5. Gerichtlicher Rechtsschutz
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Die FKVO selbst enthält keine ausdrückliche Regelung des gerichtlichen Rechtsschutzes in Bezug auf Genehmigungs- oder Untersagungsentscheidungen, so dass insoweit die allgemeinen Vorschriften der Art. 263 ff. AEUV zur Anwendung kommen. Wichtigste Klageart ist insoweit die Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV), die sich gegen alle anfechtbaren Handlungen der Kommission richten kann, sofern diese verbindliche Rechtswirkung erzeugen und die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in seine Rechtsstellung beeinträchtigen.[80] Danach können die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen sowohl Untersagungs- und Entflechtungsentscheidungen als auch die Nebenbestimmungen einer Freigabe unter Bedingungen oder Auflagen anfechten, da die Zusagen von den Unternehmen regelmäßig nur zur Abwendung einer Verbotsentscheidung abgegeben werden und ihr eigentliches Ziel eine bedingungslose Freigabe ist. Nicht angreifbar ist dagegen die Eröffnung des Hauptprüfungsverfahrens, da es sich hierbei lediglich um eine vorbereitende Maßnahme innerhalb eines mehrstufigen Verfahrens handelt.
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Dritte, die von einer Entscheidung der Kommission unmittelbar und individuell betroffen sind, können Freigabeentscheidungen mit einer Konkurrentenklage angreifen. Die erforderliche Betroffenheit ist dann gegeben, wenn der Dritte am Verwaltungsverfahren vor der Kommission beteiligt war und angehört wurde oder die Entscheidung seine Wettbewerbsposition spürbar beeinträchtigt.[81]
V. Verhältnis zur nationalen Fusionskontrolle
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Für alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung gilt der Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit der Kommission (Art. 21 Abs. 3 FKVO). Nach diesem sog. „one stop shop“-Prinzip ist eine gleichzeitige, parallele Fusionskontrolle durch die Kartellbehörden der Mitgliedstaaten ausgeschlossen. Diese dürfen daher weder von der Kommission genehmigte Zusammenschlüsse untersagen noch von der Kommission untersagte Zusammenschlüsse nachträglich genehmigen. Es gibt jedoch einige Durchbrechungen dieses Ausschließlichkeitsprinzips. Zum einen kann die Kommission einen Zusammenschluss ganz oder teilweise an die Kartellbehörde eines Mitgliedstaates verweisen, sofern hierdurch der Wettbewerb auf einem Markt in diesem Mitgliedstaat, der die Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist, erheblich beeinträchtigt würde und der Mitgliedstaat die Verweisung beantragt hat (Art. 9 Abs. 2 FKVO). Darüber hinaus sieht die FKVO auch die Möglichkeit einer „umgekehrten“ Verweisung von den Mitgliedstaaten an die Kommission vor. Nach Art. 22 FKVO kann ein Zusammenschluss, dem keine gemeinschaftsweite Bedeutung zukommt, auf Antrag eines Mitgliedstaates oder mehrerer im Einvernehmen handelnder Mitgliedstaaten von der Kommission nach den Regeln der FKVO beurteilt werden.[82]
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Die Verweisung eines Zusammenschlusses kann auch auf Veranlassung der beteiligten Unternehmen erfolgen. Bereits vor Einreichung einer Anmeldung können die Unternehmen bei der Kommission den Antrag stellen, einen Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung an einen oder mehrere Mitgliedstaaten zu verweisen (Art. 4 Abs. 4 FKVO). Voraussetzung hierfür ist, dass der Zusammenschluss den Wettbewerb in einem Markt in einem Mitgliedstaat, der alle Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist, erheblich beeinträchtigen könnte. Umgekehrt können die beteiligten Unternehmen eines Zusammenschlusses, der keine gemeinschaftsweite Bedeutung hat aber nach dem Wettbewerbsrecht von mindestens drei Mitgliedstaaten geprüft werden könnte, den Antrag stellen, dass der Zusammenschluss von der Kommission geprüft werden sollte (Art. 4 Abs. 5 FKVO).
C. Deutsche Fusionskontrolle
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Findet die europäische Fusionskontrolle auf einen Unternehmens- oder Beteiligungskauf keine Anwendung, entweder weil die Umsatzschwellen der FKVO nicht erreicht werden oder kein Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird, so sind mögliche Anmeldepflichten in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu prüfen. Der deutschen Fusionskontrolle kommt dabei eine besondere Relevanz zu, da sie aufgrund der im internationalen Vergleich niedrigen Umsatzschwellen und des sehr weit gefassten Zusammenschlussbegriffs auf viele Transaktionen Anwendung findet.
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Die im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) enthaltenen Vorschriften der deutschen Fusionskontrolle wurden zuletzt durch die 9. GWB-Novelle mit Wirkung ab dem 9.6.2017 geändert. Die wesentliche Änderung betrifft die Einführung einer weiteren Aufgreifschwelle für die deutsche Fusionskontrolle, die nicht allein auf die Umsatzerlöse der beteiligten Unternehmen, sondern vor allem auf den Wert der Transaktion abstellt.
I. Zusammenschlusstatbestand
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Der Zusammenschlussbegriff der deutschen Fusionskontrolle ist abschließend in § 37 GWB geregelt. Die einzelnen Zusammenschlusstatbestände schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sind nebeneinander anwendbar mit der Folge, dass häufig mehrere Tatbestände des Abs. 1 gleichzeitig erfüllt sind. Auch in diesen Fällen liegt jedoch nur ein Zusammenschluss im Rechtssinne vor.[83]
1. Vermögenserwerb
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Nach § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB liegt ein Zusammenschluss vor, wenn ein Unternehmen das Vermögen eines anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil erwirbt. Für den Erwerbstatbestand ist der Rechtsgrund ohne Belang. Er kann auf privatrechtlichem Rechtsgeschäft, auf staatlichem Hoheitsakt oder Gesetz beruhen, in der Zwangsvollstreckung oder von Todes wegen erfolgen. Der Begriff des Vermögens eines Unternehmens ist in Übereinstimmung mit den allgemeinen handels- und bilanzrechtlichen Regelungen zu bestimmen und erfasst alle seine geldwerten Güter und Rechte, sofern sie verkehrsfähig sind. Erwerbsgegenstand können daher alle geldwerten, unternehmerisch genutzten Vermögensgegenstände eines Unternehmens sein, wie z.B. Produktionsstätten, eingeführte Warenzeichen, der Kundenstamm, Forderungen, der Goodwill, Know-how bzw. Betriebsgeheimnisse und die Absatzorganisation.[84] Die Beschränkung auf Vermögensgegenstände schließt die Passiva als Teil des Vermögens aus.
Ein Vermögenserwerb liegt einerseits dann vor, wenn der Käufer das gesamte Vermögen eines anderen Unternehmens erwirbt, sei es durch Kauf- und Übertragungsvertrag (asset deal) oder im Wege der Umwandlung oder Verschmelzung. Werden dagegen nur Teile des Betriebsvermögens aus einer größeren Unternehmenseinheit erworben, so kommt es darauf an, ob es sich hierbei um den wesentlichen Teil des Unternehmensvermögens handelt. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um einen abgrenzbaren Vermögensteil handelt, der für die Stellung des Veräußerers auf dem Markt kennzeichnend war und dessen Erwerb abstrakt geeignet ist, die Stellung des Erwerbers auf dem Markt zu verändern.[85] Darunter können nach den Umständen des Einzelfalles etwa auch einzelne Einzelhandelsfilialen, Zementwerke und Titel- und Herausgaberechte für Zeitschrift fallen.[86]
2. Kontrollerwerb
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