuerausfälle durch die nicht berechtigte Geltendmachung von Kapitalertragsteuern bei sog. cum-ex-Geschäften und cum-cum-Geschäften. Hierdurch sollen dem Haushalt der Bundesrepublik seit 2001 mindestens 31,8 Milliarden Euro „verloren gegangen“ sein,[21] bis die (angebliche Lücke) im Steuerrecht 2012 geschlossen wurde. Die Wirtschaftswoche berichtete am 22.11.2018 über sog. Cum-fake-Geschäfte, mit denen dem deutschen Fiskus erhebliche Schäden zugefügt worden sein sollen. Hier werden die Strafverfahren zeigen, welche strafrechtlichen Konsequenzen diese Formen des Gestaltungsmissbrauchs haben.
Anmerkungen
Abrufbar unter www.steuerzahler.de/files/41470/Haushaltsuntreue_Internet.pdf (Stand 14.8.2018).
BVerfG 27.6.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 ff.
Vgl. Dannecker FS Kirchhof, S. 1809, 1816 m.w.N.; vgl. auch Singelnstein MschKrim 98 (2015) 48, 56 ff.
Vgl. Tipke Steuerrechtsordnung Band III, S. 1697 ff.; 1713 f.; Dannecker FS Kirchhof, S. 1809, 1816 f.
Vgl. Bülte Vorgesetztenverantwortlichkeit, S. 809 ff. m.w.N.; ders. GA 2018, 35 ff.; vgl. auch Singelnstein MschKrim 98 (2015) 48, 57.
Tipke Steuerrechtsordnung Band III, S. 1701.
Schünemann Gutachten, S. 90 ff.
Dannecker FS Kirchhof, S. 1809, 1817.
Leitner/Dannecker Finanzstrafrecht 2012, S. 61, 63.
Zur Umgehungshandlung Dannecker FS Kirchhof, S. 1809, 1817 f. m.w.N.
EuGH MwStR 2015, 87 ff. m. Anm. Grube; vgl. auch Wäger UR 2015, 81 ff.; vgl. aber auch EuGH MWStR 2018, 551.
Vgl. nur Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 133 ff.
ABlEU v. 28.7.2017, Nr. L 198/29.
VO