c) Einhaltung von Eingabefristen
288
Jede Partei ist dafür verantwortlich, dass ihre Schriftsätze und die in Bezug genommenen Dokumente, Unterlagen und Beweisstücke die Kanzlei des Gerichtshofs rechtzeitig erreichen. Schriftsätze und andere Unterlagen können nur innerhalb der Fristen eingereicht werden, die vom Berichterstatter bzw. Kammerpräsidenten bestimmt werden (vgl. Rule 38, § 18 PD-W). Ansonsten ist das Vorbringen präkludiert und wird vom Gerichtshof regelmäßig nicht berücksichtigt.[10]
289
Schriftsätze und andere Unterlagen, die nach Ablauf einer Frist eingereicht werden, finden grundsätzlich keinen Eingang in die Verfahrensakte. Der Kammerpräsident kann jedoch ein verspätet eingereichtes Schriftstück ausnahmsweise zulassen und zur Verfahrensakte nehmen (Rule 38 Abs. 1).
290
Wird eine Fristverlängerung gewünscht, so ist der Antrag zu stellen, sobald der Partei die maßgeblichen Umstände bekannt sind, in jedem Fall vor Ablauf der ursprünglichen Frist; der Antrag ist zu begründen (§§ 19, 20 PD-W). Gewährt der Gerichtshof eine Fristverlängerung, gilt sie nicht nur für die antragstellende, sondern auch für die andere Partei (§ 21 PD-W).
291
Für die Berechnung einer Eingabefrist ist das nachweisbare Datum der Absendung des Schriftstücks maßgeblich. Fehlt ein solches Datum, kommt es auf den Eingang des Schriftstücks bei der Kanzlei an (Rule 38 Abs. 2), der durch den Eingangsstempel nachgewiesen wird, mit dem jedes bei der Kanzlei eingehende Schriftstück versehen wird (§ 2 PD-W).
4. Zugang zur Verfahrensakte
292
Von der Gegenseite eingehende Schriftsätze werden den Verfahrensbeteiligten jeweils durch die Kanzlei des Gerichtshofs übermittelt.
293
Nach der Registrierung der Beschwerde sind alle sie betreffenden und bei der Kanzlei eingereichten Unterlagen der Öffentlichkeit zugänglich (Art. 40 Abs. 2 EMRK). Eine Ausnahme besteht lediglich für Dokumente, die im Rahmen von Verhandlungen über eine gütliche Einigung eingereicht werden (Rule 33 Abs. 1 i.V.m. Rule 62) oder dem Gerichtshof von der (früheren) EKMR vorgelegt worden sind (Rule 106 Abs. 4)[11]. Ferner kann der Kammerpräsident aus den Gründen, die einen Ausschluss der Öffentlichkeit von der gerichtlichen Verhandlung rechtfertigen (Rule 63 Abs. 2, Rn. 420), sowohl von Amts wegen als auch auf einen – zu begründenden – Antrag einer Partei oder einer anderen betroffenen Person die Geheimhaltung von Unterlagen anordnen (Rule 33 Abs. 1-3).
294
Die Einsichtnahme in eine Verfahrensakte erfolgt in der Kanzlei des Gerichtshofs im Menschenrechtsgebäude (Human Rights Building) in Straßburg.[12]
295
Entsprechende Anträge sind online zu stellen.[13] Ein Antrag auf Akteneinsicht muss den konkreten Fall genau bezeichnen. Allgemeine Anfragen (z.B. nach sämtlichen gegen einen bestimmten Vertragsstaat erhobenen Beschwerden oder nach allen eine bestimmte Sachfrage betreffenden Fällen) werden von der Kanzlei nicht bearbeitet.
296
Bereits bei der Antragstellung sollte ein Termin (Datum und Uhrzeit) angegeben werden, zu dem der Antragsteller die Einsichtnahme in die Akten vornehmen möchte. An diesen vorgeschlagenen Termin ist die Kanzlei freilich nicht gebunden. Der Terminvorschlag muss jedenfalls 15 Arbeitstage in der Zukunft liegen.
297
Die Einsichtnahme in die Akte erfolgt unter der Aufsicht eines Mitgliedes der Kanzlei. Der Antragsteller muss zuvor eine Erklärung (undertaking) abgeben, in der er sich verpflichtet, keine in der Akte befindlichen Dokumente zu vernichten, zu entfernen, zu beschädigen oder zu beschriften sowie keine Dokumente der Akte hinzuzufügen.
298
Kopien einzelner Aktenbestandteile kann der Antragsteller – auf seine Kosten – entweder am Empfangsschalter im Human Rights Building entgegennehmen oder sich per Post bzw. E-Mail zusenden lassen.
Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › C. Behandlung der Beschwerde durch den EGMR › II. Behandlung der Beschwerde vor den verschiedenen Spruchkörpern des EGMR
II. Behandlung der Beschwerde vor den verschiedenen Spruchkörpern des EGMR
299
Der Gerichtshof kann in jedem Stadium des Verfahrens eine Beschwerde zurückweisen, die er für unzulässig hält (Art. 35 Abs. 4 EMRK). An frühere Zulässigkeitsentscheidungen ist er in keiner Weise gebunden.[14]
1. Zuweisung der Beschwerde an einen Spruchkörper
300
Der Sektionspräsident, dessen Sektion die Beschwerde zugewiesen ist (Rule 52 Abs. 1), ernennt einen Berichterstatter („Judge Rapporteur“; Rule 49 Abs. 3 lit. b).[15] Dieser entscheidet schließlich, von welchem Spruchkörper die Beschwerde behandelt werden soll, wobei es dem Sektionspräsidenten freisteht, die Beschwerde unabhängig von der Ansicht des Berichterstatters einem Ausschuss oder einer Kammer zuzuweisen (Rule 49 Abs. 3 lit. b: „subject to the President of the Section directing that the case be considered by a Chamber or a Committee“).[16]
301
Ergibt sich bereits aus den Unterlagen, dass die Beschwerde unzulässig ist oder aus dem Register gestrichen werden muss, wird sie dagegen direkt dem Einzelrichter zugewiesen (Rule 49 Abs. 1). Die Beschwerde wird der betroffenen Regierung nicht zugestellt.[17] Hält der Berichterstatter gefestigte Rechtsprechung für anwendbar, wird er sie regelmäßig dem Ausschuss vorlegen. Andernfalls wird er die Prüfung der Beschwerde durch eine aus sieben Richtern bestehende Kammer anordnen, die vom Präsidenten der mit dem Fall befassten Sektion (Rule 52 Abs. 2) gebildet wird und sodann in der Regel gemeinsam (vgl. Rn. 303) über die Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde befindet.
302
Der Berichterstatter kann eine weitere Vorklärung der Beschwerde vornehmen, indem er die Parteien auffordert, innerhalb einer bestimmten Frist Auskünfte zum Sachverhalt zu erteilen oder Unterlagen bzw. anderes Material beizubringen (Rule 49 Abs. 3 lit. a). Die Identität des Berichterstatters wird den Parteien nicht mitgeteilt.
2. Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde
303
Gemäß Art. 29 Abs. 1 Satz 2 EMRK ist jetzt die gemeinsame Entscheidung über Zulässigkeit und Begründetheit der Regelfall. Lediglich in Fällen, in denen dies aus Klarstellungsgründen erforderlich ist, wird die Zulässigkeit weiterhin separat behandelt, etwa wenn ein Teil der Beschwerde ausdrücklich für unzulässig